Wie ein Taschendieb der Tochter eines Kremlchefs eine Diamantbrosche stahl

Kira Lisitskaya (Photo: Westend61/Getty Images; Yuri Somov/Sputnik; Global Look Press)
Zu viele Fragen blieben bei den Ermittlungen offen, die viele Karrieren mächtiger sowjetischer Beamter hätten jäh beenden können.

In einer Julinacht des Jahres 1981 versammelten sich privilegierte Kinder hochrangiger sowjetischer Beamter im Archangelskoje-Palast in der Nähe von Moskau. Das gesamte historische Anwesen war für eine Privatparty reserviert, die Gelegenheit zu einem Diebstahl bot und schließlich in einem Mord endete.

In der Nacht des 28. Juli 1981 steuerten Privatautos den Archangelskoje-Palast bei Moskau an. Kinder hochrangiger sowjetischer Beamter trafen sich zu einer nächtlichen Party, auf der Champagner floss, zu verbotener westlicher Musik getanzt wurde und der anstößige Reichtum eben jener Leute zur Schau gestellt wurde, die angeblich die egalitäre sowjetische Gesellschaft aufgebaut hatten.

Archangelskoje-Palast.

Die Tochter des damaligen sowjetischen Staatsoberhaupts Leonid Breschnew, Galina Breschnewa, war häufig auf solchen Partys anzutreffen. Und auch an diesem Abend ließ sie sich das Vergnügen nicht entgehen. Sie erschien stilvoll, herausgeputzt und mit Diamanten geschmückt.

Galina Breschneva.

Doch eine Reihe unglücklicher Zwischenfälle sollte den nächtlichen Spaß trüben. Zunächst beschwerte sich einer der Gäste bei der Verwaltung des Anwesens, dass ihm ein exklusives Zigarettenetui abhandengekommen war. Dann bemerkten auch andere Gäste, dass ihnen etwas fehlte. Schließlich verkündete Breschnews Tochter zum Staunen aller, eine Diamantbrosche zu vermissen, die sie angeblich für diesen Anlass aus dem Diamantenfonds der Kreml-Waffenkammer geliehen hatte. 

Verschiedene Diamant- und Smaragdbroschen aus dem Diamantenfonds der UdSSR.

In fiebriger Hast durchsuchten die Mitarbeiter alle Räume des Anwesens. Sie hofften noch, das Schmuckstück zu finden, als sie eine weitere schockierende Entdeckung machten. Eines der Fenster war angelehnt und eine Blutspur führte in den Wald. Als sie dieser Spur folgten, stießen sie auf die Leiche eines niedergestochenen Mannes.

Der Tatort

Die Moskauer Polizei traf umgehend am Tatort ein. Die unmittelbare Beteiligung von Breschnews Tochter machte den Fall für die obersten Ränge der sowjetischen Polizei, die um ihre Ämter fürchten mussten, äußerst brisant. Hier waren die besten Ermittler gefragt.

„Es war ein echter Ausnahmezustand. Ich persönlich kann mich an so einen Fall nicht erinnern“,sagte der leitende Ermittler Arkadij Tschernow in einem Interview, das er Jahre später, bereits nach dem Zerfall der UdSSR, gab.

Die Polizei konnte den Verstorbenen schnell identifizieren. Der Name des Mannes war Nikolai Risunow, ein ehemaliger Taschendieb, der sich in der kriminellen Unterwelt zu einem bekannten Mitglied der Bande „Diebe im Gesetz“ hochgearbeitet hatte. 

Die verblüfften Ermittler erkannten, dass der Mord an diesem Kriminellen in Kombination mit der verschwundenen Brosche und Breschnews Tochter schnell außer Kontrolle geraten konnte, und begannen mit der Befragung der Partygäste. Bald hatten sie ihren Verdächtigen.

Der erste Verdächtige

Einer nach dem anderen erinnerten sich die Gäste an einen jungen Mann, der sie beim Tanzen angerempelt hatte. Da sie seinen richtigen Namen nicht kannten, nannten die Ermittler den Verdächtigen den „Taschendieb“. Sie wussten, dass der Taschendieb mit einem der Gäste namens Inga Solowej kam, der 18-jährigen Tochter eines anderen hochrangigen sowjetischen Beamten. 

Die Ermittler befragten sie, konnten ihr aber nicht die wahre Identität des Verdächtigen entlocken. „Es war klar, dass das Mädchen keine wahrheitsgemäße Aussage machte und versuchte, ihren Bekannten zu schützen“, so Chefermittler Tschernow.  Kurz der Festnahme Solowejs erfuhren die Ermittler, dass das Mädchen schwanger war. 

