„Verstehen kann man Russland nicht“: Fünf unerwartete Fakten über Fjodor Tjuttschew

Tretjakow-Galerie; Nevmenandr (CC BY-SA 3.0); Museumsanwesen Muranowo
Fjodor Tjuttschew (1803-1873) hat die Essenz seines Heimatlandes in Worte gefasst. Er hat zudem immer an einen besonderen russischen Weg geglaubt und war bemüht, im Westen ein gutes Bild Russlands zu kreieren.

1. Er hat die Russland-Formel gefunden 

“Verstehen kann man Russland nicht, und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht. Nur glauben kann man an das Land.”

Diesen Ausspruch von Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew aus dem Jahr 1886 kennt jeder Russe auswendig. Es ist schwer, eine treffendere und eindeutigere Zusammenfassung dessen, was Russland und die geheimnisvolle russische Seele ausmacht, zu finden. 

2. Er hat über 20 Jahre in Deutschland gelebt und deutsche Gedichte ins Russische übersetzt 

Münchner Rathaus

Tjuttschew stammte aus einem alten Adelsgeschlecht und erhielt zu Hause eine exzellente Erziehung und Ausbildung.  Nach der Universität trat er in den diplomatischen Dienst ein und wurde auf einen Posten nach München entsandt. Dort machte er die Bekanntschaft von Heinrich Heine. Er war der erste, der die Werke des deutschen Dichters ins Russische übersetzte. Er übersetze auch Gedichte von Goethe und Schiller. Seine Arbeiten gelten noch heute unter russischen Philologen als wegweisend. 

Heinrich Heine

In Deutschland galt der Dichter als Frauenheld. Er heiratete während seines Aufenthalts eine Einheimische, Eleonore von Bothmer, die ihm drei Töchter schenkte. Alle drei waren später Hofdamen bei der kaiserlichen Familie Russlands.  

3. Von der Romantik zur Politik 

Fjodor Tjuttschew

Im Jahr 1820 entwickelte Tjuttschew sein eigenes Verständnis über den Zweck der Poesie und brachte dies in einem Werk, dass er als Antwort auf Alexander Puschkins Ode „Freiheit“ schrieb zum Ausdruck. Puschkin wurde wegen dieser Ode ins Exil geschickt. Für Tjuttschew war der Sinn der Poesie nicht, Kritik am Zaren zu üben oder Missstände aufzudecken. 

Ab 1830 erinnerten Tjuttschews Gedichte an die der Romantiker: er war eindeutig beeinflusst von deutschen Dichtern. Eines seiner bevorzugten Themen war der Dialog des Individuums mit dem Universum. Die Helden seiner Gedichte waren häufig allein mit sich und dem unendlichen Sternenhimmel, im Bewusstsein der eigenen Unbedeutsamkeit angesichts der Ewigkeit.  

Doch in seinen reiferen Jahren hatte sich Tjuttschews Rhetorik völlig verändert. Nach einer Schaffenspause von rund zehn Jahren nahm er das Schreiben in den 1850er Jahren wieder auf und verfasste nun vor allem politische Gedichte. Tjuttschew betrachtete das Schicksal Russlands, setzte sich mit Angriffen aus dem Westen auseinander und betonte, wie alleine Russland gegen den Rest der Welt stehe.  

4. Er war professioneller Zensor 

Fjodor Tjuttschew

Tjuttschew kehrte 1844 von Deutschland zurück in die Heimat und diente weiter im Außenministerium. Er stand der Zensurabteilung vor. Damals schrieb er viele Abhandlungen und Kommentare, auch in fremden Sprachen. Er analysierte die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen und vertrat die Ansicht, dass sich die slawischen Völker unter russischer Führung  vereinen sollten. 

Tjuttschew schrieb an die Adresse von Außenminister Fürst Alexander Gortschakow einen Bericht „Über Zensur in Russland“. Er war besorgt über die Unruhen in Europa und der Ansicht, dass man die Beziehungen zur Presse gut pflegen solle, damit diese als Sprachrohr des Staates fungieren könne. Zugleich war er gegen wahllose Beschränkungen. Er fand, der Staat solle sich wie Eltern um den Geist unreifer Jugendlicher kümmern.  

„Zensur alleine, ganz egal wie sie eigesetzt wird, ist ungeeignet, einen Beitrag zu den Interessen des Staates zu leisten.  Zensur bedeutet Restriktion, nicht Führung. In der Literatur sollten wir nicht an Unterdrückung denken, sondern an Begleitung.“ 

  1. Eine Revolution in Russland hielt er für unmöglich 

Von den europäischen Revolutionen von 1848-49 geschockt, schrieb Tjuttschew die Abhandlung „Russland und die Revolution“. Er beschrieb darin die seiner Meinung nach beklagenswerten Zustände in Frankreich, Deutschland und Österreich nach den Revolutionen. Er hielt einen Umsturz in Russland für ausgeschlossen, diese läge nicht in der Natur des russischen Volkes. 

„Erstens ist Russland ein christlicher Staat, und das russische Volk ist eine christliche Nation, nicht nur wegen seines orthodoxen Glaubens, sondern es kommt aus tiefstem Herzen“, glaubte er. Der Dichter argumentierte, die Bereitschaft zur Selbstaufopferung liege den Russen im Blut, während eine Revolution gegen das Christentum und die geltenden moralischen Normen verstoße, weshalb Russen dafür nicht empfänglich seien. 

Tjuttschew betrachtete die zaristische Autokratie als gottgegebenen Weg für Russland. Er starb 1873, so dass er weder die Ermordung von Kaiser Alexander II. durch revolutionäre Terroristen im Jahr 1881 noch die ersten russischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts erlebte.

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