Wie Traditionen die Romanows krank machten

Russia Beyond (Feodor III Alexeevich of Russia / Hermitage Museum / Public Domain, Teremnoy palace interior. Moscow Kremlin, Russia (CC BY-SA 3.0))
Für einen Zaren war es sehr wichtig, gesund zu sein. Doch einige Romanows erreichten dieses Ziel nicht.

Warum waren die ersten Romanows krank?

Wie der Historiker Igor Simin schreibt, waren die beiden Hauptkrankheiten der ersten Romanows die infektiöse Tuberkulose und die Rachitis, die sich meist in verkrümmten Beinen und Knochenschmerzen äußerte. Das bedeutet, dass die jungen Zaren ein schwaches Immunsystem hatten, unterernährt waren und es ihnen an Vitaminen mangelte. 

Zarewitsch Alexej Alexejewitsch (1654-1670)

Der Grund dafür lag in den Traditionen. Vor ihrem fünften Lebensjahr hielten sich sowohl die Jungen als auch die Mädchen der Zarenfamilie ausschließlich in den Gemächern der Frauen auf. Sie kamen nie an die frische Luft. In der Zarenfamilie hatte man Angst, jemand könne einen „bösen Blick“ auf die Kinder werfen, ein Aberglaube.  

Die Zimmer waren immer beheizt. Wände und Böden waren mit Stoff gepolstert, um die Wärme zu speichern; die Wiege war ebenfalls mit Stoff oder sogar mit Pelz ausgekleidet, und die Babys wurden auf Daunenfedern und Kissen unter einer Pelzdecke fest eingewickelt. Man ging davon aus, dass die Kinder sonst einen Buckel entwickeln würden. 

Kinder brauchen Bewegung, doch die Zarenkinder durften nur langsam gehen, niemals rennen oder schreien, das galt als unschicklich für Adelige. Die Kinder lernten schon in ganz junge Jahren, würdevoll aufzutreten. 

Ein Schlafzimmer (Rekonstruktion aus dem 19. Jahrhundert ) im Terem-Palast im Moskauer Kreml. Der Palast war im 17. Jahrhundert die Hauptresidenz der russischen Zaren.

Im 17. Jahrhundert waren internationale Handelswege noch nicht so schnell. Moskau ist eine nördlich gelegene Stadt. Die Winter dauern hier sieben bis acht Monate. Frisches Obst kam nur selten auf den Tisch der Zaren. Wassermelonen aus der Region des ehemaligen Khanats Astrachan wären eine Alternative gewesen, doch ausgerechnet die waren als frisches Obst durch die orthodoxe Kirche verboten, da sie angeblich an den abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer erinnerten. Also wurden die Wassermelonen gesalzen, wodurch sie den größten Teil ihrer Vitamine verloren. 

Im Jahr 1627 beschwerte sich Michail Fjodorowitsch, der erste Romanow, bei seinem Vater: „Meine Füße tragen mich kaum noch, außer vom Stuhl zum Wagen.“ Damals war er gerade 31 Jahre alt! Auch sein Enkel, Fjodor Alexejewitsch litt an dieser Krankheit. In seinen kurzen 21 Lebensjahren konnte er kaum gehen. Die chemische Analyse der sterblichen Überreste der ersten Romanows, schreibt Wera Bokowa, zeigte, dass die Blaublüter unter Rachitis gelitten hatten. 

Porträt des jungen Peter I.

Peter der Große wurde in den ersten Jahren seines Lebens auf die gleiche Weise erzogen, und auch seine Gesundheit ließ zu wünschen übrig. Was ihm wahrscheinlich half, sein Immunsystem zu verbessern, waren die militärischen Übungen, die Peter schon früh in seinem Leben absolvierte. Es sollte jedoch noch lange dauern, bis ein neuer Erbe in der russischen Königsfamilie geboren und aufgezogen wurde - das 18. Jahrhundert war voller Staatsstreiche, bei denen erwachsene Menschen den russischen Thron bestiegen.

Katharina und die englische Erziehung

Im Jahr 1754 wurde Paul I. als Sohn von Katharina und Peter III. geboren. Fast unmittelbar nach der Geburt wurde Paul in die Gemächer von Kaiserin Elisabeth, seiner Tante, gebracht. Paul wurde als lang erwarteter rechtmäßiger Erbe angesehen, weshalb seine Gesundheit und sein Wohlergehen für den Staat von höchster Bedeutung waren. Elisabeth war jedoch selbst in Moskau auf die alte Art und Weise erzogen worden und behandelte den kleinen Paul entsprechend.

