Russland hat im Laufe seiner Geschichte zahlreiche Hauptstädte gehabt. Die längste Zeit aber hatten Moskau und Sankt Petersburg diesen Status inne. Seit dem späten 14. Jahrhundert war Moskau die wichtigste Stadt Russlands. So war es auch kein Wunder, dass Iwan der Schreckliche Moskau im 16. Jahrhundert zur Hauptstadt des Russischen Zarenreiches erhob.
Durch diese Entscheidung erhielt Moskau einen fast schon sakralen Status als „Zentrum der russischen Zivilisation“. Die Kathedralen des Kremls waren Schauplatz von Taufen, Hochzeiten, Krönungen und Beerdigungen der russischen Zaren. Erst als gegen Ende des 17. Jahrhunderts Peter der Große an die Macht kam, fing Moskaus Dominanz an zu bröckeln.
Peter, der in seiner Jugend viel Zeit mit deutschen Freunden verbrachte begeisterte sich für deren Lebensstil und insbesondere für die preußische Askese. Die alten Hoftraditionen mit ihren üppigen Kleidern und goldenen Tellern hielt er für überkommen. Ihn zog es nach Westeuropa, wo er die Lebensweise der Einheimischen studierte. Er beschloss, Russland zu modernisieren und zu europäisieren. Das altmodische Moskau war ihm da eher im Weg.
Er wollte eine neue Hauptstadt nach europäischem Vorbild, die er akribisch planen ließ. Auch diese Planung schuf später den Gegensatz zwischen Sankt Petersburg und den eher chaotischen alten Städten. Das Aussehen der Stadt wurde geprägt von ausländischen Architekten, die für Russland bisher untypische Baustile und Techniken anwandten. Selbst einen deutschen Namen bekam die Stadt: Sankt Petersburg. 1703 wurde mit dem Bau begonnen, 1712 verlegte Peter die Hauptstadt von Moskau in die neue Stadt an der Ostseeküste. 1721 rief er sich selbst zum Kaiser aus.
Die neue Kaiserstadt Sankt Petersburg wurde zum Zentrum von Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur. Wer in den Bereichen Ballett, Musik, Literatur oder bildende Kunst etwas auf sich hielt, der kam nach Sankt Petersburg. Bis heute gilt die Stadt als Kulturhauptstadt Russlands. Trotzdem blieb Sankt Petersburg immer in gewisser Weise eine untypische russische Stadt. Die Bevölkerung bestand hauptsächlich aus Ausländern und Adeligen, auf den Straßen hörte man teils öfter Französisch oder Deutsch als Russisch. Selbst die orthodoxen Kathedralen sahen mit ihrem barocken Baustil anders aus als ihre Moskauer Pendants.
Die Stimmung im rasch wachsenden Sankt Petersburg lockte alle möglichen Innovatoren und Revolutionäre an. Auch die russische Arbeiterbewegung hat Wurzeln in Sankt Petersburg. Während die einen friedlich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne demonstrierten, radikalisierten sich andere. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu Terroranschlägen und Attentaten. Selbst Zar Alexander II. wurde nicht verschont. 1917 waren Unzufriedenheit und Radikalisierung so weit vorangeschritten, dass es zur kommunistischen Revolution kam. Sowjetrussland entstand.
So wie Peter der Große einst das altrussische Zarenreich loswerden wollte, wollten die Bolschewiki nun alles auslöschen, was an die kaiserliche Vergangenheit erinnerte. Auch Sankt Petersburg musste dran glauben. 1918 wurde die Hauptstadt auch aus Propagandagründen wieder nach Moskau verlegt. Man glaubte, dass die Wiege der russischen Nation eine geeignetere Hauptstadt für den Arbeiter- und Bauernstaat wäre, als die Stadt der Adeligen und Ausländer am nordwestlichen Rande Russlands.