Als Künstler in der UdSSR ihre eigene Pop-Art erfanden

Witalij Komar und Alexander Melamid gründeten einen der ironischsten Stile der zeitgenössischen russischen Kunst – die Soz-Art.

Bereits in den Siebzigerjahren provozierten die Künstler in Moskau das Sowjetregime – bei ihren Performances stellten sie Lenin und Stalin dar, bereiteten Bouletten aus der kommunistischen Zeitung Prawda zu, waren Initiatoren der legendären Bulldozer-Ausstellung und erfanden die Soz-Art.

Komar und Melamid

Was ist Soz-Art?

Soz-Art (abgekürzt für sozialistische Kunst) gilt als postmoderne Parodie auf die Kunst des sozialistischen Realismus. Komar und Melamid waren die ersten in der Sowjetunion, die sich mit ihrer Kunst über die sowjetische Macht lustig machten. Während Pop-Art als Reaktion auf die Überproduktion von Waren entstand, war Soz-Art die Reaktion auf die Überproduktion von Propaganda. 1967 begann mit dem 50. Jahrestag der Oktoberrevolution in der UdSSR eine Reihe Jubiläen. Die Straßen waren voller Losungen und Fahnen.

Wie entstand die Soz-Art?

Die Entstehungsgeschichte der Soz-Art ähnelt einem Witz. 1972, als in der UdSSR das nächste große Jubiläum – der 50. Jahrestag der Pionierorganisation – gefeiert wurde, wurden bei Komar und Melamid Plakate für ein Pionierferienlager in Auftrag gegeben. Die Arbeiten begannen mitten im Winter in einem unbeheizten Raum des Klubhauses der Pioniere. Die Künstler wurden vom versprochenen Honorar beflügelt und vom Alkohol gewärmt – diese Kombination führte zu einem Anfall von Selbstkritik. Komar und Melamid quälte der Gedanke, dass sie für Geld ihr Gewissen verrieten, denn sie waren zu diesem Zeitpunkt bereits Teil der inoffiziellen Kunstszene.

Dann kamen sie auf die Idee, eine neue Figur – einen imaginären Künstlers – zu erschaffen, der einen Staatsauftrag von ganzen Herzen übernommen hätte. So erschien der fiktive Künstler des sozialistischen Realismus Komar und Melamid.

Prawda-Bouletten

Inspiriert von ihrer Idee begannen die jungen Künstler mit großer Begeisterung, die Werke ihres fiktiven Autors zu realisieren. Sie unterschrieben berühmte sowjetische Losungen mit ihren Namen. Sie gaben sich als die Parteiführer Lenin und Stalin aus. Die Künstler enthüllten die Fake-Natur des sozialistischen Realismus und verspotteten die sowjetische Ideologie, die zu einer Parodie ihrer selbst geworden war. Sie veranstalteten Performances, die nicht anders als politischer Frevel wahrgenommen werden konnten.

So brieten sie beispielsweise „Bouletten“ aus der Zeitung Prawda, um das Publikum mit „geistiger Nahrung“ zu versorgen. Bei einem ihrer Underground-Auftritte stellten sie Lenin und Stalin dar, die eine Gruppe von Zuschauern aufforderten, ein großes Bild im Stil des sozialistischen Realismus zu malen. Als alle Anwesenden verhaftet wurden und zusammen mit dem Aushängeschild des Nonkonformismus, Oskar Rabin, auf dem Polizeirevier saßen, planten sie eine Demonstration inoffizieller Kunst zu organisieren, die als Bulldozer-Ausstellung bekannt werden sollte.

Die Bulldozer-Ausstellung

Komar und Melamid gehörten zu den Initiatoren einer Ausstellung von Underground-Künstlern auf einer Brache am Rande von Moskau. Den Dissidenten-Künstlern waren die offiziellen staatlichen Ausstellungssäle versperrt, also suchten sie nach alternativen Möglichkeiten, ihre Werke zu zeigen. Zwanzig Personen beteiligten sich an dieser Aktion. Plötzlich tauchten als Gärtner getarnte KGB-Offiziere auf und begannen, die Werke zu zerstören. Ein Bulldozer rollte heran und zermalmte die Bilder buchstäblich. Dieser Eingriff der Behörden blieb nicht ohne Folgen – in führenden westlichen Zeitungen erschienen Artikel zur Unterstützung der Künstler und die Unterzeichnung des Helsinki-Abkommens stand auf der Kippe. Komar und Melamid beschlossen auszuwandern. Über Israel emigrierten sie nach New York, wo sie bis heute leben.

Wie Komar und Melamid Warhols Seele für 0 Cent kauften

Nach ihrem Umzug nach New York konzentrierten sich die Künstler mit dem für sie charakteristischen satirischen Weltbild auf die Kritik an der westlichen Gesellschaft. Ihr erstes Ziel war der Kunstmarkt. Eine der aufsehenerregendsten Kampagnen ihrer amerikanischen Periode war eine Aktion zum Kauf von Seelen. Sie gingen von dem weit verbreiteten Klischee aus, dass der Künstler seine Seele in das Kunstwerk einbringt, es aber dann einer Galerie verkauft und dafür 50 Prozent des Erlöses erhält.

Die Künstler gaben ihre Seelen in Kommission und am Ende wurde eine Auktion veranstaltet. Unter denen, die ihre Seelen an Komar und Melamid verkauften, befand sich sogar Andy Warhol, der sie auf 0 Dollar schätzte. Die Künstler scherzten: Sie war so billig, weil er sie nicht zum ersten Mal verkaufte.

Malende Elefanten

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hörte der fiktive Soz-Art-Künstler Komar und Melamid auf zu existieren, obwohl das Duo danach noch längere Zeit zusammen blieb. In den Neunzigerjahren sorgte das Projekt Elefantenmalerei, eine Parodie auf die Moderne, für Furore. Nachdem die Künstler Gerhard Richters späte Abstraktionen in einer Ausstellung gesehen hatten, kamen sie zu dem Schluss, dass Elefanten nicht schlechter malen würden.

Witalij Komar (l) und Alexander Melamid (r), 2002

Die letzten Werke von Komar und Melamid, darunter Die Entscheidung des Volkes und Monumental-Propaganda, haben an Sinnesschärfe und genauer Widerspiegelung des Zeitgeistes nichts eingebüßt. Im Jahr 2003 hörte das Duo jedoch auf zu existieren, und die Künstler setzten ihre individuelle Karriere fort.

Die RetrospektiveKomar & Melamid findet bis zum 9. Juni 2019 im Moskauer Museum für Moderne Kunst (uliza Petrowka 25) statt.

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