Wie der KGB die sowjetische Miliz zerschlug

Russia Beyond (Photo: Archive photo; L.Tuchnin/TASS)
In der Silvesternacht 1981 stießen mehrere sowjetische Milizionäre am Stadtrand von Moskau mit einem KGB-Major zusammen. Sie konnten nicht ahnen, welche schrecklichen Folgen dies für sie und die gesamte sowjetische Miliz haben würde.

Am Morgen des 27. Dezember 1980 wurde ein schwer verprügelter Mann in den Vierzigern in der Nähe der Straße zum Flughafen Bykowo im Moskauer Umland bewusstlos aufgefunden. Bei ihm wurde lediglich eine Krankmeldung mit dem Vermerk „ausgestellt für KGB-Offiziere mit militärischem Rang“ gefunden.

So begann eine Geschichte, die die Führung der Sowjetunion erschütterte, die Sicherheitsdienste und die Innenbehörden des Landes an den Rand eines Krieges brachte und eine der einflussreichsten Figuren des Staates zu Fall brachte.

Der KGB nimmt die Spur auf

Major Wjatscheslaw Afanassjew (so hieß das Opfer), stellvertretender Leiter des Sekretariats des KGB, starb am 1. Januar 1981 im Krankenhaus. Da er für wichtige Arbeiten an Datenschutzsystemen verantwortlich war, wurde die Untersuchung des Vorfalls von KGB-Chef Juri Andropow zur Chefsache erklärt.

Wjatscheslaw Afanassjew.

Bald kamen die Ermittlungsabteilung des KGB und Mitarbeiter der Zweiten Hauptdirektion des KGB (Gegenspionage) zu dem unerhörten Schluss, dass Beamte des 5. Milizreviers bei der U-Bahn-Station Schdanowskaja (heute Wychino) direkt in den Tod des Majors verwickelt gewesen sein könnten. Dort hatten sich Afanassjews Spuren verloren.

Obwohl der KGB über einen enormen Einfluss verfügte, konnte er sich nicht einfach eine ganze Milizabteilung „vorknöpfen“ und Verhöre und Durchsuchungen anordnen. Dem stand Nikolai Stschelokow, der Innenminister im Wege.

In den 15 Jahren seiner Amtszeit gelang es diesem, die Autorität der Miliz auf ein noch nie dagewesenes Niveau zu heben. Er initiierte die Herausgabe von Büchern und Filmen über die Verteidiger von Recht und Ordnung und organisierte Konzerte zu deren Feiertag, am 10. November. Das Gehalt der Mitarbeiter wurden deutlich angehoben und sie wurden aktiv mit Wohnraum gesorgt. Überall im Land wurden Milizschulen eröffnet, in die sich junge Menschen massenhaft einschrieben.

Als enger Freund des Staatschefs Leonid Breschnew war Stschelokow einer der Hauptanwärter auf den Posten des Parteichefs nach dessen bald zu erwarteten Tod. Und plötzlich prallte er mit dem mächtigen Juri Andropow zusammen.

Andropow entschied sich für ein vorsichtiges, aber dennoch entschlossenes Vorgehen. Auf seinen Antrag hin wurde der Fall Afanassjew von der „neutralen“ Generalstaatsanwaltschaft der UdSSR übernommen.

Am 14. Januar 1981, als Stschelokow nicht in Moskau war, wurde eine Sonderaktion gestartet, die für die Moskauer Miliz völlig überraschend kam. Dutzende von Fahrzeugen mit KGB-Agenten und Ermittlern der Generalstaatsanwaltschaft suchten den Arbeitsplatz und die  Wohnung der Verdächtigen auf und nahmen Durchsuchungen und Verhaftungen vor.
Bei einem der Milizionäre wurde ein Notizbuch mit den Telefonnummern von Wjatscheslaw Afanassjews Kollegen gefunden und Experten fanden Spuren seines Blutes an den Wänden des Milizreviers Schdanowskaja. Die Ermittler konnten sich bald ein vollständiges Bild davon machen, was am 26. Dezember geschehen war.

Wie der KGB-Major getötet wurde

An jenem verhängnisvollen Tag war Afanassjew auf dem Heimweg von einem Fest mit Kollegen, mit denen er seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Der angetrunkene Beamte verpasste seine U-Bahn-Station und fand sich zu später Stunde an der Endhaltestelle Schdanowskaja wieder. Er wurde von Mitarbeitern der U-Bahn aus dem Waggon geholt, woraufhin sofort die diensthabenden Milizionäre dazukamen. Diese brachten den Fahrgast jedoch nicht in die Ausnüchterungszelle.

