Stenka Rasin: Der russische Robin Hood

Geschichte
BORIS JEGOROW
In der Sowjetära wurde Rasin als edler Kämpfer für die Freiheit des einfachen Volkes gegen die Unterdrückung durch den Zaren und die Willkür der Bojaren wahrgenommen. An seine Raubüberfälle, Massaker und Gewalttaten wollte man sich lieber nicht erinnern.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erlebte Russland einen der brutalsten und blutigsten Aufstände seiner Geschichte. Zehntausende von Kosaken und Bauern stürzten den Süden des Landes in einen Zustand von Chaos und Terror. Sie eroberten und plünderten Städte, schlachteten Großgrundbesitzer ab und hängten zaristische Offiziere auf.

An der Spitze der Aufständischen stand der Donkosake Stepan (Stenka) Rasin. Für die einen war er ein Nationalheld und Verteidiger der Armen und Benachteiligten, für die anderen ein Verräter, Räuber und Schurke.

Persönlicher Groll

Vermutlich wurde Rasin im Jahr 1630 geboren. Dank seiner persönlichen Qualitäten und seines Glücks gelang es ihm, im Alter von dreißig Jahren einer der prominentesten Kosaken-Atamanen zu werden.

„Seine Erscheinung war majestätisch, seine Haltung edel und sein Ausdruck stolz, seine Statur hoch, sein Gesicht sonnengebräunt. Er besaß die Fähigkeit, Furcht und Liebe zugleich zu wecken. Was immer er anordnete, wurde ohne Frage und ohne Murren ausgeführt“, so schrieb der niederländische Reisende Jan Struys, der den Ataman persönlich kannte, über Rasin.

Die Macht des Zaren am Don war zu dieser Zeit sehr schwach, und die Kosaken genossen eine gewisse Freiheit in ihrer Innen- und Außenpolitik. Dennoch bezog Moskau die Kosaken regelmäßig in seine Militärkampagnen ein. Auch Stepan Rasin nahm an ihnen teil und kämpfte gegen die Türken und Krimtataren.

Stenkas älterer Bruder Iwan kämpfte ebenfalls für den Zaren. Im Jahr 1665 war er Mitglied der Armee des Woiwoden des Zaren Fürst Jurij Dolgorukow, die auf dem Gebiet der polnisch-litauischen Rzeczpospolita kämpfte.

Irgendwann beschlossen Iwan und eine Gruppe von Kameraden, dass ihre Dienstzeit für den Zaren vorbei sei. Sie versuchten, den Standort der Armee zu verlassen und an den Don zurückzukehren, wurden aber gefasst und wegen Desertion hingerichtet. Dies konnte Stepan Rasin dem Moskauer Zaren nicht verzeihen.

Unzufriedenheit im Volk

Das persönliche Vergehen seines Bruders reichte jedoch nicht aus, um das Volk gegen die Bojaren und den Zaren aufzuwiegeln. Diejenigen, die sich Rasin anschlossen, hegten ihren eigenen Groll gegen Moskau.

Das Leben der russischen Bauern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war äußerst mühselig. Sie mussten zermürbende Kriege gegen die Schweden und Polen, die größte Pestepidemie des Jahrhunderts und durch Missernten verursachte Hungersnöte ertragen.

Darüber hinaus wurden die Bauern durch das 1649 verabschiedete Gesetzbuch Sobornoje Uloschenije endgültig versklavt und zum Eigentum der Grundherren gemacht.

Auf der Suche nach Freiheit und einem besseren Leben flohen die Bauern an den Don, wo sie keine Auslieferung zu befürchten hatten. Doch auch dort wartete nicht das Schlaraffenland auf sie. Alle guten Ländereien wurden unter den reichen, so genannten „Haus-Kosaken“-aufgeteilt, und der Rest wurde den armen Kosaken überlassen – der Golutwa.

Am Ende blieb den Verzweifelten nur noch eine Möglichkeit: Raub und Plünderung.

„Der Feldzug gegen die Zipunen“

Normalerweise schloss Moskau die Augen, wenn Kosaken von Zeit zu Zeit kurze Raubzüge auf den Territorien der Nachbarmächte unternahmen. Doch Rasin, der an der Spitze der sich gebildeten Bande stand, beschloss, alle auszurauben, auch die Untertanen des Zaren.

Im Jahr 1667 unternahm er einen Feldzug „gegen die Zipunen“ (von Zipún, dem für die Bauern typischen Kaftan) an der Wolga, wo er für den Staat wichtige Handelswege blockierte. Der Ataman griff Handelskarawanen an, und die Strelizen (mit Pistolen oder Musketen bewaffnete Infanteristen) wurden vor die Wahl gestellt, sich ihm anzuschließen oder getötet zu werden. Die Kommandeure der Strelizen ließ er in Erinnerung an seinen Bruder unverzüglich hinrichten.

