Anderthalb Jahrzehnte, bis zum Selbstmord des Dichters im Jahre 1930, dauerte die stürmische Liebesbeziehung des legendären „Sängers der Revolution“ Wladimir Majakowski und der „Predigerin der Unzucht“ Lilja Brik an. Er widmete ihr Gedichte und Hunderte von Liebesbriefen. Wahrscheinlich war es diese Affäre, der ihr dazu verhalf, in die Geschichte einzugehen, ihr aber gleichzeitig Hunderte von Feinden verschaffte, die versuchten, die Erinnerung an sie zu tilgen, sogar in den historischen Dokumenten. Wer war diese Femme Fatale?
Eine Frau aus einem wohlhabenden jüdischen Haus
Lilja wurde 1891 in einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Ihr Vater war Jurist, die Familie lebte im Zentrum Moskaus, und die Eltern reisten mit der kleinen Lilja und ihrer jüngeren Schwester Elsa, der zukünftigen Heldin der französischen Resistance Elsa Triole, regelmäßig in europäische Ferienorte.
Die Mädchen standen unter der ständigen Aufsicht der Gouvernante. Sie sprachen beide fließend Deutsch und Französisch, spielten Klavier und studierten am Gymnasium. Dort lernte Lilja im Alter von 13 Jahren ihren späteren Ehemann Osip Brik kennen: Auf dem Höhepunkt der revolutionären antimonarchischen Unruhen begann Lilja 1905, politische Bildungszirkel zu besuchen, von denen einer von Osip, Sohn eines Juweliers, geleitet wurde.
„Alle unsere Mädchen waren in ihn verliebt und schnitzten mit einem Taschenmesser OSIP in ihre Schulbank“, erinnerte sich Lilja. Sein zurückhaltendes Buhlen um Lilja dauerte ganze sieben Jahre – bis Lilja schwanger wurde. Aber nicht von Brik, sondern von..... Gregorij Krejn, ihrem Musiklehrer. Auf Drängen ihrer Mutter entschied sich die junge Frau zur Abtreibung, die sie für immer der Möglichkeit beraubte, Kinder zu bekommen. Und Brik bot an, sie zu heiraten.
Allerdings hörte Osip in allen Beziehungen sehr schnell auf, ihr Ehemann zu sein. 1914 schreibt Lilja: „Ich hatte bereits begonnen ein unabhängiges Leben zu führen und wir waren körperlich irgendwie auseinander getriftet.... Und da tauchte Majakowski in unserem Leben auf.“
Das Treffen mit dem Dichter
Zu dieser Zeit hatte Wladimir Majakowski bereits seit zwei Jahren eine Affäre mit Elsa. Aber als er Lilja traf, trennte er sich von der jüngeren Schwester und widmete seiner neuen Muse das Poem „Wolke in Hosen“.
Der erfolgreiche Osip bot sogar an, das Gedicht auf eigene Kosten zu veröffentlichen – er wurde zu einer Art Promoter Majakowskis. Lilja kümmerte sich um das Image des Dichters: Sie ließ ihn statt der grellen kubistisch-futuristische Hemden konservative Anzüge und Mäntel zu tragen, und drängte ihn, seine Zähne richten zu lassen. Aber darüber hinaus waren alle drei eng miteinander verbunden.
Eine Frau mit gigantischem sexuellem Appetit
Osip nahm den Ehebruch gelassen hin. Vor allem, da das Land damals eine sexuelle Revolution durchlebte – die freie Liebe war ein Symbol der Zeit. „Ich liebte es, mit Osip zu schlafen. Dann sperrten wir Wolodja in der Küche ein. Er war heiß, wollte sich uns anschließen, kratzte an der Tür und weinte“, erzählte Lilja einmal ihrer Freundin.
Laut der Schauspielerin Alexandra Asarch-Granowskaja, die zu Briks Kreis gehörte, besaß Lilja einen „gigantischen sexuellen Appetit“, unter dem ihr Mann absolut nicht litt.
