„Die Offensive unserer Truppen scheint für den Feind auf der ganzen Front eine völlige taktische Überraschung gewesen zu sein. Grenzbrücken über den Bug und andere Flüsse werden überall von unseren Truppen kampflos und in vollkommener Sicherheit eingenommen. Die völlige Überraschung unserer Offensive für den Feind zeigt sich darin, dass die Einheiten in den Kasernen überrumpelt wurden, die Flugzeuge mit Planen abgedeckt auf den Flugplätzen standen und die vorgeschobenen Einheiten, die plötzlich von unseren Truppen angegriffen wurden, das Kommando fragten, was zu tun sei …“, so beschrieb der Chef des Generalstabes des deutschen Heeres Franz Halder in seinem Tagebuch den Überfall auf die Sowjetunion am frühen Morgen des 22. Juni 1941.
Trotz des heftigen Widerstands der sowjetischen Grenzsoldaten und Gegenangriffen der Roten Armee brachen die deutschen Truppen, unterstützt von ihren rumänischen Verbündeten, schnell tief in die UdSSR ein. Der Festung Brest, die an der Grenze lag, galt der erste Schlag. „Früh am Morgen wurden die Kinder und ich von einem schrecklichen Getöse geweckt“, erinnert sich Anastasia Nikitina-Arschinowa: „Granaten und Bomben explodierten und Splitter pfiffen durch die Gegend. Ich schnappte mir meine Kinder und lief barfuß auf die Straße. Wir hatten gerade noch Zeit, ein paar Klamotten mitzunehmen. Draußen herrschte Entsetzen. Flugzeuge kreisten über der Festung und warfen Bomben auf uns ab. Frauen und Kinder rannten in Panik umher und versuchten zu entkommen. Die Frau eines Leutnants und ihr Sohn lagen vor mir; beide waren durch eine Bombe getötet worden.“
Der zwölfjährige Pjotr Kotelnikow, der in der Festung Brest vom Krieg überrascht wurde, war Schüler im Musikzug des 44. Schützenregiments: „Am Morgen wurden wir durch einen starken Einschlag geweckt. Das Dach war durchgebrochen. Ich war fassungslos. Ich sah Verwundete und Gefallene und verstand: Dies war keine Übung, sondern bereits der Krieg. Die meisten Soldaten unserer Kaserne wurden in den ersten Sekunden getötet. Ich eilte wie die Erwachsenen zu den Waffen, aber man gab mir kein Gewehr. Dann schloss ich mich einem der Rotarmisten an, um das Feuer im Materialdepot zu löschen. Anschließend ging ich mit den Soldaten in die Keller der Kaserne des benachbarten 333. Schützenregiments... Wir halfen den Verwundeten, brachten ihnen Munition, Essen und Wasser. Durch den Westflügel brachen wir nachts zum Fluss durch, um Wasser zu holen, und kamen dann zurück.“
Die deutsche Luftwaffe startete einen massiven Angriff auf Dutzende sowjetischer Flugplätze, auf denen die Hauptkräfte der sowjetischen Luftwaffe des westlichen Militärbezirks stationiert waren. Am ersten Tag gelang es dem Feind, etwa 1.200 Flugzeuge zu zerstören, von denen es 900 nicht einmal geschafft hatten, vom Boden abzuheben. „...Mir fuhr der Schreck durch die Glieder. Vier zweimotorige Bomber mit schwarzen Kreuzen auf den Tragflächen waren vor mir“, erinnert sich Joseph Geibo, stellvertretender Kommandeur des 46. Kampffliegerregiments: „Ich biss mir auf die Lippe. Das waren Junkers! Deutsche Ju-88-Bomber! Was sollte ich tun? Ich überlegte: Heute ist Sonntag und die Deutschen haben sonntags nie Trainingsflüge. Das heißt, es ist Krieg? Ja, es ist Krieg!“
„Ich werde nie vergessen, wie der Krieg begann. Ich habe noch nie solche Angst und Panik erlebt wie am ersten Tag, oder besser gesagt, in den ersten Stunden des Krieges“, sagte Iwan Chochlow, ein Panzersoldat, der damals in Kaunas diente. „Kurz nach 4 Uhr morgens wurden wir von deutschen Flugzeugen bombardiert. Wir hatten geschlafen, nur die Wachen waren auf den Beinen gewesen. Alle sprangen auf, schrien, nichts war zu sehen. Die Flugzeuge warfen ihre Bomben ab, rundherum Brandgeruch. Hier und dort brannte es. Das Interessanteste daran ist, dass fast alle unsere Autos ohne Räder aufgebockt waren. Die Jungs beeilten sich, Räder zu besorgen.... Aber woher sollte man um diese Zeit Räder bekommen?... Es standen nur drei Autos einsatzbereit. Wer von uns überlebt hatte, kletterte zusammen mit dem Kommandeur hinten auf dem Lastwagen und wir fuhren so schnell es ging Richtung Osten.“
