Wie aus Napoleons Soldaten russische Kosaken wurden

Geschichte
BORIS JEGOROW
Die „furchterregenden und grausamen“ russischen Kosaken waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ganz Europa gefürchtet. Dies hinderte jedoch einige „zivilisierte“ französische Offiziere nicht daran, sich gerne in ihre Truppen einzureihen.

„Von großer Statur, mit zurückgeschobenen Pelzmützen, starrten sie mit Augen voller Grausamkeit, schüttelten ihre blutbefleckten Spieße und hängten sich Halsketten aus Menschenohren und Uhrenketten um den Hals...“ – so stellten sich die Franzosen die Kosaken vor, die 1814 als Teil der russischen Armee in ihr Heimatland einmarschierten.

Die irregulären Kosakenregimenter, die bei der Invasion Napoleons in Russland und den darauffolgenden Schlachten in Europa so erfolgreich gegen die „Große Armee“ gekämpft hatten, waren für die Franzosen echte Exoten. Die wilden, bärtigen „Nordbären“ waren ein anschauliches Symbol der „russischen Barbarei“.

Umso überraschender ist, dass sich eine Reihe französischer Soldaten und Offiziere Napoleons freiwillig und sogar mit großem Wunsch den russischen Kosaken anschlossen. Wie ist das passiert?

Der lange Weg

Mehr als 400.000 Soldaten der „Großen Armee“ drangen im Sommer 1812 in das Gebiet des Russischen Reiches ein. Später kamen Reserven von weiteren 200.000 Soldaten aus Europa hinzu.

Am Ende des Jahres hatten nur 80.000 dieser riesigen Masse zusammen mit dem Kaiser das unwirtliche Land verlassen, während 300.000 bis 400.000 in der Schlacht gefallen, an Hunger und Krankheiten gestorben oder desertiert waren. Rund 200.000, darunter „48 Generäle und 4.000 Offiziere“, wurden von den Russen gefangen genommen.

Es war fast unmöglich, so viele Gefangene in dem vom Krieg verwüsteten westlichen Teil des Reiches zu halten, und die Franzosen wurden nach Osten, tief in das weite Land hinein, eskortiert, „um die Bevölkerung nicht zu belasten und sie an der Flucht zu hindern“.

Man bemühte sich, die Franzosen ausreichend zu verpflegen und angemessen zu kleiden, doch wurden sie zumeist im Winter in leichten Sommeruniformen an den Ort ihrer Gefangenschaft geschickt. Die Kriegsgefangenen starben an Erfrierungen und an Epidemien „bösartiger und ansteckender Krankheiten“, aufgrund derer die Bewohner der Städte und Dörfer sich weigerten, sie auf ihrem Weg in die Verbannung in die Nähe ihrer Wohnstätten zu lassen.

Viele haben jedoch die beschwerliche Reise überstanden. Infolgedessen gelangten etwa 170 Offiziere und über 1.700 einfache Soldaten aus Napoleons Armee nach Orenburg (an der Grenze zum heutigen Kasachstan), wo die französischen Kosaken schließlich auftauchten.

Neue Heimat

Es hatte keinen Sinn, die Gefangenen in einer so abgelegenen Provinz unter ständiger Bewachung zu halten. Sie konnten nirgendwo anders hin: Von Orenburg bis zur Westgrenze des Russischen Reiches waren es über 2.000 Kilometer.

Die Beamten erhielten Zulagen vom Staat und mieteten sich sogar eine Wohnung. Außerdem bot ihnen der lokale Adel, der vom fernen Frankreich begeistert war, mit großer Freude Unterschlupf. Die einfachen Soldaten, die einen geringeren Sold erhielten, wurden auf Bauernhöfen untergebracht, wo sie ihre Gastfreundschaft mit harter körperlicher Arbeit bezahlen mussten.

Die Einwohner, die die Folgen der französischen Invasion noch nicht zu spüren bekommen hatten, waren gegenüber ihren vorübergehenden Besuchern eher zurückhaltend. Die Achtung der örtlichen Sitten und Gebräuche war eine wesentliche Voraussetzung für gute Nachbarschaft.

Die Deutschen, die in der „Großen Armee“ gedient hatten, waren die ersten, die 1813 repatriiert wurden, und am 14. Dezember 1814 wurde die Erklärung veröffentlicht, mit der „alle französischen Gefangenen freigelassen wurden“.  

Wie sich herausstellte, beschlossen viele, das „wilde Russland“ nicht zu verlassen. Während ihre Aussichten im kriegsgebeutelten Europa trübe waren, galten sie hier als Angehörige der Hochkultur, und man bot ihnen bereitwillig Stellen als Erzieher für die Kinder von Adeligen, ein gutes Gehalt und ein Dach über dem Kopf an. Insgesamt etwa 60.000 französische Gefangene im Reich wurden freiwillig zu russischen Untertanen.

Französische Kosaken

Im Gouvernement Orenburg gab es etwa fünfzig Personen, die in ihrer Wahlheimat bleiben wollten. Sie lernten aktiv Russisch, konvertierten zum Russisch-orthodoxen Glauben, und diejenigen, die vorerst noch nicht ihre Religion wechseln wollte, bekreuzigten sich vor Ikonen und vor der Einnahme der Mahlzeiten.

In der Stadt Birsk eröffnete ein geschäftstüchtiger Franzose ein Pariser Café. Andere bauten ein erfolgreiches Geschäft mit der Herstellung und dem Verkauf von Strohhüten für einheimische Modefans oder mit der Fertigung der damals sehr beliebten Spielwürfel auf.

Einige entschlossen sich zu einem für Franzosen unglaublichen Schritt: Sie wurden das, was jeder „zivilisierte“ Mensch fürchtete wie das Feuer – zu „wilden“ Kosaken. Ende 1815 wurden die ersten fünf Freiwilligen dem Orenburger Kosakenheer zugeteilt.

Der Autor des monumentalen Erläuternden Wörterbuchs der großrussischen Sprache, Wladimir Dahl, erinnerte sich daran, wie er 1833 im Ural einem französischen Kosaken persönlich begegnete: „Unsere Kosaken nahmen ihn 1812 gefangen, brachten ihn hierher in den Ural, er ließ sich nieder, heiratete und schrieb sich bei den Kosaken ein – hier haben Sie den französischen Kosaken Charles Bertu!“

Die genaue Zahl der Franzosen, die sich den Kosaken anschließen wollten, ist nicht bekannt.

Es ist erwiesen, dass es Ende des 19. Jahrhunderts in den Reihen der Orenburger Armee 48 Nachkommen von Gefangenen der „Großen Armee“ gab.

Einige der Kinder von Franzosen, die sich den Kosaken angeschlossen hatten, machten eine glänzende Karriere. Der Sohn von Désiré d'Andeville, der für Napoleon gekämpft hatte, erlangte den Rang eines Generals und zeichnete sich im russisch-türkischen Krieg von 1877-1878 und in den Feldzügen anlässlich des Anschlusses Zentralasiens an das Russische Reich aus. 

Mit der Zeit verloren die französischen Kosaken zunehmend ihre ursprüngliche Identität. Um unter ihren Mitstreitern nicht aufzufallen, passten sie ihre Nachnamen aktiv den russischen Gepflogenheiten an. So nannten sich zum Beispiel die Enkel des Offiziers Jean Gendre bereits Schandrow. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die „napoleonischen“ Kosaken schließlich assimiliert.