Wie Russland seine eigene Version „amerikanischer Vorstädte“ bekam (FOTOS)

Geschichte
ANNA SOROKINA
Traditionell amerikanische Elemente der Stadtplanung wurden in der Sowjetunion beim Siedlungsbau unternommen. Heute sind diese „amerikanischen“ Vororte zum Teil noch immer bewohnt.

Stellen Sie sich eine typische amerikanische Vorstadtszenerie vor: zweistöckige Häuser mit Rasenflächen und Gärten für das sonntägliche Barbecue, weiße Lattenzäune und gepflegte  Bürgersteige. Wie viele von Ihnen würden glauben, dass so etwas in der UdSSR nicht nur möglich war, sondern auch in den entlegensten Gebieten des Landes existierte?

Berezki im Uralgebiet

Eine der bekanntesten „amerikanischen Städte“ befindet sich im Süden des Urals, in der Industriestadt Magnitogorsk. Im Jahr 1925 beschloss die sowjetische Regierung, dort ein Hüttenwerk zu errichten. Fünf Jahre später wurde ein Vertrag mit der Arthur McKee Company unterzeichnet, die die Planung und den Bau übernehmen sollte. Die amerikanischen Ingenieure trafen 1930 ein und legten einen Plan vor, der dem des US-Stahlwerks in Indiana ähnelte; allerdings wurden nicht alle Entwürfe rechtzeitig fertiggestell. Daher wurde das Projekt Ende des Jahres an sowjetische Bauinstitute weitergegeben.

Dennoch war die Siedlung Berezki, etwa sieben Kilometer vom Werk entfernt, bereits vor der Ankunft der US-Ingenieure errichtet worden. Sie bestand aus großzügigen Häusern mit Gas-, Strom- und Zentralheizungsanschluss sowie der notwendigen Infrastruktur, zu der auch traditionelle amerikanische Wege und Tennisplätze gehörten. Der Ort wurde früher Amerikanka genannt. 

Obwohl Berezki als Arbeitersiedlung eingestuft wurde, wohnten dort nie einfache Arbeiter - ihre Unterkünfte waren weitaus bescheidener - bestenfalls waren es zugige Holzbaracken. 

Nach dem Abzug der Amerikaner wurden die Hütten von der kommunistischen Parteielite bewohnt. Heute sind die meisten dieser Häuser baufällig und bis auf einige wenige nicht mehr bewohnbar.  

Das amerikanische Dorf in Nischni Nowgorod

Diese Siedlung wurde für amerikanische Ingenieure von Ford und Austin gebaut, die Ende der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre nach Russland kamen, um am Bau der GAZ-Autofabrik mitzuarbeiten.

Die Siedlung bestand aus ein- und zweistöckigen Gebäuden mit gepflegten Rasenflächen und gepflasterten Gehwegen. Es gab auch einen Club, in dem Jazz gespielt wurde, und einen speziellen Laden für die Amerikaner, in dem sie einkaufen konnten.

Die Fachleute entwickelten auch Baupläne für die Unterbringung künftiger Bauarbeiter und Arbeiter der Autofabriken - genannt Sotsgorod (zusammengesetzt aus den Worten für „sozial“ und „Stadt“), doch es wurde schließlich nur eine abgespeckte Version dieser Pläne umgesetzt. 

Anstelle der alten Gebäude im Stadtteil Avtozavodskiy sind inzwischen neue Wohngebiete entstanden. Das einzige verbliebene Gebäude der amerikanischen Siedlung ist ein Badehaus, das in ein Geschäft für Autoteile umgewandelt wurde. 

Karelische Amerikaner mit finnischen Wurzeln

In der Stadt Petrosawodsk in der Republik Karelien gilt die amerikanische Siedlung im Stadtzentrum als eine der wichtigsten Touristenattraktionen. Der kleine Bezirk umfasst nur die Straßen Anochin, Gorki und Lenin.

In den Jahren 1930 bis 1935 wurde er von 6.500 finnischen Einwanderern aus den USA besiedelt. Sie kamen auf der Suche nach Arbeit in die UdSSR, da sich die US-Wirtschaft zu dieser Zeit in einer schweren Wirtschaftskrise befand. Das neue Land wurde damals als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten angepriesen und versprach ausländischen Fachkräften den Zugang zu verschiedenen besonderen Privilegien. Die amerikanischen Finnen kamen nach Karelien, um die örtliche Forstwirtschaft zu entwickeln. Sie fielen durch ihr Aussehen im Vergleich zu den Einheimischen auf: Sie trugen lange amerikanische Mäntel und Hüte und sprachen eine Mischung aus Finnisch, Englisch und Russisch. Ihre Lieblingsspeise war Schweinefleisch mit Bohnen. 

Die amerikanische Siedlung in Petrosawodsk umfasste Holzhäuser für mehrere Familien sowie eine Cafeteria und einen Veranstaltungssaal, in dem häufig klassische finnische Stücke aufgeführt wurden. Bei der Planung der Gebäude wurde an Toiletten gedacht, obwohl es ansonsten  keine nennenswerten sanitären Anlagen gab. Heute sind von der kleinen Siedlung nur noch ein paar Gebäude übrig, die aber immer noch bewohnt sind.

Siedlung Zima auf der Insel Sachalin

Diese vorstädtische Hüttensiedlung liegt in der Nähe der Stadt Juschno-Sachalinsk. Heute ist sie ein modernes „amerikanisches Viertel“ - eine Form, die sie in den frühen 2000er Jahren annahm. Die Idee für die Gestaltung stammt von amerikanischen Architekten und Fachleuten aus der Ölindustrie, die geschäftlich in den Fernen Osten Russlands kamen. Anstelle von Straßen mit den Namen Puschkin und Gorki gibt es die Straßen Solnechny („Sonne“) und Lunny („Mond“), Svet („Licht“) und die Ulitsa Golubyh Yeley („Blaufichtenstraße“). Statt hoher Zäune blickt man auf gepflegte grüne Rasenflächen und stehende Briefkästen neben jedem Haus.

Die Straßen selbst sind mit ihren englischen Entsprechungen unter den russischen Namen versehen, so dass sich Englischsprachige bei einem Spaziergang in der Gegend wie zu Hause fühlen können. Heute sind die Hütten zu Luxusunterkünften umgebaut worden, die hauptsächlich von russischen Familien bewohnt werden.