>>> Deutschsprachige Zeitungen in Russland (TEIL 1): von den Anfängen bis zur Revolution 1905
Der Sturz der Monarchie und die Oktoberrevolution
Im Jahr 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und eine Welle antideutscher Stimmung erfasste das Russische Reich. In den folgenden Jahren wurden deutschsprachige Publikationen eingestellt, zum Teil auf eigenen Beschluss der Redaktion. Zu diesem Zeitpunkt war die älteste fremdsprachige Zeitung, die St. Petersburgische Zeitung, bereits 188 Jahre alt. Das letzte deutschsprachige Presseerzeugnis beendete im Dezember 1916 sein Bestehen. Anfang 1917 dankte Zar Nikolaus II. ab und die Provisorische Regierung wurde eingesetzt.
Es kam zu einer Wiederbelebung der deutschsprachigen Presse. Die regionalen Verbände der Deutschen spielten in diesem Prozess eine wichtige Rolle, da sie ihre Medien mit vereinten Kräften aufbauten. In Moskau zum Beispiel begann das Flugblatt des Moskauer Verbandes russischer Staatsbürger deutscher Nationalität zu erscheinen. Das Format der Broschüren, die eher nach Gelegenheit als nach einem Zeitplan herausgegeben wurden, erfreute sich großer Beliebtheit. Einige der Flugblätter entwickelten sich im Laufe der Zeit zu vollwertigen Zeitungen, wie die Saratower Deutsche Volkszeitung. Das von den Wolgadeutschen produzierte Blatt hatte im Herbst 1917 eine Auflage von 11.000 Exemplaren. Einigen Verbänden gelang es, von Beginn an eine vollwertige Zeitung herauszugeben, wie zum Beispiel den Sibirischen Boten. Er erschien jedoch nicht lange, denn am 31. Dezember 1917 wurde er unter dem Vorwurf der Spionage geschlossen. Es gab einige Versuche, die früheren Ausgaben wiederzubeleben, zum Beispiel wurde die Odessaer Zeitung kurzzeitig wieder ins Leben gerufen.
Unter der sowjetischen Herrschaft dienten die deutschsprachigen Medien als Sprachrohr der offiziellen Propaganda und als Instrument der ideologischen Beeinflussung. Die Wolgaregion wurde zum Zentrum der deutschen Presse: 1918 begann sich eine nationale Autonomie, die Arbeitskommune des Gebiets der Wolgadeutschen, zu bilden, aus der später die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen hervorging. Die wichtigste Zeitung der Region waren die Nachrichten, die aktiv die Feinde der Sowjetunion kritisierten und das Sowjetregime verherrlichten. In den Kantonen der ASSR gab es eine Reihe von Presseorganen, deren Auflage in den 1930er Jahren einen Höhepunkt erreichten. Bis 1941 erschienen in der Region etwa 50 deutschsprachige Publikationen. Darunter waren einige, die sich an Jugendliche, Pioniere und Komsomolzen wandten, wie die Rote Jugend.
Auch in Moskau, Leningrad, im Transkaukasus und im Süden des Landes wurde deutschsprachige Presseerzeugnisse veröffentlicht. Die meisten der zahlreichen deutschen Städte und Unternehmen in der UdSSR verfügten über eigene Printmedien. Eine der am längsten überlebenden Zeitungen war die Deutsche Zentral-Zeitung in Moskau, das Presseorgan der deutschen Sektion der Kommunistischen Internationale, die über wichtige Entscheidungen der Behörden sowie wirtschaftliche und internationale Neuigkeiten berichtete und Übersetzungen von Artikeln aus der Prawda, des von Lenin gegründeten Zentralorgans der KPdSU, veröffentlichte.
Als Ende der 1930er Jahre die deutschen Bezirke in den Regionen der Sowjetunion aufgelöst wurden, begannen auch die deutschsprachigen Publikationen zu verschwinden. Die Spannungen in der Welt wuchsen, und auch das Misstrauen gegenüber den Sowjetdeutschen nahm zu. Nach 1939 gab es nur noch in der Wolga-ASSR deutschsprachige Zeitungen. Aber aus Kostengründen begannen auch dort die russischen und deutschen Medien zu fusionieren – die Redaktionen begannen, zwei Versionen der gleichen Publikation in beiden Sprachen zu produzieren.
Der Zweite Weltkrieg und das Ende der UdSSR
Die Geschichte der deutschsprachigen Presse in der UdSSR wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Nach dem Ausbruch der Repressionen gegen die Sowjetdeutschen wurde die Wolga-ASSR aufgelöst und die deutschsprachige Presse offiziell abgeschafft.
