Wer mit der zeitgenössischen Kunst zumindest ein wenig vertraut ist, kennt wahrscheinlich Marina Abramovic aus Serbien, die den Titel Königin der Performance trägt. Mit ihr wird häufig die 32-jährige Moskauer Künstlerin Olga Krojtor verglichen. Doch Olga winkt ab: „Ich unterscheide mich deutlich von Marina Abramovic – ihre Kunst steht meiner nicht sehr nah, denn es ist keine Performance, bei der alle Zuschauer einbezogen werden.“ Sie glaubt zudem, dass ihre künstlerische Sprache universeller und für die breite Öffentlichkeit verständlicher sei.
Wir erzählen Ihnen von den unvergesslichsten Auftritten Olga Krojtors.
1. Fixpunkt
Haben Sie jemals stundenlang an einer Stelle ausgeharrt, vielleicht sogar auf einem niedrigen Baumstumpf? Krojtor stand zwei Stunden lang auf einem vier Meter hohen Pfosten mit einem Durchmesser von 40 cm! Nur so, so behauptet Olga, durch einen Aufstieg ganz nach oben kann man seinen „Fixpunkt“, seinen Platz im Leben finden.
Dies ist wohl eine ihrer berühmtesten Aufführungen – für sie erhielt sie den Kandinsky-Preis, der jährlich in Moskau vergeben wird. Krojtor wiederholte die Performance mehrmals, sogar im Winter.
„Die Performance Fixpunkt ist ein symbolischer, wenn auch recht körperlicher Versuch, einen Halt in der Realität zu finden, wobei bekannte Werte verdrängt und durch neue Orientierungspunkte und Einstellungen ersetzt werden“, erklärt die Kuratorin Oxana Tschwjakina.
2. Ohne Titel (Offenes Grab)
Die Künstlerin legte sich in ein mit Gras bedecktes Grab und verschloss dieses mit einer Glasplatte. Nackt, wie die Venus von Botticelli, nur von ihren eigenen Haaren verdeckt, ließ sie Menschenmassen über sich schreiten und sie anschauen.
„Jedes Kunstwerk ist im Grunde genommen ein nackter Künstler, der dem Betrachter die intimsten Details über sich erzählt, und manchmal sogar das, wovor er sich schämt oder ängstigt...“, erläutert (eng) Olga auf ihrer Website.
Olga ließ sich von einem Besuch im Louvre inspirieren: Die Mona Lisa, die täglich von Tausenden von Menschen beobachtet und fotografiert wird, tat ihr leid…
3. Kokon
Die Metapher, die der Performance zugrunde lag, ist eindeutig: Aus jedem Kokon entschlüpft ein wundervoller Schmetterling. Aber warum wickelte sich die schöne Künstlerin in einen Kokon und band sich an einen Baum?
Es zeigt sich, dass es einen anderen Kontext gibt: Der Kokon (eng) ist gleichzeitig eine Falle mit einem herrlichen Schmetterling darin. Er stellt sowohl eine Gefahr als auch ein Versteck dar, die Erwartung einer strahlenden Zukunft als auch eines quälenden Todes.
4. Katharsis
Neun Tage lang wusch Olga den Boden einer Ausstellungshalle mit ihren eigenen Haaren. Sie wählte einen der Besucher aus, folgte ihm mit einem Eimer Wasser und wischte mit ihren nassen Haaren den Boden vor den Objekten, an denen er innehielt. So zog die Künstlerin „alle negativen Erinnerungen in sich auf, reinigte den karmischen Raum und sog wie ein Schwamm alle Schmerzen, Leiden, Kränkungen und Wut auf."
Diese Performance (eng) wurde für die Künstlerin zu einer fundierten Studie über sich selbst und die Menschen. Sie stellte mehrere Phasen des Verhaltens des Publikums dar: Angst, Scham und Sucht, und auch die Unmöglichkeit, ohne einander zu leben – die Menschen kehrten zu ihr in die Galerie zurück.
5. Isolation
Einsamkeit ist eines der zentralen Themen in Krojtors Werk. Auf einem hohen Pfosten, im Grab, im Kokon.... „Bei all meinen Performances geht es um meine Gefühle hier und jetzt“, sagt die Künstlerin. Zu diesem Thema gehört auch die Performance Isolation, die sie im Museum für zeitgenössische Kunst Garage veranstaltete.
Krojtor nagelte sich mit einem Balken, der in rotes Tuch eingewickelt war, an eine Wand – ein Symbol für Blut und die tiefgreifenden Ereignisse, die eine Person buchstäblich lahmlegen können, das heißt, für Momente, in dem man hilflos ist und versucht, die Situation, in der man sich befindet, zu verstehen. Olga sagt, dass die Aufführung ihre Reaktion auf den bewaffneten Konflikt in der Ukraine war.