Herz des Hauses: Der traditionelle Ofen war der Mittelpunkt jedes russischen Heims

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Der russische Ofen war schon immer mehr als nur eine Heizquelle. Er ist ein Stück Kulturgeschichte und war Dreh- und Angelpunkt des russischen Alltagslebens.

Die beiden bekanntesten russischen Märchenfiguren - Ilja Muromets und Jemelja - sind untrennbar mit dem russischen Ofen verbunden. Ersterer lag 33 Jahre lang auf einem Herd, bis er mit magischen Kräften ausgestattet in den Kampf gegen das Böse zog. Letzterer verließ den Ofen nie. Einmal flog er sogar mit ihm zum Zaren. Der Ofen war bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der Dreh- und Angelpunkt des russischen Haushalts. 

Das Herz des Hauses 

Der Ofen ist der wärmste Ort in einem Haus. Darauf zu liegen, sich warm und gemütlich zu fühlen und ausnahmsweise untätig zu sein, war der ultimative Traum für einen Bauern. In den Wintermonaten verbrachten sie hier die meiste Zeit. Interessanterweise war der Platz oben auf dem Herd nur den Männern vorbehalten: entweder dem Familienoberhaupt oder einem der Ältesten. Während Frauen die Aufgabe hatten, den Herd zu befeuern, zu kochen und andere Hausarbeiten zu erledigen. Kinder durften nur für kurze Zeit, zum Spaß und nur mit Erlaubnis von Erwachsenen auf den Herd klettern.

Der Ofen wird in vielen russischen literarischen Werken erwähnt, zum Beispiel in Maxim Gorkis „Meine Kindheit“: 

„Ich habe auf dem Boden zwischen dem Herd und dem Fenster geschlafen. Es gab nicht genug Platz, also musste ich meine Füße in den Ofen stellen und die Kakerlaken kitzelten sie. Diese Ecke erlaubte mir nicht wenig böswilliges Vergnügen, denn beim Kochen beschädigte der Großvater ständig das Fenster mit dem Stiel des Ofenrechens oder dem Schürhaken…“ 

Der Ofen hatte normalerweise eine „Frauenecke“, bekannt als Kut, zu der die Männer keinen Zutritt hatten. Dort wurde Geschirr aufbewahrt und Frauen erledigten Handarbeiten. Oft war der Kut durch einen speziellen Vorhang vom Hauptteil der Hütte getrennt. Hinter diesem Vorhang versteckten sich die Bräute vor der Hochzeit, die Frauen gebaren und stillten.

Beim Bau einer neuen Hütte entstand diese um den Ofen herum. 

Wie sah ein russischer Ofen aus? 

Der russische Ofen entwickelte ungefähr im 15. Jahrhundert sein bekanntes Erscheinungsbild. In verschiedenen Teilen des Landes können sich die Öfen im Material unterscheiden (Stein oder Ton) und im Brennstoff (hauptsächlich Brennholz, aber es können auch Mistpellets, Stroh oder Torf verbrannt werden).

Der Ofen ist das Hauptelement des Innenraums eines traditionellen russischen Hauses. Alte Öfen konnten fast die Hälfte des Raumes einnehmen. Vom Ofen bis zur gegenüberliegenden Wand standen Holzbänke, auf denen geschlafen wurde.

Der Ofenbau war ein wichtiges Handwerk in Russland und die Ofenbauer waren sehr gefragt und genossen großen Respekt. Ihre Arbeit erforderte viel Wissen und Können. 

Der Hauptteil des Ofens ist der Herd oder die Brennkammer. Der Herd wurde auch zum Kochen verwendet: Ton- oder Gusseisentöpfe wurden in den heißen Herd gestellt. Dazu wurden spezielle Ofengabeln genutzt, die in jedem russischen Volkskundemuseum zu finden sind. Einige Öfen waren groß genug, um auf dem Herd einen Bottich für ein heißes Bad stellen zu können.  

Direkt unter dem Herd befand sich eine spezielle Aussparung, die als Herdboden bekannt war. In ihr wurde das Brot gebacken. Der Brotlaib wurde hineingelegt, als der Ofen noch heiß war, um eine knusprige Kruste zu erhalten, und blieb noch lange darin, als das Feuer bereits erloschen war. 

Der Schlafplatz auf dem Herd (Perekrischka) befand sich normalerweise direkt unter der Decke, wo die Luft am wärmsten war. Selbst wenn das Feuer bereits gelöscht war, dauerte das Abkühlen des Ofens sehr lange, sodass Lebensmittel und Wasser darin und darauf erhitzt werden konnten. Normalerweise gab es im Ofen kleine Nischen, in denen Lebensmittel wie Pilze oder Kräuter getrocknet oder gelagert oder Kleidung oder Schuhe verstaut werden konnten. 

Brennholz, ein Schürhaken und andere Gerätschaften wurden normalerweise am Kamin aufbewahrt, der auch der Lieblingsort von Mäusen und Kakerlaken war. 

In wohlhabenden Haushalten wurden die Öfen mit bemalten Tonfliesen dekoriert. Dieses Handwerk wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen des sogenannten russischen Stils besonders beliebt. Dieses dekorative Element ist auch heute noch gefragt. 

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Mystische und praktische Bedeutung des russischen Ofens 

Abergläubische russische Bauern waren davon überzeugt, dass Hausgeister hinter oder unter dem Ofen lebten. Es wurde angenommen, dass die Öfen Heilkräfte hatten, so dass kranke Menschen in der Hoffnung auf eine baldige Genesung auf dem Herd lagen. Ofendämpfe wurden inhaliert, da man ihnen eine medizinische Wirkung zusprach. Die Asche wurde nicht weggeworfen, sondern zur Herstellung von Salben, Tinkturen und für Seifen oder Bleichmittel genutzt. 

Der Herd wurde zu Beginn des Winters angefeuert und war von Oktober bis April oder Mai in Betrieb. Die Russen hatten schon immer viele Volksweisheiten zur Wettervorhersage und auch der Ofen diente dazu. Wenn der Luftzug stark oder das Feuer rot war, konnte man frostiges Wetter erwarten. Wenn das Brennholz leise brannte und das Feuer weiß war, stand dagegen Tauwetter an, glaubte man. 

Der russische Ofen heutzutage 

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wichen massive russische Öfen den kompakten holländischen Ziegelöfen. Letztere nahmen nicht nur weniger Platz ein, sondern waren auch viel einfacher gestaltet. Man konnte sich nicht auf sie legen, aber sie hatten eine kleine Plattform für die Zubereitung von Speisen wie ein Herd. 

In diesen Tagen ist der traditionelle russische Ofen eine Seltenheit geworden und nur noch in Museen zu finden.

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