Wie ein britisch-kanadisches Forscherteam in der Antarktis auf Lenin traf

Stein Tronstad /Norwegian Polar Institute
Am Pol der Unzugänglichkeit in der Antarktis zeugt eine Büste von Lenin von den sowjetischen Bemühungen, den Südpol zu erobern.

Am 4. Dezember 2006 erreichte das N2i-Team, bestehend aus britischen und kanadischen Forschern, einen abgelegenen Punkt am Südpol. Dort entdeckten sie eine Lenin-Büste. Weitere Untersuchungen förderten unter dem Schnee eine verlassene sowjetische Antarktisstation zutage.  

Die Hütte

Antarktis, 1959. Eine Ansicht zeigt den Schlitten-Traktor-Zug der dritten sowjetischen Antarktisexpedition. Das genaue Datum des Fotos ist unbekannt.

Vor Jahrzehnten, am 14. Dezember 1958, erreichte eine sowjetische Expedition unter Leitung des sowjetischen Polarforschers Jewgeni Tolstikow den sogenannten Pol der Unzugänglichkeit in der Antarktis. Der Begriff bezeichnet den aus allen Richtungen am weitesten von den umgebenden Meeren entfernten Punkt des Kontinents. Er ist der Mittelpunkt eines imaginären Kreises, der mit einem maximal möglichen Radius gezogen werden kann, ohne eine der Küstenlinien zu berühren. Der Pol der Unzugänglichkeit ist also die am weitesten von jeder Küste entfernte Stelle des Kontinents, die deshalb auch am schwersten zu erreichen ist, besonders auf einem unbewohnten Kontinent wie der Antarktis. 

Die sowjetische Expedition zum Pol der Unzugänglichkeit im Jahr 1958 war die Antwort der UdSSR auf die Amundsen-Scott-Station, die die USA zwei Jahre zuvor, 1956, am Südpol errichtet hatte. Um ein Gegengewicht zum Erfolg der Amerikaner in der Antarktis zu schaffen, machte sich die dritte Antarktis-Expedition der Sowjetunion, bestehend aus 18 Wissenschaftlern, mit Traktoren auf den Weg zum Unzugänglichkeitspol. 

Abladen der angelieferten Kisten mit Lebensmitteln und Ausrüstung. 1. April 1958.

Neben anderen Ausrüstungsgegenständen führte das sowjetische Team eine tragbare, vormontierte Hütte mit einer Fläche von 260 Quadratmetern mit sich. Die Hütte war mit einem elektrischen Ofen und einem Ölofen, einem Generator und einem Radio ausgestattet. Am wichtigsten aber war, wie sich herausstellte, dass das Team auch eine Lenin-Büste bei sich hatte, die die Forscher auf der Hütte montierten, die sie direkt am Pol der Unzugänglichkeit aufstellten. 

Die sowjetische Expedition verfügte über ausreichend Lebensmittel- und Treibstoffreserven, brach aber trotzdem nach 12 Tagen wieder auf und ließ die Hütte, den Proviant und die Lenin-Büste zurück, um allen Wagemutigen, die in Zukunft versuchen würden, den schwer zugänglichen Ort zu erobern, Zuflucht zu bieten. Die Sowjets hinterließen auch eine Notiz, in der sie zukünftige Besucher einluden, die Hütte und die Vorräte zu nutzen

Jahrzehnte später wurde Lenins Büste zum Gegenstand der Belustigung für die wenigen  Entdecker, denen es gelang, den unzugänglichsten Ort des Kontinents zu erreichen.

Lenins Wiederauferstehung 

Der Pol der Unzugänglichkeit in der Arktis ist nicht nur ein abgelegener und unwirtlicher Ort, er liegt auch 3.700 Meter über dem Meeresspiegel. Dies trägt zu den rauen Bedingungen vor Ort bei. Die durchschnittliche Temperatur beträgt das ganze Jahr über lediglich eisige 

-58,2 °C. 

Das harte Klima sorgte auch dafür, dass die sowjetische Hütte nicht allzu häufig Gäste beherbergte. Dennoch erreichten gelegentlich einige Personen diesen Ort. 

Im Jahr 1964 gelangte eine Gruppe amerikanischer Forscher im Rahmen der Queen Maud Land Traverse Expedition zum Unzugänglichkeitspol in der Antarktis. Als die Amerikaner die sowjetische Hütte mit der Büste darauf entdeckten, stellten sie die Lenin-Büste angeblich so um, dass Lenins Blick auf Washington D.C. statt auf Moskau gerichtet war.

Das nächste Mal wurde die Hütte 1967 besucht, als eine weitere sowjetische Expedition zum  Pol der Unzugänglichkeit aufbrach, drei Jahre nachdem die Amerikaner die Büste umpositioniert hatten. Danach betrat 40 Jahre lang kein Mensch mehr den gefrorenen Boden. 

Die N2i

Das Norwegisch-US-Traverse-Team.

Im Januar 2007 unternahm ein Team aus kanadischen und britischen Forschern, darunter der Kanadier Paul Landry und die Briten Rupert Longsdon, Rory Sweet und Henry Cookson, einen weiteren waghalsigen Versuch, den Punkt der Unzugänglichkeit der Antarktis zu erreichen.

Nachdem das Team von der russischen Wissenschaftsbasis „Nowolasarewskaja" aufgebrochen war und 1.700 Kilometer per Drachenski und ohne jegliches motorisiertes Fahrzeug zurückgelegt hatte, sahen die Forscher etwas aus der dicken Schneedecke hervorragen.  

„Etwa 20 Meilen entfernt entdeckten wir einen schwarzen Punkt am Horizont. Als wir näher kamen, wurde der Punkt immer größer, was uns ein Ziel gab. Davor hatte ich mich nur auf den Horizont konzentriert", erzählte Rupert Longsdon der britischen Zeitung „The Independent“, kurz nachdem das Team die alte sowjetische Basis am Pol der Unzugänglichkeit erreicht hatte. 

„Als wir etwa 200 Meter von dem schwarzen Punkt - der Lenin-Büste - entfernt waren, hielten wir alle an und zogen unsere Skier aus. Es gab eine riesige Menge an Umarmungen und Rufen, als wir das letzte Stück bewältigt hatten“, so Longsdon weiter. 

Als das N2i-Team die sowjetische Station erreicht hatte, war sie fast vollständig unter dem Schnee begraben. Nur die Büste Lenins, die die Sowjets am höchsten Punkt des Gebäudes aufgestellt hatten, war unter dem Schnee sichtbar.

Bis heute weiß niemand, ob die Büste immer noch zu sehen ist oder inzwischen ebenso wie die verlassene sowjetische Polarstation unter dichten Schneemassen begraben liegt. 

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