Wie in der UdSSR Musik auf Röntgenbildern aufgezeichnet wurde (FOTO)

Geschichte
RUSSIA BEYOND
Während des Kalten Krieges war westliche Musik – Boogie-Woogie, Rock 'n' Roll, Jazz - in der UdSSR halblegal. Aber es wurde einen genialen Weg gefunden, um Raubkopien aufzuzeichnen – auf Röntgenfilmen.

In der UdSSR gab es nur wenige Menschen, die in der Lage waren, westliche Musik auf originalen Schallplatten zu hören. Solche Schallplatten waren in dem Land sehr selten und kosteten ein Vermögen, und als der Eiserne Vorhang fiel, wurde es immer schwieriger, sie zu bekommen. Fast alle Musik, die mit westlicher Musik in Verbindung gebracht wurde – Rock 'n' Roll, Jazz, Boogie-Woogie – war offiziell verboten (sie kompromittierte diejenigen, die sie hörten), und der Verkauf von Schallplatten unter der Hand war strafbar (ab Oktober 1931 wurde der gesamte private Handel mit ausländischen Platten in der UdSSR verboten; später wurde dem Strafgesetzbuch der Paragraph Spekulation beigefügt, der zu einer Haftstrafe von sieben Jahren führen konnte).

Damals tauchte ein einzigartiges Musikmedium im Land auf – selbstgefertigte LPs, die aus Röntgenbildern hergestellt wurden. Sie wurden Knochen-Platten, Rippen-Platten oder einfach Rippen genannt.

Der Markt für Knochen

Die Verbreitung der Rippen erreichte ihren Höhepunkt in den 1940-50er Jahren, als die sowjetische Schallplattenindustrie unter die vollständige Kontrolle der staatlichen Zensur geriet. Auf den üblichen Schallplatten waren die Lieder der Volkskünstler der UdSSR zu finden, aber jede andere Musik, die nicht von den Behörden genehmigt war, galt als inoffiziell und hatte keine Chance, legal aufgenommen zu werden.

So wurden auf Rippen neben Frank Sinatra, den Beatles, Chuck Berry und Elvis Presley die Lieder von ausgewanderten Emigranten aufgenommen, die in ihrer Heimat zu Volksfeinden erklärt worden waren; Sänger, die wegen antisowjetischer Verbrechen angeklagt worden waren (Peter Leschtschenko und Konstantin Sokolskij, zum Beispiel, waren des Hochverrats bezichtigt worden, während Wadim Kosin wegen Homosexualität verurteilt und in den Gulag geschickt worden war). Blatnyje pesni (Lieder im Slang von Ganoven), die sich bei den Massen großer Beliebtheit erfreuten, konnten auch nicht auf offiziellem Wege aufgenommen werden.

So wie es in der UdSSR eine im Untergrund veröffentlichte Literatur – den Samisdat – gab, gab es auch einen Schwarzmarkt für selbst aufgenommene Schallplatten. In den großen Städten, vor allem in Moskau und Leningrad (heute St. Petersburg), entstand eine ganze Industrie, die Musik auf Knochen produzierte und verkaufte.

Warum eigentlich Röntgenbilder?

Es waren in der Tat richtige Röntgenbilder von gewöhnlichen Menschen: Sie zeigten Gelenke, die Wirbelsäule, den Brustkorb – letzteres am häufigsten, weil regelmäßige Röntgenaufnahmen im Rahmen der Tuberkulosevorsorge für jeden in der UdSSR obligatorisch waren. Das Material war billig und leicht verfügbar. Ganze Stapel von Röntgenbildern wurden von den städtischen Polikliniken kostenlos oder gegen einen geringen Obolus abgegeben: Mindestens einmal im Jahr mussten sie dieses brandgefährliche Material loswerden. Andererseits war ein flexibles Röntgenbild perfekt, um eine Tonaufzeichnung darauf anzufertigen.

Es wird angenommen, dass die sowjetischen Musikliebhaber die Entstehung der Musik auf Knochen Ruslan Bogoslowskij zu verdanken haben, einem Einwohner von Leningrad, der ein selbstgebautes Aufnahmegerät erfand und ein Untergrundstudio namens Salatája sabáka (Goldener Hund) gründete.

„Nachdem er im Studio von Filon (dem Gründer von Swukosápisi, von dem Bogoslowskij die Idee der Aufzeichnung auf halbweichen Scheiben übernommen hatte) das Funktionsprinzip der Maschine gründlich studiert und die notwendigen Messungen vorgenommen hatte, fertigte Ruslan Konstruktionszeichnungen an und fand einen Universaldreher, der die notwendigen Teile anfertigte. Im Sommer 1947 war die großartige Maschine für die mechanische Tonaufzeichnung fertig“, schrieb Boris Tajgin, einer der Produzenten solcher Platten, in einem Artikel für die Zeitschrift Pschelá.

Der Apparat ähnelte einem Grammophon, funktionierte aber in umgekehrter Richtung. Anstelle einer Nadel, die die Musik auf der Schallplatte las, hatte es eine Aufzeichnungsnadel. Die Musik brachte das Gerät zum Vibrieren und hinterließ entsprechende Rillen im Röntgenbild. Eine solche selbstgemachte Platte klang viel schlechter als eine Vinylplatte. Sie knisterte, und das Knistern war fast so laut wie die Musik selbst. Aber die Qualität war immer noch gut genug, um das Lied zu hören.

Harte Strafen

Die Tatsache, dass die Rippen aus flexiblem Material bestanden, erleichterte den Verkauf erheblich. Der Verkäufer, umgangssprachlich Farzówschtschik (Schwarzhändler für ausländische Waren) genannt, konnte 20-25 Platten im Ärmel verstecken.

In der Regel arbeiteten die Farzowschtschiki zu zweit: Einer verhandelte mit dem potentiellen Käufer, während der zweite mit der Ware in der Nähe stand. Eine solche Platte konnte man für eineinhalb Rubel kaufen. Für die Studenten, die das Hauptzielpublikum der Schwarzhändler waren, war das kein geringer Betrag. „In meiner Studentenzeit konnte ich mit einem Rubel den ganzen Tag über sehr gut auskommen. Ich konnte dafür Frühstück, Mittag- und Abendessen kaufen“, erinnert sich der sowjetische Musikkritiker und Schallplatten-Sammler Naum Schafer.

Auch die Verkäufer verdienten gutes Geld damit, riskierten aber jedes Mal ihre Freiheit. Der Verkauf unter der Hand war, wie jedes private Unternehmertum in der UdSSR, verboten. Die Hauptproduzenten der Rippen in Leningrad, Ruslan Bogoslowskij und Boris Tajgin, wurden wiederholt verhaftet, was jedoch nicht zur Auslöschung der illegalen Herstellung führte.

Beim ersten Mal wurde Bogoslowskij zu drei Jahren und Tajgin zu fünf Jahren verurteilt. Nach ihrer Freilassung stellten sie jedoch ihre Ausrüstung wieder her und begannen sofort von vorn. Vier Jahre später wurde Bogoslowskij abermals verhaftet und erhielt erneut drei Jahre Haft. In dieser Zeit hatte er eine Methode entwickelt, um zu Hause harte Schallplatten zu produzieren, und nach seiner Entlassung begann er mit deren Produktion – wofür er ein drittes Mal im Gefängnis landete. 

Was den sowjetischen selbstgefertigten Schallplatten wirklich den Todesstoß versetzte, war der technische Fortschritt: Als Tonbandgeräte auf den Markt kamen, wurden die Schallplatten auf Knochen überflüssig.