Wie ein deutscher Botschafter in Moskau versuchte, den Zweiten Weltkrieg zu verhindern

Graf von der Schulenburg im August 1944

Graf von der Schulenburg im August 1944

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Werner von der Schulenburg sympathisierte mit den Russen und war von ihrer Gutwilligkeit überzeugt. Aus diesem Grund glaubte er, dass ein deutsch-sowjetischer Krieg katastrophal werden würde.

Im September 1939, hätte Graf Friedrich-Werner von der Schulenburg, ein 63-jähriger deutscher Diplomat, der in der Sowjetunion als Botschafter arbeitete, nicht glücklicher sein können, denn Deutschland und die UdSSR schlossen zu diesem Zeitpunkt den Nichtangriffspakt, auch bekannt als Molotow-Ribbentrop Pakt. Schulenburg war der festen Überzeugung, dass der vorherrschende Frieden zwischen der Sowjetunion und Deutschland ausschlaggebend für die Sicherheit und das allgemeine Wohlergehen seines Heimatlandes sei. 

Dazu äußerte er sich recht emotional in einem Brief an einen Freund: „Es handelt sich um ein diplomatisches Wunder […] Ich hoffe, dass die dadurch geschaffene Situation unter keinen Umständen ruiniert wird. So wie es jetzt ist, ist es gut! Immerhin haben wir [Diplomaten] unsere Aufgabe erfüllt… Ich hoffe, dass sich daraus das Bestmögliche entwickelt!“

Unglücklicherweise wurden die Hoffnungen des Botschafters wenige Zeit später zerschlagen. Am 22. Juni 1941 verstieß Nazi-Deutschland gegen den Vertrag und griff die UdSSR mit aller Macht an. Schulenburgs Bemühungen, sein Kampf für den Frieden waren umsonst gewesen und wurden von den Nazis mit Füßen getreten. Doch warum diente solch ein Mann überhaupt Hitler? 

Diplomat der alten Schule 

Schulenburg war wahrscheinlich ähnlicher Ansicht wie Stalin, als dieser einst während des Zweiten Weltkriegs äußerte: Hitlers kommen und gehen, aber die deutsche Nation bleibt bestehen.“  

Graf Friedrich-Werner von der Schulenburg

Schulenburgs diplomatischer Dienst begann 1901, noch lange bevor die Nationalsozialisten an die Macht gelangten. Als Nachkomme einer alten Adelsfamilie arbeitete er sein ganzes Erwachsenenleben als Diplomat mit nur einer Unterbrechung, um im Ersten Weltkrieg zu kämpfen. Dafür erhielt er das Eiserne Kreuz für Tapferkeit. Während seiner Amtszeit veränderte sich die Regierung mehrfach und grundlegend, aber Schulenburg arbeitete stets professionell mit allen zusammen.

1922 – 1931 diente er als Botschafter im Iran, anschließend bis 1934 in Rumänien, doch als wirkliche Herausforderung entpuppte sich sein Dienst erst 1934, als er nach Moskau versetzt wurde. Obwohl er kein großer Russenfreund war, teilte er Otto von Bismarcks Auffassung, dass Deutschland, um seinen Wohlstand zu erhalten, Frieden mit Russland haben muss. 

„Er legte großen Wert auf die deutsch-sowjetischen und deutsch-russischen Beziehungen... Für ihn gab es keine Alternative für ein erfolgreiches und friedliches Zusammenleben dieser beiden großen Staaten“, schrieb Rüdiger von Fritsch, deutscher Botschafter in Moskau (2014-2019), 2014 in einem Artikel für die Nowaja Gaseta. Da die Nazis jedoch ab 1933 für die deutsche Außenpolitik zuständig waren, erwies sich die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zwischen Moskau und Berlin als äußerst schwierig.

Krisen und Kompromisse

„Niemand konnte Deutschland in der UdSSR unter solch kriselnden Bedingungen so durchdacht und feinfühlig vertreten, mit so viel Vorsicht und Würde wie Schulenburg“, bemerkte Gustav Hilger, ein deutscher Diplomat, der in den 1930er Jahren in der sowjetischen Botschaft arbeitete. Schulenburg tat sein Bestes, um die Spannungen zwischen den beiden Ländern in den Jahren 1938-1939 abzubauen, als sie bereits vor dem Abgrund des Krieges schwankten.  

Schulenburg (r.) war Zeuge der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrags von 1939.

