Wien bietet sowjetischen Kriegsgefangenen letzte Ruhestätte

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Zum Tag der Trauer, wie in Russland der Tag des Einfalls der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 genannt wird, gedachte auch Wien dieses Schicksalstages der europäischen und Weltgeschichte. Auf dem Zentralfriedhof sind ein Gedenkstein und Grabstätten von 200 sowjetischen Kriegsgefangenen enthüllt worden.

Wiener Zentralfriedhof / ReutersWiener Zentralfriedhof / Reuters

Eine einfache Wiese unweit des in den 50er Jahren aufgestellten X-Tors in einem entlegenen Teil des Wiener Zentralfriedhofs: Das österreichische Militärblasorchester spielt Trauermärsche. Ein orthodoxer Priester weiht den Gedenkstein. Russische Offiziere legen gemeinsam mit Vertretern der österreichischen Regierung, den Botschaftern Weißrusslands und Armeniens sowie Vertretern einer ganzen Reihe weiterer einst sowjetischer Staaten Kränze und Blumen nieder. Und nur wenige hundert Meter weiter liegen auf dem Hauptteil des gigantischen Friedhofs 3000 sowjetische Soldaten, gefallen bei Gefechten rund um Wien. Sie waren damals zunächst in den jeweiligen Stadtteilen beerdigt worden. Erst nach dem Krieg wurde der große zentrale Soldatenfriedhof angelegt, wo bis heute mehrmals im Jahr unterschiedliche Feier- und Gedenkzeremonien mit Kranzniederlegung stattfinden. 

„Mit ihrer aufwendigen Arbeit haben russische und österreichische Archivare ein kleines Wunder vollbracht: Sie konnten 183 Namen der hier begrabenen 200 wieder herstellen“, sagte der russische Botschafter in Österreich, Dmitri Ljubinskij, bei der Eröffnungszeremonie stolz. „Und ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Arbeit weitergeführt wird.“ Vier Familien, deren Angehörige an diesem Ort begraben liegen, seien bereits ausfindig gemacht worden – eine in Russland, drei in Belarus. „All die Jahre galten diese Menschen als verschollen“, so der Botschafter weiter, „jetzt haben die Hinterbliebenen die Möglichkeit, etwas über das tragische Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren.“ Ljubinskij dankte dafür dem in Österreich für die Kriegsgräberstätten zuständigen Innenministerium sowie der russischen Militärisch-Historischen Gesellschaft, welche den Gedenkstein aus schwarzem Gestein in Russland hatte herstellen und dann nach Wien transportieren lassen.

Gedenkstein  / Julia EggerGedenkstein / Julia Egger

Aber besondere Dankesworte fand der Botschafter für Julia Egger und Alexandra Kolb vom Forschungszentrum „Memory“ für deren Bemühungen und militär-historische Ausgrabungen und Recherchen in Österreich, ohne die das Denkmal „Am Tor X“ wohl nie entstanden wäre. „Diese hübschen Mädchen widmeten sich über ein Jahr lang täglich mit ganzem Herzen und ganzer Seele dieser Arbeit“, würdigte der Botschafter. Dafür wurden die beiden dann von Interimsdirektor Wladislaw Kononow in die Militär-Historische Gesellschaft aufgenommen.

Alles hatte vor eineinhalb Jahren damit begonnen, als auf der Webseite des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ein Artikel des Historikers Heinz Riedel erschien, die wiederum bereits 15 Jahr zuvor in einem Jahrbuch des Archivs von geringer Auflage gedruckt worden war. In dem Beitrag beschrieb der Geschichtswissenschaftler, wie die sowjetischen Kriegsgefangenen in Wien schon ab Herbst 1941 massenweise vor allem an Infektionskrankheiten starben. „Dieser Abschnitt des Friedhofs war dafür vorgesehen worden, allerdings mit strikter Anordnung: beerdigen nur nachts, ohne die Aufmerksamkeit der Anwohner anzuziehen; und nicht in Särgen, weil sie ja Infektionskranke waren, sondern in Asphaltpapier, also mit Teer beschmierten, festen Papier“, erläutert Kolb und zeigt: „Hier waren diese Soldatengräber.“ Später habe sich herausgestellt, dass die Wiener Stadtregierung noch in den 60er und 70er Jahren zwar noch Anfragen beantworteten, wonach diese oder jene Person durchaus bei den X-Toren begraben liegen soll. In der Zwischenzeit aber hatten sich die Gräber der Erde angeglichen und die genaue Lage einer bestimmten Person konnte nicht mehr festgestellt werden. Und dann versanken diese Gräber wohl völlig im Vergessen.

Kolb und Egger wühlten förmlich in den Archiven und konnten letztlich nicht nur bestätigen, dass die Gräber nie umgesetzt worden waren, sondern sogar persönliche Gegenstände der Kriegsgefangenen präsentieren – im Jahr 1941 sei ja noch alles sehr genau und fleißig aufgezeichnet worden, erklärt Kolb.

Am Donnerstag nun ist der Gedenkort eröffnet und als Kriegsgräberstätte anerkannt worden: „Ein Gegenteil zu Gleichgültigkeit ist Erinnerung“, sagte bei der Zeremonie Elisabeth Sleha vom österreichischen Innenministerium. „Die heutige Feier ist für uns mehr als die bloße Einweihung eines Grabsteines. Es ist mehr als die bloße Bewusstmachung der bisher unbeachteten Opfer des NS-Regimes. Hier wird heute ein Ort der Erinnerung geschaffen und damit setzen wir einen bewussten Schritt dagegen, dass sich die Vergangene wiederholt.“

Für Egger und Kolb ist das Denkmal ein Meilenstein in ihrer Forschungsarbeit: Nun müssten nur noch die übrigen Namen bestimmt und entsprechende Grabplatten bearbeitet werden

Zur Eröffnung des Denkmals kam auch die russische Regisseurin Alla Surikowa und zeigte im Russischen Zentrum für Wissenschaft und Kultur ihren neuen Dokumentarfilm über den Mauthausen-Häftling Doktor Alexander Iossilewitsch. „Ich bin sehr gerührt. Das war von Anfang an ein schwieriges Thema“, so Kolb, „aber das erste große Erfolgserlebnis war es, als man uns sagte: ‚Wir haben die Familie gefunden.‘“

„Mein Vater war bei der Befreiung Wiens dabei und hier sind all seine Kameraden, die in dieser Erde begraben wurden“, erzählt Surikowa RBTH bewegt. „Das ist eine Chance für uns, unsere Kinder, Enkel und Urenkel, zu gedenken, damit sich auch die kommenden Generationen, wenn auch nicht so  viel, wenn auch nicht so stark, aber doch daran erinnern werden und sich so etwas niemals wiederholt.“

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