Nicht alle Deutschen glaubten an den Erfolg des Feldzuges gegen die UdSSR. Kurz vor Beginn der Operation Barbarossa hatte der Oberleutnant der 8. Infanterie-Division Schlesien Erich Mende ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten. „Mein Kommandant war doppelt so alt wie ich“, erinnerte sich Mende, „und er hatte schon 1917 im Rang eines Leutnants gegen die Russen bei Narva kämpfen müssen. „Hier, in dieser unendlichen Weite, werden wir unseren Tod finden wie Napoleon…“, konnte er seinen Pessimismus nicht verbergen. „Mende, merke dir diese Stunde – sie markiert das Ende des alten Deutschlands.“
Davon, dass der Krieg gegen die Sowjetunion für die Deutschen kein leichter Spaziergang sein würde, konnten sie sich bald überzeugen. Im Bericht des Stabschefs der 4. Armee, General Günther Blumentritt, hieß es gleich zu Beginn des Feldzuges: „Das Verhalten der Russen unterschied sich schon in der ersten Schlacht auffallend von dem der Polen und Verbündeten, die an der Westfront eine Niederlage erlitten hatten. Selbst wenn sie eingekesselt wurden, leisteten die Russen erbitterten Widerstand.“
Am Mittag des 22. Juni trat der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Wjatscheslaw Molotow, im Radio auf und gab den Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion und den Beginn des vaterländischen Krieges gegen den Aggressor bekannt. Viele Menschen waren verwundert, warum diese Rede nicht vom zukünftigen Generalissimus gehalten wurde. Marschall Georgi Schukow kommentierte später in seinen Erinnerungen und Betrachtungen diese Ereignisse: „Stalin war ein willensstarker Mann und, wie man sagt, kein Hasenfuß. Verwirrt sah ich ihn nur einmal: Es war im Morgengrauen des 22. Juni 1941, als Nazi-Deutschland unser Land überfiel. Am ersten Tag hatte er sich nicht im Griff und konnte nicht wirklich die Kontrolle übernehmen. Der Schock, den der feindliche Angriff bei Stalin auslöste, war so stark, dass er sogar den Klang seiner Stimme senkte, und seine Befehle für die Organisation des bewaffneten Kampfes entsprachen nicht immer der vorherrschenden Situation.“
Bei vielen Sowjetbürgern (vor allem tief im Hinterland) löste der Kriegsausbruch keine ernsthaften Ängste aus. „Unser Haus stand etwas abseits des Dorfes, deshalb erfuhr ich erst gegen Abend vom Kriegsbeginn“, erinnert sich Witalij Tschernjajew, ein Bewohner des Gebiets Kalinin (heute Twer), der bei Kriegsbeginn elf Jahre alt war: „Und wissen Sie was? Am Anfang hat mich das in keiner Weise gestört. Am zweiten Tag war ich sogar froh! Wir sind alle mit patriotischen Liedern und Filmen aufgewachsen. Soll er doch kommen, dieser Hitler!... Die Deutschen werden kein Wasser aus der Wolga trinken! Wir werden sie alle besiegen! – Das war mein erster Gedanke.“
Anatolij Wokrosch lebte zu dieser Zeit in der Nähe von Moskau: „Wir rannten in der Gegend herum und riefen: Der Krieg hat begonnen! Hurra! Wir werden gewinnen! Wir hatten absolut keine Ahnung, was das alles bedeutet. Die Erwachsenen diskutierten über die Nachrichten, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es im Dorf Panik oder Angst gab. Die Dorfbewohner gingen ihren üblichen Geschäften nach, und an diesem und an den folgenden Tagen kamen die Leute aus den Städten zu ihren Sommerhäuschen bei uns.“ Niemand hätte sich damals in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, dass der Krieg gegen Nazi-Deutschland und seine Verbündeten lange 1.418 Tage dauern und das Leben von über 27 Millionen Sowjetbürgern kosten würde.