Bildnis Anna Achmatowa von Nathan Altman, 1914
Das Staatliche Russische Museum, St. Petersburg/Global Look PressEs gibt zahllose Porträts von Anna Achmatowa. Sie sind geprägt von ihrem schlanken Nacken, ihren trägen Augen, ihrer Nase mit dem kleinen Hügel und ihrer strengen Ponyfrisur. Anna Achmatowa war die perfekte Muse. Kusma Petrow-Wodkin, Sinaida Serebrjakowa und viele andere Künstler schufen eindringliche Porträts von ihr, die stets der Hauch des Tragischen umgab. Amedeo Modigliani malte sogar einen Akt. Es gab Gerüchte, sie hätten eine Affäre gehabt, doch Achmatowa betonte stets, sie seien nur enge Freunde. Während sie mit ihrem Ehemann, dem Dichter Nikolai Gumiljow, auf Hochzeitsreise in Paris war, trafen sie Modigliani zu ausgedehnten Spaziergängen. Mit dem Künstler Boris Anrep hatte Achmatowa tatsächlich eine Affäre. Sie widmete ihm mehr als nur ein Gedicht und er verewigte sie inmitten der Schrecken des Krieges in seinem Werk „Mitgefühl”, einem Mosaik in der Lobby der Londoner Nationalgalerie.
„Der Mann tot, der Sohn im Gefängnis, betet für mich” heißt es in Achmatowas „Requiem”, einem ihrer berühmtesten Werke. In ihren Texten spiegelt sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts, das geprägt war von Revolution, politischem Terror und Krieg. Achmatowas erster Ehemann Nikolai Gumiljow, war, wie sie selbst, einer der bekanntesten Vertreter des „Silbernen Zeitalters“ der sowjetischen Literatur. 1921 wurde er wegen angeblicher antibolschewistischer Aktivitäten verhaftet und hingerichtet. Der gemeinsame Sohn Lew, ein Historiker, wurde während der stalinistischen Säuberungen ebenfalls wegen konterrevolutionärer Agitation verhaftet und in einen Gulag gesteckt. Sie schrieb in „Requiem“ über die Zeit, die in den Warteschlangen vor dem Gefängnis verbracht wurde, wo bei drückender Hitze und klirrender Kälte hunderte von Frauen standen, um nur ein einziges Wort über die verhafteten Ehemänner und Söhne zu erfahren. Monatelang hofften sie, etwas über den Aufenthaltsort zu erfahren. Die wenigen, die Glück hatten, durften eine Nachricht hinterlassen, erfuhren aber nie, ob diese angekommen war.
Während der Belagerung von Leningrad harrte Achmatowa in der Stadt aus. Sie und die Dichterin Olga Bergholz lasen ihre Werke im Radio, um die Moral der Leningrader zu stärken. Doch nach dem Krieg erklärte die Kommunistische Partei, dass Achmatowas Werk „leere Poesie ohne Ideologie, die unserem Volk fremd ist“, sei. Die Kommunisten sahen in Achmatowa einen dekadenten Geist und in ihren Versen eine übertriebene Ästhetik. Beides missfiel ihnen. Ihre Werke durften nicht gedruckt werden. Sie verbreiteten sich unter der Hand unter den Intellektuellen. Man lernte sie auswendig, schrieb sie nieder und gab sie an Freunde weiter. Die Notizen wurden verbrannt. Es war gefährlich, Gedichte, die auf der Verbotsliste standen, zu verbreiten. Achmatowa selbst blieb erstaunlicherweise von einer Verhaftung verschont, vielleicht wegen ihrer großen Bekanntheit.
Dichter Joseph Brodky (r) und Jewgeni Rein auf der Beerdigung von Anna Achmatowa
SputnikAuch im Herbst des Lebens blieb Anna Achmatowa ein Anziehungspunkt für ganze Heerscharen von Bewunderern. Diese wollten ihre Bekanntschaft machen, um so teilzuhaben am „Silbernen Zeitalter“, dessen Vertreterin Achmatowa war. Vielleicht war sie die einzige dieser Generation, die die Zeit nach Stalin in den 1950ern erleben durfte. Unter den jüngeren Bewunderern fand sich auch Joseph Brodsky, für den sie nicht nur eine poetische, sondern eine spirituelle Autorität war. Achmatowas Tod im Jahr 1966 war für ihn eine persönliche Tragödie. Ihre Aussage zu Brodskys Verhaftung wegen „Sozialparasitismus” und zu seinem Exil im Norden Russlands wurde berühmt: „Was sie doch für eine Biographie für unseren Rotschopf erfinden!” Für Achmatowa war Brodsky einer der begabtesten Dichter, den sie selbst herangezogen hatte. Brodsky fühlte sich von diesen Worten sehr geehrt.
Ein Jahr vor ihrem Tod, im Alter von 75 Jahren, und 18 Jahre nach dem Verbot ihrer Gedichte in ihrer Heimat, reiste Achmatowa nach England. Dort wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford verliehen. Englische Medien berichteten ausführlich über den Besuch der großen Dichterin, die in der Stalin-Ära geächtet wurde und darüber, wie berührt sie von dieser internationalen Anerkennung war.
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