Wie die Drehbuchautoren von John Wick Baba Jaga völlig falsch verstanden haben

Kultur
GEORGI MANAJEW
Sie wollten John Wick noch russischer und mysteriöser gestalten, aber am Ende standen die Drehbuchautoren des Films ganz schön dumm da – sie machten ihren Helden versehentlich zur Babuschka.

„Er war früher einmal ein Mitarbeiter von uns. Wir nannten ihn... Baba Jaga.“

„Der Schwarze Mann?“

„Nun, John war nicht gerade der Schwarze Mann...“

Dieser Dialog zwischen der Figur Viggo Tarasov und dessen Sohn im ersten Teil der Filmreihe John Wick hat in Russland für Stirnrunzeln gesorgt.

Baba, Babajka, Baba Jaga

Die meisten Kommentare im Internet erklären den Fehler mit dem Hinweis darauf, dass „Viggo Russe ist und er John Wick mit Baba Jaga vergleicht, um seinem Sohn die zügellose Kraft zu erklären, deren Zeuge dieser gerade geworden war, und ihn davor zu warnen, John zu erzürnen“, so (eng) Michael Wurm von Quora. Netter Versuch, Michael! Aber das stimmt nicht.

Es scheint, dass die Drehbuchautoren zwei russische mythologische Gestalten durcheinandergebracht haben: den Babaj (oder auch Babajka) und die Baba Jaga. Tatsächlich ähneln diese Namen einander. Aber der Babajka ist in Russland ein böser Geist, der unartige Kinder in einem Sack wegbringt und der im Deutschen als Butzemann oder Schwarzer Mann bezeichnet wird. Die Schotten nennen ihn Bogie, die Polen Bobo, die Italiener Babau, um nur einige seiner Namen aufzuzählen.

Alle diese Wörter stammen von der alten indo-europäischen Wurzel baba, die einen Vorfahren, einen unsterblichen Stammvater bezeichnet. Mit der Zeit änderte sich die Bedeutung und das Wort bezeichnete nun ein dunkles, übernatürliches Wesen, mit dem die Menschen ihre Kinder erschreckten – der Schwarze Mann.

Der Name Baba Jaga entstammt der gleichen Wurzel. Aber im Russischen begann man irgendwann mit dem Wort Baba eine Frau zu bezeichnen. Nicht etwa jedoch ein kleines Mädchen oder eine junge Dame. Baba oder sogar Babka wird verwendet, wenn es um weise und alte Frauen geht. Babka ist vielen als die Abkürzung für das Wort Babuschka bekannt. Es dürfte offensichtlich sein, dass John Wick, gespielt von Keanu Reeves, definitiv keine ältere Frau ist!

Wer ist die echte Baba Jaga?

Baba Jaga kann in gewisser Weise als eine Art Schwarzer Mann bezeichnet werden – sie ist eine der beliebtesten Märchenfiguren, mit denen russische Eltern ihre Kinder erschrecken. Aber normalerweise entführt sie keine ungezogenen Kinder, da sie ein allmächtiges Fabelwesen ist.

Baba Jagas Name kann etwa mit  „böse alte Hexe“ übersetzt werden. Entsprechend dem Volksglauben lebt sie in einer Behausung, die unsere Welt mit der Unterwelt verbindet. Ihre Hütte steht auf Hühnerbeinen (eine Verschmelzung von Unbelebtem und Lebendigem) mit einer Tür zum Wald hin. Wenn Baba Jaga nach Hause kommt, ruft sie der Hütte zu, sie solle sich „mit ihrer Rückseite zum Wald und ihrer Vorderseite zu Baba Jaga“ wenden, damit die Hexe eintreten könne. Baba Jaga existiert also in beiden Welten. Sie hat ein „Knochenbein“, was bedeutet, dass sie gleichzeitig lebendig und tot ist.

Baba Jaga lockt Menschen in ihre Hütte und bittet sie darum, ihr im Haushalt zur Hand zu gehen, aber in Wirklichkeit will sie sie kochen und essen. Der Zaun um ihre Hütte besteht aus menschlichen Knochen und Schädeln: Sie reist in einem fliegenden Mörser und hat einen Besenstiel – ein beliebtes heidnisches Symbol der Zauberei. Sie ähnelt der alten Hexe aus Hänsel und Gretel der Gebrüder Grimm, die die beiden Kinder in ihr Lebkuchenhaus lockt, um sie zu essen und somit als „europäische“ Version der russischen Baba Jaga gilt.

Der Filmcharakter John Wick hat also definitiv nichts mit Baba Jaga zu tun. Im dritten Teil wird das Thema der russischen Volksmärchen jedoch noch einmal aufgegriffen: In einer Szene bestellt John in der New Yorker Stadtbücherei ein Buch mit dem Titel Russische Volksmärchen von Alexander Afanasjew, das 1864 veröffentlicht wurde. Afanasjew war ein prominenter russischer Märchensammler, der die folkloristischen Geschichten Russlands aufzeichnete, darunter auch solche über Baba Jaga!

>>> Fünf schrecklich-schaurige slawische Märchenhelden für schlaflose Nächte