Da die Ermittler unter dem Druck standen, den Fall schnell lösen zu müssen, die unkooperative Verdächtige sich aber wehrte, entwickelten sie einen besseren Plan, als das sture und schwangere Mädchen weiter zu einem Geständnis zu drängen. Sie beschlossen, sie gehen zu lassen, zugleich aber eine verdeckte Überwachung des Mädchens rund um die Uhr einzurichten.

„Ich habe nichts geahnt. Ich dachte, mein Vater hätte mich da rausgeholt. Ich fing an, meine Freunde anzurufen, meine Freundinnen“, sagte Solowej in einem Interview, das sie Jahre später gab.

Zum Unmut der Ermittler wurde das Mädchen jedoch nur von einer einzigen Freundin besucht. Von dem gesuchten „Taschendieb“ gab es keine Spur.

Der Magier

Eines Tages wurden die Ermittler von ihren Informanten auf einen Magier aufmerksam gemacht, der in einem Restaurant eines Moskauer Luxushotels Zaubertricks vorführte. Offenbar konnte der Zauberer verschiedene Gegenstände wie Spielkarten und Zigarettenschachteln in eine leere Glasflasche befördern. Die Polizei wusste schnell, dass es sich um ihren Verdächtigen handelte, als das Personal des Restaurants seine Ähnlichkeit mit dem Phantombild der Polizei bestätigte.

Taschendieb Andrej Kurdjajew.

Es folgte ein Abgleich mit den Absolventen verschiedener Zirkusschulen in der gesamten UdSSR. Bei der Durchsicht der Akten fanden sie ihren Verdächtigen: einen 19-jährigen Mann namens Andrej Kurdjajew. 

Er stammte aus der Familie des Zirkusartisten Leonid Kurdjajew in Kiew. Dieser lehrte seinen Sohn die Kunst der Darbietung, schaffte es aber nicht, ihn zu einem Artisten zu machen, da er nach einem Unfall, der sich während einer seiner Vorstellungen ereignete, arbeitsunfähig wurde. Sich selbst überlassen, schlug der Sohn einen kriminellen Weg ein.

In der sowjetischen Hauptstadt verdiente Andrej Kurdjajew sein Geld mit Taschendiebstählen und Zaubertricks für das Publikum.

Während eines entspannten Aufenthalts an einem der Moskauer Strände lernte der gerissene Zauberer die Tochter des hochrangigen sowjetischen Beamten kennen. Für Kurdjajew war das verliebte Mädchen sein Weg an die Spitze der sowjetischen Gesellschaft; für Solowej war er ein talentierter Zirkusartist, der sich vor mächtigen Feinden verstecken musste. Das Paar verliebte sich ineinander.

Ein verdächtiger Tod

Als die Ermittler die früheren Fotos von Andrej Kurdjajew mit den Fotos des Überwachungsteams, das auf Solowej angesetzt war, verglichen, stellten sie fest, dass der Verdächtige ihnen die ganze Zeit vor der Nase herumgelaufen war und während der Ermittlung seine Geliebte Inga Solowej besucht hatte. Nur war er als Frau verkleidet. Die Polizei verhaftete Kurdjajew und ließ ihn zum Verhör auf eine Wache bringen.

Die Ermittler bekamen jedoch nicht viele Informationen aus Kurdjajew heraus. Dieser bewahrten Ruhe und gab nicht viel preis. Die Ermittler hatten den Eindruck, dass der Mann etwas oder jemanden fürchtete, was sie zu der Annahme veranlasste, dass es noch Hintermänner der Ereignisse gab. Direkte Beweise für ihren Verdacht hatten sie jedoch nicht.

Außerdem gab es ein Geständnis des Mannes, wenn auch ein sehr knappes. „Ich werde mir nie verzeihen, was geschehen ist. Ich habe niemandem außer mir selbst die Schuld zu geben. Ich war ein Opfer meiner eigenen Dummheit und Arroganz. Aber es ist nicht Ingas Schuld“, sagte der Beschuldigte.

Kurdjajew gestand auch, Nikolai Rizunow erstochen zu haben, der ihn während der Party unter vier Augen zur Rede gestellt hatte. Die Diamantbrosche von Breschnews Tochter jedoch wollte er nicht gestohlen haben.

Formal war das Verbrechen aufgeklärt. Der leitende Ermittler Arkadij Tschernow fragte sich jedoch, warum der Verdächtige so ängstlich und unkooperativ war, obwohl er alle ihm zur Last gelegten Verbrechen bis auf eines gestanden hatte. Tschernow sollte nie Antworten auf diese Fragen erhalten. Zwei Wochen nach seiner Verhaftung wurde Kurdjajew erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Die offizielle Version lautete, er habe Selbstmord begangen. Bis heute bezweifeln jedoch viele diese Behauptung. Als Inga Solowej vom Tod des Mannes erfuhr, den sie liebte, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und eine Fehlgeburt.

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