Von der Bibel bis Dostojewski: Welche Bücher die russischen Zaren gerne lasen

Kira Lisitskaya (Photo: imageBROKER.com/Global Look Press; Thomas Söllner/EyeEm/Getty Images)
Obwohl der Tagesablauf der Zaren voller Staatsgeschäfte war, fanden sie Zeit für einfache Vergnügungen. Sie interessierten sich sehr für Literatur und fanden in Schriftstellern manchmal Gesprächspartner, Berater und Gleichgesinnte.

Iwan der Schreckliche

Iwan IV. war nicht nur für seine strenge Haltung bekannt, sondern auch dafür, eine der umfangreichsten Bibliotheken seiner Zeit zu besitzen. Sie soll die Bände enthalten haben, die Sofia Palaiologa, die Frau des Großfürsten Iwan III.,  aus Konstantinopel mitgebracht hatte, sowie Manuskripte, die Jaroslaw dem Weisen gehörten. Der Zar selbst vergrößerte seine Bibliothek ständig. Unter anderem bevorzugte er römische Autoren – deren Werke wurden speziell für ihn übersetzt. Zum Beispiel Ab urbe condita des Titus Livius und der Codex Iustinianus. 

Peter I. 

Peter der Große sammelte seine Bibliothek im Interesse des Staates: Er bestellte Übersetzungen von Büchern über Architektur, Bau- und Ingenieurwesen sowie militärische Angelegenheiten. Auch in den Büchern spiegelte sich seine Begeisterung für das Ungewöhnliche wider: Die Sammlung des Zaren enthielt ein Buch eines deutschen Autors über originelle Vorkommnisse, die von seltsamen Menschen bis zum Flug von Kometen reichten, sowie einen detaillierten astrologischen Kalender des Dänen Tycho Brahe mit persönlichen Notizen des Gelehrten.

Katharina II.

Katharina II. hatte schon als Kind eine Vorliebe für Bücher. Bei ihrer Ankunft in Russland machte Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst das Lesen zur Pflichtbeschäftigung und behielt für den Rest ihres Lebens die Angewohnheit bei, sich morgens und abends zwei Stunden lang mit Büchern und dem Schreiben zu beschäftigen. Sie war eine eifrige Leserin: Rabelais, Montaigne und Cicero standen im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Seite für Seite studierte sie die mehrbändige Histoire générale de l’ Allemagne von Joseph Barre und die Enzyklopädie von Diderot und D'Alembert sowie  Montesquieus De l'esprit des lois (Vom Geist der Gesetze). Die Zeitgenossen bewunderten Katharinas Gelehrsamkeit: Die Zarin zitierte ohne Mühe die Werke der antiken Philosophen und kannte die Werke von Lykurg und Perikles auswendig. 

Die französischen Denker waren mehr als nur Namen auf den Titelseiten: Sie korrespondierte mit Jean-Baptiste le Rond d’Alembert und lud ihn sogar nach Russland ein – als Hauslehrer des Großfürsten Pawel Petrowitsch. Von Denis Diderot kaufte sie eine ganze Bibliothek: Die Kaiserin zahlte dem Philosophen 15.000 Livre, ernannte ihn zum Verwalter und ordnete an, ihm sofort ein Gehalt für 50 Jahre im Voraus zu zahlen. Erst nach dem Tod des Autors der Enzyklopädie zog die Bibliothek nach Russland um. 

Die wichtigste Entdeckung der Kaiserin war Voltaire. Sie war dessen große Bewunderin und korrespondierte viele Jahre lang mit ihm. Und als er starb, erwarb sie seine Bibliothek.   

Alexander III. 

„Er ist von der russischen Literatur im Allgemeinen sehr angetan. Worüber man mit ihm auch spricht, er weiß alles, er hat alles gelesen“, sagte Graf Sergej Scheremetjew über Alexander III. Der Lieblingsschriftsteller des Zaren war Fjodor Dostojewski. Auch Alexander II. und dessen anderen Söhne, die Großfürsten Sergej und Pawel, waren von dem Schriftsteller tief beeindruckt. 

Die Bekanntschaft des Thronfolgers mit dem Schriftsteller begann mit dessen Roman Schuld und Sühne, den er zusammen mit seiner Frau Maria Fjodorowna gelesen hatte. Als er vom Interesse an seiner Person erfuhr, schickte Dostojewski ihnen seine neuen Bücher – Die Dämonen, Die Brüder Karamasow und das Tagebuch eines Schriftstellers. Es entstand ein Briefwechsel, in dem Dostojewski dem Zaren den Hintergrund seiner Romane offenlegte und die Bedeutung der russischen Idee betonte. Später, als er von Dostojewskis Tod erfuhr, trauerte Alexander III. aufrichtig und glaubte, dass niemand in der Lage sein würde, diesen Verlust zu kompensieren. 

Nikolaus I.

„Sagt dem Herrscher, dass es mir leid tut, zu sterben; ich bin ganz der Seine. Sagt ihm, dass ich ihm eine lange, lange Herrschaft und Glück für seinen Sohn, Glück für sein Russland wünsche“, bat der sterbende Puschkin Wassili Schukowski dem Zaren zu übermitteln. 

1826 holte der Zar den Dichter nach dem Dekabristenaufstand aus dem Exil in Michailowskoje zurück und gewährte ihm eine Audienz, in der er ihn u.a. über den Aufstand befragte. Zum Abschied teilte ihm der Zar mit, dass er von nun an selbst der erste Leser und Zensor des Dichters sein werde. In der Tat studierte Nikolaus I. die Werke des Dichters von diesen Zeitpunkt an. Den Graf Nulin zum Beispiel hielt er für „ein höchst reizvolles Stück“, in Boris Godunow wurde vieles gestrichen, obwohl Puschkin um die Erlaubnis gebeten hatte, das Werk in der Fassung des Autors zu veröffentlichen. 

Nikolaus I. kannte auch den Autor der Toten Seelen. Nikolai Gogol wurde am Hof für seine Abende auf einem Bauernhof bei Dikanka berühmt und machte es sich zur Gewohnheit, seine neuen Werke an die Zarenfamilie zu schicken. Der Zar gestattete auch die Aufführung des Revisors im Theater und wohnte sogar der Premiere bei, wonach er seinen Ministern befahl, sich das Schauspiel anzusehen. 

Nikolaus II.

Nikolaus II. las viel und man sagt, dass er auch sehr viel dabei trank. Er war besonders von Nikolai Gogol angetan. Es kam vor, dass die Familie des letzten russischen Zaren es vorzog, in einem Buch zu schmökern, statt sich mit umtriebigen Zeitvertreib zu vergnügen. Und der Zar selbst las seiner Familie oft vor, wobei er Kapitel aus Romanen Iwan Turgenjews, Nikolaj Leskows und Anton Tschechows auswählte. Auch die Abenteuer von Sherlock Holmes und die faszinierenden Romane Die drei Musketiere und Der Graf von Monte Christo Alexandre Dumas’ und Bram Stokers Dracula gehörten zu seiner Lieblingsliteratur. Nach der Revolution vertiefte sich Nikolaus II. in das Studium von Fjodor Uspenskis Geschichte des Byzantinischen Reiches, und in Jekaterinburg widmete sich der Zar kurz vor seinem Tod der Lektüre der Bibel und der Werke Nikolai Saltykow-Schtschedrins.  

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