Diejenigen, die die psychisch kranken Schauspieler auf der Bühne erlebt haben, sagen, dass es eine unglaubliche Erfahrung ist. Obwohl der Unterschied zwischen diesen Schauspielern und „normalen“ Menschen nur tiefgründig spürbar ist, steckt mehr hinter der Geschichte.
Das Kunststudio „Glücklicher Zufall“ des psychiatrischen Krankenhauses in Samara bringt neuerdings positive und fröhliche Theaterstücke auf die Bühne, da die Ärzte glauben, dass die Schauspielerei selbst für Patienten mit den schwerwiegendsten Erkrankungen einen immensen therapeutischen Nutzen habe. In der Tat wurden bereits vier der elf Schauspielpatienten aus der Klinik entlassen.
Die Idee für das Projekt kam auf, als der berühmte Schauspieler des Drama-Theaters in Samara, Oleg Below, mit 49 Jahren einen schweren Schlaganfall erlitt und einseitig gelähmt war. Er wurde nun als „behindert“ eingestuft und musste das Theater, in dem er 30 Jahre lang gearbeitet hatte, verlassen. Eines Tages wurde Below jedoch eingeladen, ein Kunststudio in einer örtlichen psychiatrischen Klinik zu leiten.
Oleg Below
Anar MovsumovAls ein Mensch, der selbst psychisch und physisch durch den Schlaganfall aus der Bahn geworfen wurde, war Below definitiv der richtige Kandidat für die Arbeit mit Menschen, die viele Jahre im psychiatrischen Krankenhaus verbracht hatten und keine sozialen Fähigkeiten mehr besaßen.
Bereits zu Beginn seiner Arbeit mit den Patienten erkannte Below, dass sie, ebenso wie Theaterschauspieler, mit Einschränkungen zu kämpfen hatten. Die Patienten befanden sich durch ihre Diagnosen oftmals in einem verwirrten Zustand und hatten Angst, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Below wurde klar, dass er mit seiner Schauspielerfahrung den Patienten beibringen kann, aus sich selbst herauszukommen und somit zu ihrer Genesung beizutragen.
Oft sagt er seinen Schauspielern: „Man schämt sich doch auch nicht für eine Grippe. Also sollte man ohne Schüchternheit auch über eine Geisteskrankheit sprechen können. An ihr zu leiden, ist nichts, wofür man sich schämen muss.“
Mit Belows Hilfe hören die Patienten daher nach und nach auf, sich als Ausgestoßene zu fühlen, für die es keinen Platz in der Gesellschaft gibt. Sie lernen, sich selbst und ihre Eigenheiten zu akzeptieren. Die Auftritte auf der Bühne helfen ihnen zudem, wieder ein Gefühl für sich selbst und für die Kommunikation mit anderen zu bekommen.
Das Projekt wurde im Jahr 2012 ins Leben gerufen und begann mit drei Schauspielern. Heute sind es bereits elf. Bisher schaffte es die Gruppe, insgesamt sechs Stücke zu inszenieren: Darunter Stücke von Alexander Puschkin, Alexander Twardowski und Anton Tschechow.
„Die Ärzte sagen, dass die Theaterstücke allgemein lebhaft und positiv sein sollten, da die Patienten bereits genug negative Dinge in ihrem Leben erfahren haben. Außerdem sollten die Schauspieler sich mit den Charakteren identifizieren können“, erklärt Below die Auswahl der aufgeführten Werke und fügt hinzu, dass die Rolle ein Mannes helden- und die Rolle einer Frau damenhaft sein sollte.
„Eines unserer ersten Stücke war Puschkins ‚Graf Nulin‘, in dem die Schauspieler einige Rollen- und Persönlichkeitswechsel haben. Wir haben die Aufführung auf Video aufgezeichnet und zum Kunstfestival nach Moskau geschickt. Anschließend wurden wir nach dem Namen unseres Theaters gefragt und haben uns ‚Glücklicher Zufall‘ genannt, da das Projekt uns allen gut tut, mich eingeschlossen: Die Arbeit im Kunststudio half mir aus meinem Loch heraus, obwohl meine linke Seite noch immer recht unbeweglich war“, erzählt Below.
Nachdem Below zwei Jahre lang im psychiatrischen Krankenhaus gearbeitet hatte, konnte er schließlich auf die Bühne des Drama-Theaters in Samara zurückkehren, wo er bis heute auftritt. Das Schauspielstudio in der psychiatrischen Klinik leitet er jedoch weiterhin.
Für „Graf Nulin“ erhielt das Schauspielstudio sowie jeder Schauspieler beim Moskauer Festival der Kreativität für Menschen mit Besonderheiten der geistigen Entwicklung „Ariadnefaden“ einen Preis.
„Wir streben nicht nach Auszeichnungen, wir haben andere Ziele“, sagt Below. „Wenn es mindestens einer Person nach dem Unterricht besser geht, ist das mehr wert, als eine ‚Goldene Maske‘ [die wichtigste Theaterauszeichnung in Russland].“
Jene Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, können zwar nicht mehr an den Aufführungen teilnehmen, sie aber dennoch ab und zu besuchen.
„Eines Tages mussten wir auf die Bühne, als ein Darsteller mit den Worten zu mir kam: ‚Ich habe gute und schlechte Neuigkeiten. Mit welcher soll ich anfangen?‘ Ich antwortete: ‚Mit der schlechten.‘ ‚Ich kann nicht mehr am Schauspielprojekt teilnehmen‘, sagte er. ‚Und wie lautet die gute Nachricht?‘ ‚Ich werde entlassen.‘ ‚Das sind also zwei gute Neuigkeiten!‘, rief ich aus.“
Die Reise der Schauspielgruppe zum Internationalen Filmfestival in Moskau wurde vom Krankenhaus bezahlt und ist vor allem den Bemühungen des leitenden Arztes Michail Schejfer zu verdanken, der die Kunsttherapie für das regionale Krankenhaus entwickelt.
„Manche Leute verbringen Jahre hier, und es ist schwierig für sie, in ein normales Leben zurückzukehren. Deshalb hat das Krankenhaus ein großes Programm für Kunsttherapie. Wir führen Rehabilitationsmaßnahmen durch, indem wir auf Mal-, Tanz- und sogar Kochtherapien zurückgreifen“, erklärt Below.
Da das Krankenhaus für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, ist es nicht so einfach, die Patienten auf der Bühne erleben zu können. Es finden zum Glück jedoch mittlerweile auch Vorführungen auf den städtischen Bühnen statt: So präsentierte die Schauspielgruppe im Mai dort seine neue Produktion, die auf den Geschichten des sowjetischen Autoren Wassili Schukschin basiert und Ende dieses Jahres am Festival „Ariadnefaden“teilnehmen wird.
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