Warum hat Stalin die Ermordung von Leo Trotzki angeordnet?

Russia Beyond (Photo: Legion Media; Global Look Press)
Einer der engsten Mitarbeiter Lenins und ein Führer der Oktoberrevolution wurde in Mexiko von dem sowjetischen Agenten Ramon Mercader ermordet. Warum hatte Stalin solche Angst vor seinem ehemaligen Kampfgefährten?

Josef Stalin, der keine Konkurrenz duldete, hatte Gründe für seine persönliche Abneigung gegen Leo Trotzki. Dieser war der wichtigste Gefolgsmann des bolschewistischen Führers Wladimir Lenin. Trotzkis Einfluss und Autorität waren so groß, dass er nach der Revolution den Vorsitz der neuen Regierung hätte übernehmen können, ihn aber freiwillig an Lenin abtrat.

Stalin und Trotzki waren bei der Parteiarbeit in vielen Fragen uneins, aber die Abneigung entwickelte sich nach dem Zarizyn-Konflikt (Zarizyn war der frühere Name von Wolgograd) zu einem regelrechten Hass. Während des Bürgerkriegs brauchte die Rote Armee, deren Gründer Trotzki war, erfahrene Kämpfer und Befehlshaber – daher plädierte er für die Aufnahme ehemaliger Offiziere der zaristischen Armee. Stalin war kategorisch dagegen und setzte an dem ihm anvertrauten Frontabschnitt, der sich in einer kritischen Situation befand, unerfahrene, aber ideologisch engagierte Kommandeure ein, die später Marschälle der UdSSR werden sollten – Budjonnyj, Woroschilow.

Trotzki hält eine Rede vor den Soldaten.

Trotz der Tatsache, dass Trotzki Vorsitzender des Revolutionären Militärrats war (das höchste kollegiale Gremium für die Leitung und politische Führung der Streitkräfte der RSFSR von 1918 bis 1923 – Anm. d. Red.), befolgte Stalin seine Befehle nicht und schrieb Briefe an Lenin, in denen er militärische Autorität forderte: „Wenn Trotzki nicht aufhört, ohne Zögern nach rechts und links Mandate zu verteilen ... dann können wir mit Sicherheit sagen, dass in einem Monat im Nordkaukasus alles zusammenbrechen wird ... Hämmert ihm das in seinen Schädel... Zum Wohle der Sache brauche ich militärische Befugnisse ... Das Fehlen eines Schreibens von Trotzki wird mich nicht aufhalten.“ Trotzki forderte seinerseits den Rücktritt Stalins. Lenin löste den Konflikt zu Trotzkis Gunsten. Stalin wurde von der Front nach Moskau zurückberufen, aber bald darauf zum Mitglied des Revolutionären Militärrats ernannt. Und Trotzki war der Vorsitzende des Rates, so dass die Konfrontation bestehen blieb.

Wladimir Lenin und Josef Stalin.

Lenins Testament

Der Kampf ging aufgrund von Lenins Krankheit in die offene Phase über, nachdem sich der Parteiführer nicht mehr politisch betätigen konnte und sich zurück zog. In einer Notiz an den Parteitag 1922, die als Lenins Testament bekannt wurde, befürchtete der Führer, dass sich die Partei wegen des Konflikts zwischen Stalin und Trotzki spalten würde: „Stalin ist zu derb, und dieser Mangel, der in der Umgebung und in der Kommunikation unter uns Kommunisten durchaus tolerierbar ist, wird in der Position des Generalsekretärs unerträglich. Ich schlage daher vor, dass die Genossen eine Möglichkeit in Betracht ziehen, Stalin von diesem Platz zu entfernen und eine andere Person auf diesen Platz zu berufen, die sich von Genosse Stalin in allen anderen Aspekten nur um eine Nuance unterscheidet, [sie ist] nämlich toleranter, loyaler, höflicher und aufmerksamer gegenüber den Genossen, weniger launisch, usw.“

Lenin übte nicht nur Kritik an Stalin, sondern zeigte mehr Vertrauen in Trotzki und nannte ihn „das fähigste Mitglied des Zentralkomitees“ der Partei. Dennoch blieb Stalin in seiner Position als Generalsekretär – bis 1922 hatte er großes Ansehen und Popularität erlangt, da er die meisten Posten in der Partei verteilte.

Karikatur auf Trotzki, die ihn als grausamen Mörder darstellt.

Stalin scharte Anhänger um sich und begann, Trotzki aus der Partei zu verdrängen. Dessen Autorität und Einfluss waren so groß, dass Stalin schon damals darüber nachdachte, wie er den Konkurrenten loswerden könnte. Er beschloss, nicht zu extremen Maßnahmen zu greifen: Trotzki wurde seines Amtes enthoben, aus der Partei ausgeschlossen und 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen.