Rasins Armee wuchs stetig dank derjenigen, die auf schnellen Profit aus waren. Bald lief er mit seiner Flotte von 30 Strugi (russische Segel- und Ruderschiffe) in das Kaspische Meer ein und begann einen systematischen und erfolgreichen Raubzug an der persischen Küste.

Zar Alexej Michailowitsch war entsetzt über die Aussicht auf einen groß angelegten Krieg gegen Persien. Er informierte Schah Süleyman I. sofort über Botschafter, dass er mit diesen Raubzügen nichts zu tun hatte.

Rasin stellte sich der persischen Flotte entgegen, die er in der Schlacht auf der Schweineinsel im Juli 1669 vollständig vernichtete. Es gibt Informationen, dass der Sohn und die Tochter des persischen Flottenkommandanten Mamed Khan von dem Ataman gefangen genommen wurden. Die Legende besagt, dass Stenka sie später in einem Rausch in der Wolga ertränkte.

Bauernkrieg

Im August 1669 kehrte Rasin mit reicher Beute an den Don zurück, nachdem er einen Zusammenstoß mit den Truppen des Zaren erfolgreich vermieden hatte. Der Ataman befand sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms und die Zahl seiner Anhänger wuchs stetig dank den Kosaken, flüchtigen Bauern und sogar Strelizen. Jeder wurde ohne Überprüfung aufgenommen.

Im Frühjahr des nächsten Jahres begann ein neuer Feldzug von Stenka an die Wolga. Nur dass er sich jetzt nicht mehr nach Süden, sondern nach Norden in Richtung des Zentrums des russischen Staates bewegte.

Die zwanzigtausend Mann starke Armee des Atamans nahm eine Stadt nach der anderen ein, verübte Gewalttaten, Raubüberfälle und Massaker an Bojaren, Offizieren, Beamten und reichen Städtern. Rasin setzte die zaristischen Machthaber ab und ersetzte sie durch die Kasázkaja wólniza.

„Für die Sache, Brüder! Nehmt jetzt Rache an den Tyrannen, die euch bisher schlimmer als die Türken oder Heiden gefangen gehalten haben“, sagte er zu denen, die sich ihm angeschlossen hatten. „Ich bin gekommen, um euch allen Freiheit und Errettung zu schenken; ihr sollt meine Brüder und meine Kinder sein.“

Die Rebellen rückten stetig vor und nahmen wichtige Städte wie Astrachan, Zarizyn (das spätere Stalingrad, heute Wolgograd), Saratow und Samara ein. Einige Städte mussten nicht einmal gestürmt werden - die Strelizen töteten ihre Kommandanten und öffneten die Tore für den Ataman.

Rasin versuchte sogar, seiner Rebellion Legitimität zu verleihen. Er verbreitete aktiv das Gerücht, dass sich in seiner Armee der Zarensohn Alexej Alexejewitsch (der zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war) und der in Ungnade gefallene Patriarch Nikon befanden, der sich zu diesem Zeitpunkt im Kirillo-Beloserskij-Kloster in der Verbannung befand.

Das Ende des Abenteuers

Im Herbst 1670 näherten sich die Rebellen Sinbirsk (später Simbirsk, heute Uljanowsk), wo sie von der Armee des Woiwoden Jurij Barjatinskij besiegt wurden. Dem verwundeten Ataman gelang die Flucht zum Don und er suchte mit seinen verbliebenen Anhängern Zuflucht in der Stadt Kagalnizkij, wo er seine Truppen wieder aufstellen wollte.

Die kosakischen Unteroffiziere, die sich dem Aufstand nicht angeschlossen hatten, erkannten unterdessen, dass Zar Alexej Michailowitsch sie für die von Rasin begangenen Raubüberfälle und Plünderungen zur Rechenschaft ziehen könnte. Daher stürmten sie Rasins Unterschlupf, nahmen den Ataman gefangen und lieferten ihn umgehend an Moskau aus.

Stenka wurde in die Hauptstadt gebracht, wo er lange und schmerzhaft gefoltert wurde wurde. Am 16. Juni 1671 wurde er öffentlich gevierteilt, seine Eingeweide an Hunde verfüttert und seine Körperteile auf Speere gesteckt und öffentlich zur Schau gestellt. Das sollte eventuelle Nachahmer abschrecken.

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