Die einzige Ausnahme war Das Freie Wort, das 1941-1943 für deutsche Kriegsgefangene veröffentlicht wurde. Eine Lockerung des Verhältnisses zur deutschsprachigen Presse erfolgte erst Mitte der 1950er Jahre, als das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR einen Erlass zur Aufhebung der Beschränkungen des Rechtsstatus von Deutschen und ihren Familienangehörigen in den Sondergebieten erließ.
Kurz vor der Unterzeichnung dieses Dekrets, am 10. Dezember 1955, wurde in Barnaul, Altai, die erste deutschsprachige Nachkriegszeitung Arbeit herausgegeben.
Die Redaktion selbst nannte deren Gründung „ein wichtiges politisches und kulturelles Ereignis im Leben des Altaigaus“ und berichtete, dass sie „nochmals die unermüdliche Fürsorge der kommunistischen Partei um das Anwachsen der Kultur und des materiellen Wohlstandes der Völker unserer großen Heimat bestätigt“. Die Zeitung sollte wahrer Propagandist, Agitator und Organisator des Kampfes der Werktätigen werden, parteipolitische und ideologische Arbeit entfalten, über die Produktionserfolge der Arbeiter berichten und den technischen, landwirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt in jeder Hinsicht fördern. Sie wurde später durch die Rote Fahne ersetzt, die später in Zeitung für Dich umbenannt wurde.
1957 erschien in Moskau die Zeitung Neues Leben, die vom Verlag der Zeitung Prawda herausgegeben wurde. Die Redaktion begann sehr zurückhaltend mit allgemeinen Nachrichten und entwickelte nach und nach eine regelmäßige Rubrik, die Nachrichten aus dem In- und Ausland, Wirtschaft, Kinder- und Jugendthemen, Literatur und Humor umfasste. 1981 wurde die Zeitschrift Heimatliche Weiten:Sowjetdeutsche Prosa, Poesie und Publizistik ins Leben gerufen und bis 1990 fortgeführt. Im Jahr 1966 wurde in Alma-Ata die Zeitung Freundschaft gegründet.
In den 1990er Jahren, als eine weitere Periode des Wandels in der russischen Geschichte begann, wurde die Zeitung Neues Leben von der Prawda unabhängig; sie wurde nun in Russisch herausgegeben, ohne ihren Fokus auf die Russlanddeutschen zu verlieren, und existierte in dieser Form bis in die 2010er Jahre. Die Zeitung für Dich entwickelte sich 2006 zu einer monatlichen Beilage der Altaiskaja Prawda, bewahrte dabei allerdings ihre nationale Identität. In St. Petersburg wurde versucht, die Sankt-Petersburgische Zeitung wiederzubeleben, aber die kleine Leserschaft und die geringe Nachfrage erschwerten dieses Vorhaben erheblich. Auch eine andere lokale Publikation, die Moskauer Deutsche Zeitung, wurde in Moskau wiederbelebt und existiert noch heute. Zu den Lesern gehören nicht nur Russlanddeutsche, sondern auch Deutschlernende, die Nachrichten über Ereignisse in Russland und Deutschland auf Deutsch lesen wollen.
Die Geschichte der deutschen Presse in Russland spiegelt alle Wechselfälle des Schicksals der Russlanddeutschen wider. Unter den sowjetischen Publikationen in deutscher Sprache gab es jedoch auch solche, die nicht mit der nationalen Minderheit verbunden waren, wie die Zeitschrift Sowjetunion.
Ihr Zielpublikum waren Ausländer aus sozialistischen und kapitalistischen Ländern sowie aus der Dritten Welt, und ihr Ziel war es, die Vor- und Nachteile des Lebens in der Sowjetunion darzustellen. Die Ausgaben wurden auf Russisch erstellt und anschließend in 18 Sprachen, darunter auch Deutsch, übersetzt. Die Zeitschrift hatte ein großes Format, wurde auf hochwertigem Papier gedruckt und enthielt ausführliche Artikel über Kultur, das Leben in der UdSSR, wirtschaftliche und technische Errungenschaften, Kunst und Sport. Diese Materialien wurden von anschaulichen Fotos und Illustrationen begleitet. Die Zeitschrift wurde sogar mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet – „für große Verdienste um die Berichterstattung über die sowjetische Lebensweise, die innere und internationale Politik der KPdSU und des Sowjetstaates, die Propagierung der Ideen des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit, der Freundschaft und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern.“