„Der (KGB-)Dienstausweis [...] hinterließ keinen Eindruck [bei den Milizionären]“, schrieb der Ermittler Wladimir Kalinitschenko in seinen Memoiren: „Sie fesselten Afanassjew die Hände auf dem Rücken und führten ihn aus der Station nach unten. Hier, unter dem Bahnsteig, befand sich das Milizrevier [...]. Wjatscheslaw Wassiljewitsch [Afanassjew] leiste schwachen Widerstand. Leider ahnte er nicht, dass die beiden jungen Männer in grauer Uniform ihn für einen ,Karpfenʻ hielten. In ihrem Jargon ist ein ,Karpfenʻ eine intelligent aussehende Person, die wahrscheinlich viel Geld hat, von dem man bei einer Durchsuchung etwas abzweigen kann und dann den Festgenommenen aller Todsünden beschuldigt.“

Nikolai Stschelokow.

Wie die Untersuchung ergab, waren solche „Nebenverdienste“ für Milizbeamte durchaus üblich. In der ersten Zeit nahmen sie nur einen Teil des Geldes aus den Brieftaschen der Betrunkenen. Später dann begannen sie, das gesamte Geld an sich zu nehmen, schlugen und töteten sogar die von ihnen aufgegriffenen Fahrgäste.

Wie sich herausstellte gingen die Milizionäre ähnlich auch in anderen Bezirken der Hauptstadt vor. Oft vertuschten die Gerichte und die Staatsanwaltschaft die Verbrechen, um das Image der sowjetischen Miliz nicht zu schädigen.

Die meisten Milizbeamten, die an diesem Tag im Revier Schdanowskaja Dienst hatten, waren selbst betrunken. Der nüchternste von ihnen, Seliwanow, erzählte dem diensthabenden Offizier, dass ein KGB-Offizier auf dem Bahnhof festgehalten und schwer verprügelt worden sei. Der diensthabende Offizier schrie, dass sie wohl alle verrückt geworden seien, und verlangte die sofortige Freilassung des Majors (die Miliz hatte kein Recht, KGB-Offiziere festzunehmen, selbst wenn sie betrunken waren – der KGB kümmerte sich selbst um sie).

Nachdem die Milizbeamten mehr oder weniger zur Vernunft gekommen waren, ließen sie Afanassjew frei. Bevor er jedoch ging, sagte der wütende Major den Satz, der ihn schließlich das Leben kostete: „Das werde ich euch niemals verzeihen, ihr Bastarde!“ Da sie wussten, dass ihnen Ärger drohte, wenn die Sache nach außen dringen würde, liefen sie dem Beamten hinterher und zerrten ihn wieder zurück.

Metrostation Schdanowskaja.

Es wurde beschlossen, ihn zu töten und die Spuren zu verwischen. Zu diesem Zweck kam Boris Baryschew, der Leiter des 5. Reviers, selbst nach Schdanowskaja. In seinem Wolga wurde Afanassjew aus der Stadt gebracht und mit einem Brecheisen und Fußtritten getötet (wie sie dachten). Sie stahlen seine Sachen und täuschten einen Raubüberfall vor. Unterwegs entkamen sie einer Verkehrskontrolle, die sie wegen eines Verstoßes anhalten wollte. Allerdings war es den Beamten der Verkehrskontrolle gelungen, das Kennzeichen des Wolgas zu notieren.

Ein Schlag gegen den Minister

Der Fall Afanassjew hat dazu beigetragen, Verbrechen und deren Vertuschung innerhalb des Innenministeriums aufzudecken. Am 21. Juli 1982 wurde Boris Baryschew zum Tode durch Erschießen verurteilt. Eine Reihe weiterer Beamter wurde zu unterschiedlichen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Massensäuberungen und Entlassungen betrafen nicht nur das 5. Revier, sondern auch andere Abteilungen in Moskau.

KGB-Chef Juri Andropow.

Anschließend wurde eine umfassende Untersuchung des Innenministeriums eingeleitet, bei der eine Vielzahl von Missständen durch Milizbeamte im ganzen Land aufgedeckt wurde. Die Glaubwürdigkeit der Miliz hatte einen vernichtenden Schlag erlitten.

Am 17. Dezember 1982, einen Monat nach dem Tod seines Gönners Leonid Breschnew, wurde Nikolai Stschelokow wegen Korruptionsvorwürfen als Innenminister entlassen. Er wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, seines Ranges als Armeegeneral enthoben und ihm wurde der Titel Held der sozialistischen Arbeit sowie aller Ehrungen mit Ausnahme derer, die er während des Zweiten Weltkriegs erhalten hatte, entzogen.

Polizisten, die an der Ermordung von Afanasjew beteiligt waren.

Am 10. Dezember 1984 schickte der verzweifelte Ex-Minister einen Brief an Konstantin Tschernenko, den neuen Staatschef der UdSSR, in dem er behauptete, er habe „nie gegen das Gesetz verstoßen, nie die Parteilinie verraten oder etwas vom Staat genommen.“ Drei Tage später erschoss er sich.

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