Ziegen, Vögel und ein kotzender Bär: So feierte die amerikanische Botschaft im Jahr 1935

Russia Beyond (Legion Media; Bas Lurman/Warner Bros., 2013)
Ein ganzer Streichelzoo mischte sich unter sowjetische Generäle bei der wohl schrillsten Party, die die Amerikaner je in Moskau veranstaltet hatten.

Im Frühjahr 1935 ordnete der neu ernannte amerikanische Botschafter in Russland eine Party an, die alles übertreffen sollte, was Moskau je vor oder nach der Revolution gesehen hatte. Der Botschaftsangestellte Charles Thayer befolgte den Befehl buchstabengetreu.

Bullitts Plan

Eine Villa in der Nähe des Arbat im Zentrum Moskaus beherbergte seit 1933 den ersten amerikanischen Botschafter in der Sowjetunion.

Das Spaso-Haus.

Das liebevoll „Spaso-Haus“ genannte Gebäude war Schauplatz zahlreicher hochkarätiger Feste, die von der diplomatischen Vertretung der Vereinigten Staaten organisiert wurden. Die berühmteste von allen war das Frühlingsfest.

Das Spaso-Haus.

Als der amerikanische Botschafter in der UdSSR, William Bullitt, zu Konsultationen in die USA reiste, ordnete er an, einen großen Empfang bei seiner Rückkehr nach Moskau zu veranstalten. Er beauftragte den Botschaftsangestellten Charles Thayer mit der Organisation, wobei nach seinem Wunsch dieser Abend „alles übertreffen sollte, was Moskau vor und nach der Revolution je gesehen hat“.

William Christian Bullitt, Jr., amerikanischer Diplomat.

Nach dem Bericht, den Thayer später in seinem Buch „Bären im Kaviar“ (Bears in the Caviar) veröffentlichte, trug der Botschafter ihm auf, alles zu geben und keine Kosten zu scheuen.

Thayer muss den Auftrag wörtlich verstanden haben.

Eine Farm im Spaso House?!

Thayer bekannte, dass die Frau des US-Botschaftsrats Irena Wiley die ausgefallene Gestaltung der Party maßgeblich beeinflusst hatte. 

„Wir sollten ein paar Hoftiere besorgen und in der Ecke des Ballsaals einen Miniaturfarm einrichten. Wir werden es Frühlingsfest nennen - ich wusste, dass ich ihr nicht widersprechen sollte“, schrieb Thayer in seinen Memoiren. 

Thayer behauptet, er habe sich auf die Idee mit den Tieren eingelassen, weil der Auftritt eines Sängers bei Empfängen, die von anderen ausländischen Vertretungen in Moskau (oder auch in anderen Städten) organisiert wurden, gewöhnlich als Höhepunkt der Party angesehen wurde. Bullitt, Wiley und vielleicht auch Thayer waren sich einig, dass der bevorstehende Empfang in der US-Botschaft in dieser Hinsicht etwas Besonderes sein musste.

Botschafter Bullitt und das Botschaftspersonal in der Nähe des Spaso-Hauses, 1934.

Die Idee schien auf den ersten Blick einfach. Thayer sollte ein paar Lämmer besorgen und den Saal mit Blumen und einigen Topf-Birken dekorieren. Doch die Probleme ließen nicht lange auf sich warten.

Der Frühling 1935 kam spät und es war zu kalt, als dass Blumen und Birken hätten blühen können. Zudem stanken die von Bauern bei Moskau geliehenen Lämmer unerträglich. Thayer wandte sich an den Direktor des Moskauer Zoos, der ihm anbot, die Lämmer gegen ein paar Bergziegen auszutauschen, die nach seiner Auffassung weniger stinken sollten. Thayer lieh sich sechs Ziegen aus dem Zoo, aber das reichte Wiley nicht: Thayer erinnerte sich, wie sie verkündete, ein Bärenjunges könne niemandem schaden.

Nach und nach stieg die Zahl der für das Fest reservierten Tiere und Vögel. Neben den Ziegen und dem Bärenjungen kamen Hähne, Goldfasane, Langschwanzpapageien und eine Schar kleiner Webervögel hinzu. Darüber hinaus besorgte Thayer 1.000 Tulpen aus Helsinki, die zu den Birken hinzukamen, deren Blühte man erzwang, indem man sie in einem feuchten, warmen Raum aufstellte. 

Die Botschaft war bereit für eine Party der Superlative.

Ein Bär auf dem Arm eines Generals

Am 24. April 1933 strömten hochrangige Gäste in das Spaso House. Botschafter Bullitt wollte die Party seines Lebens geben und hatte praktisch alle wichtigen Persönlichkeiten Moskaus eingeladen, mit Ausnahme von Joseph Stalin. 

Ein Standbild aus dem Film

Der Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten Litwinow und seine Frau, die Politiker Woroschilow, Kaganowitsch und Bucharin, Stabschef Tuchatschewski und andere wichtige Generäle der Roten Armee sowie berühmte Balletttänzer und der Schriftsteller Michail Bulgakow waren unter den Gästen. Es war eine Party der diplomatischen, politischen, militärischen und kulturellen Elite der UdSSR.

Laut Thayers Erinnerungen liefen die Dinge ziemlich schnell aus dem Ruder. Einem der Hähne gelang es, den Boden seines Käfigs herauszuschlagen, und flog zu einem Teller mit Gänseleberpastete, die eigens für diesen Anlass aus Straßburg geschickt worden war. Im Laufe des Abends kam einer der Gäste auf die Idee, dem Bärenjungen ein Tauschgeschäft anzubieten: Er nahm die Milchflasche, aus der das Bärenjunge getrunken hatte, zog den Schnuller über eine Champagnerflasche, und reichte sie dem Bären. Der nahm zwei oder drei Schlucke, bis er merkte, dass er hinter Licht geführt worden war, und die Flasche auf den Boden warf. Der sowjetische General Alexander Jegorow sah den verstimmten Bären und wollte ihn beruhigen, indem er das Jungtier in den Arm nahm - was sich als großer Fehler herausstellte, denn der Bär erbrach sich prompt über die gesamte Uniform des Generals.

Generalstabschef der Roten Armee und Marschall der Sowjetunion Alexander Jegorow.

Ein wütender Jegorow schrie den verwirrten Thayer an, verglich die Botschaftsparty mit einem Zirkus und warf ihm vor, dass Tiere in der US-Botschaft offenbar mit dem gleichen Respekt behandelt werden wie Generäle. Der Botschaftsmitarbeiter wurde vom Botschafter sofort für seinen Fehler gerügt. Der General jedoch kehrte schließlich mit einer neuen Uniform und einem Lächeln im Gesicht zurück:

„Nach all dem habe ich beschlossen, dass es nicht Ihre Schuld war. Kinder sind Kinder, auch wenn sie Bären sind“, soll General Jegorow gesagt haben, bevor er sich wieder auf den Weg zur Party machte.

Die Feierlichkeiten endeten um 10:30 Uhr am nächsten Tag. Im Spaso-Haus herrschte Chaos, das Personal war erschöpft.

Thayer, der es nicht schaffte, die vielen Vögel einzufangen, die noch immer in der geräumigen Halle umherflogen, verscheuchte sie schließlich einfach durch die offenen Fenster. 

Schließlich waren die gröbsten Spüren der exzessiven Party (zumindest teilweise) beseitigt. Später scherzte Thayer, er sei nie wieder gebeten worden, eine Botschaftsparty zu organisieren.

Charles Thayer und Freunde in der Moskauer Residenz.

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