Porträt von Großherzog Paul Petrowitsch (1754-1801) im Klassenzimmer.

Katharina konnte nicht gegen die Regeln von Kaiserin Elisabeth verstoßen. Stattdessen revolutionierte sie die Erziehung ihrer eigenen Enkel Alexander (geb. 1777) und Konstantin (geb. 1779), der Kinder von Paul und seiner Frau Maria Fjodorowna. 

Katharina nahm Alexander und Konstantin unter ihre persönliche Aufsicht. Sie war eine Anhängerin der so genannten „englischen“ Erziehungsmethode, die darauf abzielte, gesunde Gentlemen und keine schwachen und kranken Hänflinge heranzuziehen. Katharina schrieb über ihren Enkel: „Herr Alexanders kleines Bett, da er weder Wiege noch Bewegungskrankheit kennt, ist aus Eisen, ohne Baldachin; er schläft auf einer Ledermatratze, die mit einem Laken bedeckt ist, er hat ein Kopfkissen und eine leichte englische Decke. Seit seiner Geburt ist er daran gewöhnt, täglich in der Badewanne zu baden, wenn er gesund ist. Die Zimmer von Alexander und Konstantin wurden nur auf 19 Grad Celsius geheizt und mit ein paar Kerzen beleuchtet, nicht mit großen Kronleuchtern - um die Luft frisch zu halten.

Großherzöge Konstantin und Alexander, 1781.

In wollene Badeanzüge gekleidet, tummelten sich die Enkel im Teich von Zarskoje Selo, sehr zur Freude ihrer Großmutter. Gleichzeitig wurden sie aber auch an körperliche Arbeit gewöhnt - ebenfalls ein Novum für Russland, wo der Adel früher solche Tätigkeiten mied. Alexander und Konstantin lernten, Holz zu sägen und zu schneiden, sie malten, polsterten, mischten und verrieben Farben, hackten Brennholz, pflügten, mähten, trieben Pferde.

Porträt des Großherzogs Alexander.

Die Jungen wurden nicht von ihren Eltern getrennt - sie sahen sich regelmäßig. Paul beaufsichtigte den militärischen Unterricht und die Übungen seiner Söhne, und Maria Fjodorowna, eine Künstlerin und Bildhauerin, unterrichtete sie in den schönen Künsten und der Malerei. Beide wurden später sehr gut darin. Als Nikolaus 1796 und Michail 1798 in Pauls Familie geboren wurden, wurden sie auf dieselbe Weise erzogen wie ihre älteren Brüder. Infolgedessen waren Pauls Nachkommen wahrscheinlich die gesündesten unter den Romanows.

Zarskoje Selo im Jahr 1777.

Die Art und Weise, wie Pauls Kinder erzogen wurden, prägte - wenn auch mit kleinen Änderungen - die Erziehung der übrigen Romanows im 19. Jahrhundert. Strenge, Handarbeit, Wasseranwendungen und körperliche Betätigung waren der Kern dieser Methode. Hier ein Tagesplan, den der Dichter Wassilij Schukowski, der Erzieher von Alexander Nikolajewitsch, dem späteren Alexander II, für ihn erstellte:

„Aufstehen um 6 Uhr; von 6 bis 7 Uhr - Gebet, Frühstück, Besprechung des bevorstehenden Tages; von 7 bis 9 Uhr - Unterricht; 9-10 Uhr - Ruhe, Besuche; 10-12 Uhr - Unterricht; 12-2 Uhr - Spaziergang; 2-3 Uhr - Mittagessen; 3-5 Uhr - Ruhe, Spiele, Spaziergang; 5-7 Uhr - Unterricht; 7-8 Uhr - Gymnastik oder Spiele; 8-9 Uhr - Abendessen; 9-10 Uhr - Besprechung des vergangenen Tages; Tagebuch. Wahrscheinlich gehörte der Zarennachwuchs zu den am meisten beschäftigten Kindern im Russischen Reich!

>>> Unter welchen Krankheiten litten die russischen Zaren (Teil 1)

>>> Unter welchen Krankheiten litten die russischen Zaren (Teil 2)

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