Nach der Oktoberrevolution 1917 änderte die Situation sich grundlegend. Majakowski, als ergebener Bolschewist, begann, mit seiner Arbeit gutes Geld zu verdienen. Osip Briks Geschäfte dagegen brachen zusammen. Während dieser Zeit kündigte Lilja ihrem Mann an, dass sie jetzt bei Majakowski sei, sich aber nicht scheiden lassen wolle. So zogen beide in die Wohnung des Dichters, lebten und reisten auf seine Kosten, für den Osip auch zur „Familie“ gehörte. Diese Ménage-à-trois wurde zum „Standard“ für all diejenigen, die der freien Liebe huldigten. Die Gerüchte über die zahlreichen sexuelle Beziehungen der Brik nahmen zu.
„Osip ließ Lilja nicht nur fremdgehen, sondern besuchte mit ihr zusammen auch Bordelle“, schreibt Alissa Ganijewa, Autorin der Briks-Biographie „L.Y.B“. Osip hatte jedoch ein ganz anderes Interesse an den Prostituierten – er schrieb seine Doktorarbeit über sie und war eine Art „Sozialarbeiter“ für sie (er bot seine juristische Unterstützung an). Seine junge Frau nahm er nur zum Spaß dorthin mit.
Eine einflussreiche Frau, die aus der Geschichte gestrichen wurde
Die Haltung der Zeitgenossen gegenüber Lilja war ambivalent. Die Männer vergötterten sie zumeist – unter ihren Verehrern befand sich fast der gesamte Kreis der russischen Avantgardisten und prominente Künstler, von Alexander Rodtschenko bis Sergej Djagilew. In Italien war sie mit Pasolini befreundet, in Frankreich mit Louis Aragon (er heiratete schließlich ihre Schwester Elsa) und Yves Saint Laurent sagte: „Ich kenne drei Frauen, die unabhängig von der Mode elegant sein können – Catherine Deneuve, Marlene Dietrich und Lilja Brik.“
Lilja Brik war alles und nichts: Sie versuchte sich als Bildhauerin, Schriftstellerin, Filmschauspielerin, wirkte in Werbung mit, nahm Ballettunterricht. Doch in keinem dieser Bereiche konnte sie große Erfolge erzielen.
Nachdem Majakowski sich jedoch auf der Höhe seines Ruhmes erschossen hatte, wurde ihre Liebesbeziehung zu einer tragischen Legende, und Brik fast zur Mörderin des Dichters erklärt. Besonders nachdem ihr Briefwechsel veröffentlicht worden war: Majakowski schrieb Hunderte von Briefen mit Liebeserklärungen – Lilja schickte trockene Antworten und forderte den Poeten auf, Geld zu schicken.
Ein weiterer Selbstmord
Als Majakowski nach seinem Tod jedoch schnell in Vergessenheit geriet, unternahm Lilja als Verwalterin seines Erbes (zu der sie der Dichter in seinem Testament ernannt hatte) große Anstrengungen, um dies zu verhindern. Sie schrieb einen Brief an Joseph Stalin, und dieser ordnete an, Majakowski nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. In ganz Russland wurden Denkmäler für den Dichter errichtet, seine Werke wurden neu verlegt und ihm zu Ehren Kolchosen und Fabriken benannt.
Lilja selbst ließ sich bald von Osip scheiden und wechselte ihre Männer wie Handschuhe. In den Siebzigerjahren vermerkte sie in ihrem Tagebuch: „Ich hatte einen Traum: Ich bin wütend auf Wolodja, weil er sich erschossen hat, und er legt mir zärtlich eine winzige Pistole in die Hand und sagt: Wie auch immer - du wirst dasselbe tun.“
1978, im Alter von 86 Jahren, fiel sie von ihrem Stuhl und brach sich den Oberschenkelhals. Da sie niemandem zur Last fallen wollte, setzte sie ihrem Leben mit einer tödlichen Dosis Schlaftabletten ein Ende.