Die sowjetische Werbeindustrie ist in gewisser Hinsicht umstritten. Sie warb für Produkte in der Planwirtschaft, in der ein Mangel an einer Vielzahl von Konsumgütern die Regel war und es keine Vielfalt gab.
Andererseits unterschied sie sich stark von der Werbung im kapitalistischen Westen und war in dieser Hinsicht ein einzigartiges Phänomen.
Die Werbung in dem jungen sowjetischen Staat entstand in den frühen 1920er Jahren. Obwohl sie im zaristischen Russland florierte, erlebte die Branche einen Rückschlag: Nach der Oktoberrevolution 1917 und wegen des danach eingeführten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Systems musste sie bei Null anfangen.
Im Jahr 1921 legalisierte die sowjetische Regierung die gedruckte Werbung durch staatliche Organisationen, Genossenschaften und Einzelpersonen. Bald darauf warb die erste Werbeagentur, die von einer sowjetischen Zeitung betrieben wurde, für ihre Dienste. Sie umfassten die Platzierung von Anzeigen in Zeitschriften, die Verteilung von Plakaten im ganzen Land, die Verbreitung von Preislisten und Broschüren, die Veröffentlichung von Katalogen, Werbung auf Ausstellungen und Messen usw.
Paradoxerweise war die sowjetische Werbung nicht darauf ausgerichtet, Produkte zu verkaufen oder ihren Wert in den Augen der potenziellen Kunden zu steigern. Stattdessen verfolgte sie ein ganz anderes Ziel.
„Die sowjetische Werbung drängte den Käufer nicht zum Kauf eines Produkts, unabhängig von dessen Qualität. Die Aufgabe der Werbung in der UdSSR bestand darin, den Verbraucher über die Verfügbarkeit eines neuen Produkts zu informieren“, so Alexej Smirnow, der Gründer des Projekts Werbung aus der UdSSR im sozialen Netzwerk VK.
Im Laufe der Jahre wurden die sowjetischen Werbeanzeigen stilistisch vereinheitlicht. „In den späten Zwanziger- und mittleren Dreißigerjahren wurden Elemente des Konstruktivismus zu den Markenzeichen des neuen Werbestils. Fotografien, die Komposition von Text und Akzenten in vergrößerten Schriften, Ausrufezeichen und farbliche Hervorhebungen machten die Werbung ausdrucksstark und verständlich“, so Smirnow.
Laut dem Experten war die sowjetische Werbung zu diesem Zeitpunkt „ideologisiert und gehörte zu Instrumenten der politischen Einflussnahme auf die Gesellschaft. Sie trug dazu bei, Einstellungen und Werte zu schaffen, die für die Regierung vorteilhaft waren. Es handelte sich um eine sozialistische Werbung mit einem gut durchdachten System von Argumenten, unterstützt durch geeignete Symbole, mit klar definierten sozialen und politischen Prioritäten.“
Obwohl diese Art von Werbung beim Publikum auf keine breite Ablehnung stieß, hatte die sowjetische Bevölkerung gemischte Gefühle dabei. „Die Haltung gegenüber der Werbung war die gleiche wie gegenüber der Propaganda. In Anbetracht der Tatsache, dass die kulturelle und bildungsmäßige Entwicklung der sowjetischen Bevölkerung [zwischen] den 1950er und 1980er Jahren zunahm, rief die sowjetische Werbung eine teils ironische, teils skeptische Reaktion hervor“, so Alexej.
Eine weitere überraschende Tatsache über die sowjetische Werbung ist, dass sie trotz des Defizits an einigen Waren und Dienstleistungen in der sowjetischen Planwirtschaft existierte. Ironischerweise mussten die Behörden eingreifen, um die Hersteller zur Werbung ihrer Produkte anzureizen.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre „verlangte Leonid Breschnew, damals Generalsekretär der Kommunistischen Partei, dass die Hersteller im ganzen Land Geld für Werbung ausgeben sollen. Von da an sollte jedes Unternehmen, ob groß oder klein, ein Prozent seines Umsatzes dafür ausgeben“, erzählt Smirnow.
Diese Regelung bewog die Hersteller dazu, merkwürdige Werbestrategien zu verfolgen. So stellte beispielsweise die sowjetische Parfümfirma Dzintars Produkte her, die sich kaum voneinander unterschieden, und warb dennoch für sie alle.
Überraschenderweise war es einigen westlichen Unternehmen erlaubt, auf dem sowjetischen Markt zu werben. Was sowjetische Werbung im Ausland betrifft, „präsentierte sie das Produkt, ohne den Käufer von dessen Notwendigkeit zu überzeugen“, fügt Smirnow hinzu.
Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre begannen einige ausländische Firmen, in der UdSSR Werbung zu schalten. Smirnow zufolge „gab es sogar eine Broschüre mit Preisen für Anzeigen, die von ausländischen Organisationen in den sowjetischen Medien veröffentlicht wurden. So kostete zum Beispiel eine Seite in der Zeitung Nedelja (zu dt. Woche) – einer Sonntagsbeilage der Iswestija – 2856 Rubel, die dritte oder vierte Seite der Zeitschrift Neue Waren 225 Rubel und eine Minute im Fernsehen 400 Rubel.“
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