Fairerweise muss angemerkt werden, dass Stalin nicht nur aus Angst vor Konkurrenz mit Trotzki stritt. Er war sich über die möglichen Folgen eines Sieges der Trotzkisten im Klaren. Eine solche politische Linie hätte sich höchstwahrscheinlich als katastrophal für das junge Land erwiesen. Es ist allgemein anerkannt, dass Stalin ein harter Politiker war, aber in Wirklichkeit war Trotzki viel härter und radikaler. Er plädierte für umfassenden Terror und Diktatur im eigenen Land sowie für die weitere Verbreitung des „Feuers der Revolution“ in der ganzen Welt. Und während Stalins Kollektivierung als gewalttätig angesehen wird, hätten sich Trotzkis Pläne für die Landbevölkerung, wenn sie umgesetzt worden wären, als eine lebende Hölle erwiesen. Paradoxerweise schien Stalin im Vergleich zu Trotzki ein viel ausgeglichenerer Politiker zu sein.

General Pawel Sudoplatow.

Operation Mutter

In der Emigration gab Trotzki seine politische Tätigkeit nicht auf: Auf der Grundlage seiner Ideen wurde die IV. Internationale – die internationale kommunistische Organisation – gegründet. Trotzki wurde immer gefährlicher, da er sich nun außerhalb von Stalins Einflussbereich befand. In seinen im Exil verfassten Büchern und Artikeln bezeichnet Trotzki seinen Gegner als Hitlers Intendanten und verurteilt den Personenkult, den Totalitarismus und insbesondere die Bürokratie. Der Vorwand für Trotzkis Ermordung war eben jener Vergleich zwischen der UdSSR und Nazideutschland. Pawel Sudoplatow, sowjetischer Geheimdienstler, Nachrichtenoffizier und Hauptorganisator der Ermordung Trotzkis, erinnerte sich später daran, dass Stalin ihm die Notwendigkeit der Beseitigung seines ehemaligen Mitstreiters erklärt hatte: „Trotzki muss beseitigt werden ...“, bevor ein drohender Krieg ausbricht. Ohne die Beseitigung Trotzkis ... können wir uns im Falle eines imperialistischen Angriffs auf die Sowjetunion der Unterstützung unserer Genossen in der internationalen kommunistischen Bewegung nicht sicher sein.“

Ramon Mercader

Der Plan für das erste Attentat auf Trotzki wurde Pferd genannt – beschoss eine militante Gruppe Trotzkis Haus. Er selbst, seine Frau Natalia und sein Enkel Sewa blieben unverletzt. Dann wurde der Plan Mutter in Angriff genommen – der spanische Kommunist Ramon Mercader sollte in Trotzkis inneren Kreis eindringen und ihn eliminieren. Er ging eine Beziehung mit einer von Trotzkis Sekretärinnen ein und besorgte sich einen gefälschten kanadischen Pass auf den Namen Frank Jackson. Während er das Mädchen nach der Arbeit besuchte, begann er sich allmählich bei den Bewohnern des Hauses einzuschmeicheln: Er wurde zu Besuch eingeladen, zeigte Interesse an Trotzkis Ideen und machte seinem Enkel Geschenke. Am 20. August 1940 brachte Mercader dem Revolutionär einen Text zur Unterstützung der Vierten Internationale und bat ihn, diesen zu begutachten – dies war der Vorwand für seinen Besuch am Tag der Ermordung. An diesem heißen Tag kam Mercader im Regenmantel, was aber bei niemanden Verwunderung hervorrief, denn er er ging inzwischen im Haus ein und aus. Unter seinem Mantel waren ein Eispickel, ein Revolver und ein Dolch versteckt: „In dem Augenblick, als Trotzki den Artikel zu lesen begann, der mir als Vorwand diente, nahm ich den Eispickel aus dem Mantel, hielt ihn in der Hand und versetzte ihm mit geschlossenen Augen einen furchtbaren Schlag auf den Kopf“, erzählte Mercader nach seiner Verhaftung.

Ein mexikanischer Polizist hält den von Ramon Mercader benutzte Eispickel.

Die Ärzte konnten Trotzki nicht mehr retten: Er starb am 21. August 1940. Sein Sekretär schrieb seine letzten Worte auf: „Bitte sagen Sie meinen Freunden, dass ich mir des Sieges der Vierten Internationale sicher bin... Schreitet voran!“. Ramon Mercader verbrachte 19 Jahre und 8 Monate im Gefängnis – nach seiner Entlassung ging er in die UdSSR und wurde zum Helden der Sowjetunion ernannt.

Trotski kurz nach seinem Tod

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