Leo Tolstoi
Tolstois wütendste Kritiker waren die in Krieg und Frieden beschriebenen Offiziere, die 1812 am Krieg gegen Napoleon teilgenommen hatten. Der Schriftsteller und Beamte Abraham Norow schrieb: „Der Leser... staunt in den ersten Teilen des Romans zunächst über den traurigen Eindruck, der ihm von den inhaltsleeren und fast unmoralischen höchsten Kreisen der Gesellschaft in der Hauptstadt vermittelt wird, und dann über den Mangel an Sinn der militärischen Operationen und die Fehlen militärischer Fähigkeiten, auf die unsere Armee immer zu Recht so stolz war... Ich... konnte diesen Roman, der den Anspruch hat, historisch zu sein, nicht ohne ein gekränktes patriotisches Gefühl lesen“. In einem großen Artikel, der 1868 veröffentlicht wurde, untersucht Norow akribisch die zahlreichen Sachfehler Tolstois bei der Beschreibung von Napoleons Invasion in Russland.
Die historischer Korrektheit vermisste auch Fürst Pjotr Wjasemski, der übrigens der Prototyp des Romanheldens Pjotr Besuchow war: „In diesem Buch ist es schwierig zu entscheiden und sogar zu erraten, wo die wahre Geschichte endet und wo der Roman beginnt und umgekehrt“, schrieb Wjasemski.
Fjodor Dostojewski
Der schärfste Kritiker Dostojewskis war ein anderer großer Schriftsteller: Wladimir Nabokow. „Dostojewski ist kein großer, sondern ein eher mittelmäßiger Schriftsteller, mit Blitzen unübertroffenen Humors, die sich leider mit langen und öden literarischen Plattitüden abwechseln.“ „Dostojewskis Geschmacklosigkeit, sein endloses Herumwühlen in den Seelen der Menschen mit Vor-Freudschen Komplexen, die Verzückung des Leids der mit Füßen getretenen Menschenwürde – all das ist nicht leicht zu bewundern.“
„Der Roman Schuld und Sühne, so Nabokov, „ist langatmig, unerträglich sentimental und schlecht geschrieben.“ Und über den Idioten schrieb er: „Dieser völlig wahnsinnige Mischmasch ist reichlich mit Dialogen durchtränkt, die die Ansichten verschiedener Bereiche der Gesellschaft über die Todesstrafe oder die große Mission des russischen Volkes vermitteln sollen. Helden sagen nie etwas, ohne vorher zu erblassen, zu erröten oder von einem Fuß auf den anderen zu treten.“ Dostojewski, den Nabokow, wie er selbst zugibt, in seiner Jugend bewundert hatte, wurde später zum bevorzugten Ziel seiner Kritik.
Anton Tschechow
Ironischerweise war Tschechow selbst sein größter Kritiker, vor allem in den Briefen an seine Familie. „Ich habe das Stück beendet. Es heißt Die Möwe. Nun, es kam nicht so gut an. Eigentlich bin ich kein Dramatiker“. „Langweilig“, schrieb er über seine Erzählung Lichter, „und so viel Philosophiererei, dass es lähmt... Ich lese erneut, was ich geschrieben habe, und fühle Übelkeit in mir hochkommen – ekelhaft!“
Über Tschechow war jedoch bekannt, dass er Lob hasste, aber offenbar immer dachte, er habe gute Werke geschrieben, die von den Lesern nur nicht anerkannt werden: „Mir gefällt nicht, dass ich Erfolg habe ... Es ist eine Schande, dass der Unsinn sich verkauft und die guten Sachen wie Ladenhüter im Lager liegen.“
Aber einige seiner Zeitgenossen kritisierten Tschechow ohne jede Ironie. So schrieb der führende symbolistische Dichter Innokenti Annenski: „Es gibt keine Seele... Eine verschmähte, arme Seele, ein gezupftes Gänseblümchen statt einer Seele... Ich habe das Gefühl, dass ich Tschechow nie wieder lesen werde. Er ist ein trockener Geist.“
Ein anderer großer Dichter, Ossip Mandelstam, war gegenüber Tschechow völlig gnadenlos. Über das Stück Onkel Wanja schrieb er: „Was für ein ausdrucksloses und glanzloses Rätsel ... Mir fällt es, zum Beispiel, leichter, die trichterförmige Darstellung in Dantes Komödie mit ihren Kreisen, Routen und der sphärischen Astronomie zu verstehen, als diesen kleinkarierten Mumpitz... Tschechow schöpft mit dem Netz eine Probe des menschlichen ,Moddersʻ, den es nie gegeben hat. Die Menschen leben zusammen und es gibt für sie keine Möglichkeit, zu entfliehen. Und Punkt. Gäbe man den Drei Schwestern mal eine Fahrkarte nach Moskau, dann wäre das Stück schnell vorbei“, glaubte Mandelstam.
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