1938 einigte er sich mit Maxim Litwinow (dem sowjetischen Außenminister von 1930 – 1939), dass sich die beiden Länder nicht gegenseitig in der Presse verunglimpfen würden. Er setzte sich außerdem dafür ein, dass dieser Vertrag verlängert werden würde. Doch seine Rolle als Diplomat hatte Grenzen, die von der heimatlichen Regierung definiert wurden. Mehr als die Anweisungen der deutschen Staatsoberhäupter auszuführen, stand ihm nicht zu, deswegen unterstützte er die Unterzeichnung des Nichtangriffspakts so stark.  

Hitlers Lügen

Das Tauwetter zwischen der UdSSR und Nazi-Deutschland sollte nur von kurzer Dauer sein. 1941 wurde in Moskau die Unterstützung Jugoslawiens nach der Invasion von Deutschland kundgetan. Spannungen und viele neue Gerüchte wurden greifbar. Daraufhin wandte sich Schulenburg an Hitler, mit der Warnung, wie gefährlich ein deutsch-sowjetischer Krieg wäre. 

Hilger schrieb in seinen Memoiren: „Am 28. April 1941, während einer Dienstreise nach Berlin, traf Schulenburg Hitler persönlich. Der Botschafter sah seine Notiz auf Hitlers Tisch liegen, konnte aber nicht sagen, ob Hitler sie gelesen hatte. Doch während er sich verabschiedete, meinte Hitler wie aus dem Nichts: „Eine Sache noch, Schulenburg. Ich werde nicht in den Krieg mit Russland ziehen!“

Spoiler alert: Er log. Obwohl Schulenburg ein Mitglied der NSDAP war, war er kein Nazi, deswegen traute Hitler ihm nicht. Joseph Goebbels, der deutsche Propagandaminister und Hitlers enger Vertrauter, schrieb später in sein Tagebuch: „Unser Botschafter in Moskau hatte keine Ahnung, dass Deutschland angreifen würde... Er bestand darauf, dass die beste Politik darin bestehen würde, einen Freund und Verbündeten aus Stalin zu machen... Die beste Politik ist jedoch die, Diplomaten nicht über unsere wirklichen Absichten zu informieren.“

Alles ist verloren

Am 22. Juni 1941 kam Schulenburg in den Kreml, um Wjatscheslaw Molotow, Litwinows Nachfolger als Außenminister, darüber zu informieren, dass der Krieg begonnen habe. Zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Truppen bereits ohne Kriegserklärung auf sowjetischem Boden getreten. Der Botschafter selbst hatte diese niederschmetternde Nachricht kurz zuvor erhalten. Während er mit Molotow sprach, „hob er seine Hände zum Himmel mit einem Ausdruck der Ohnmacht im Gesicht“, erinnerte sich Hilger.

Schulenburg musste Moskau verlassen, als der Krieg ausbrach. Von 1941 bis 1944 war er Mitglied im Auswärtigen Amt in Berlin und leitete das Russland-Komitee, ein formeller Posten ohne politischen Einfluss. Es überrascht nicht, dass er mit Hitler und seiner Politik unzufrieden war.

Tod und Vermächtnis

Dieser Widerwillen veranlasste den Diplomaten, sich den Reihen des deutschen Widerstands gegen die Nazis anzuschließen. 1944, als klar war, dass Deutschland den Krieg verlieren würde, bildeten mehrere hochrangige Offiziere und Beamte ein Komplott, um Hitler zu ermorden. Schulenburgs Beteiligung an dem Attentat war gering, aber er hätte eine wichtige Rolle spielen können, wenn der eigentliche Plan realisiert worden wäre. Mehrere Quellen nannten ihn als möglichen Außenminister. Stattdessen wurde Schulenburg, wie viele andere Verschwörer, hingerichtet.

Obwohl Schulenburgs Karriere abrupt beendet wurde, wurden seine Weisheiten und Prinzipien im post-Nazi-Deutschland hochgelobt. Botschafter Fritsch schreibt: „Wenn Sie die deutsche Botschaft in Moskau besuchen, treffen Sie dort auch Botschafter Schulenburg: Sein Denkmal steht im Kanzleramt und sein Porträt hängt in der Residenz des Botschafters, neben dem Porträt seines großen Vorgängers Otto von Bismark... Schulenburgs Persönlichkeit und seine Prinzipien dienen dem Zeugnis: Er verdient eine solche Erinnerung.“

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