Kaliningrad: Warum russische Freiwillige sich für die Rettung der Ruinen deutscher Burgen einsetzen

Kultur
ANNA SOROKINA
In der westlichsten Region Russlands, die früher deutsches Territorium war, gibt es zahlreiche Burgruinen der Deutschordensritter. Und es gibt Enthusiasten, die versuchen, sie vor dem völligen Verfall zu retten, um sie eines Tages restaurieren zu können.

Der westlichste Teil Russlands, das Kaliningrader Gebiet, wurde nach den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs Teil Russlands, nachdem es mehrere Jahrhunderte lang zu Preußen und davor zum Deutschordensstaat gehört hatte. Die Erinnerung an diese Zeit in der Geschichte Kaliningrads (das bis 1946 Königsberg hieß) ist in Dutzenden von Ruinen alter Schlösser und Kirchen erhalten geblieben. Jedes Wochenende wird einer dieser Orte von Freiwilligen aufgesucht, die ihn von Müll und herabgefallenen Ästen befreien. Sie nennen sich Ruinenwächter.

Warum Ruinen retten?

„Angefangen hat alles mit einer Handvoll Menschen, während unsere Subbotniks jetzt im Durchschnitt 70-80 Freiwillige anziehen“, berichtet Swetlana Nasarowa, Koordinatorin der Ruinenwächter. Alle diese Menschen kommen aus Kaliningrad und Umgebung, arbeiten unter der Woche in ihren normalen Berufen und widmen ihre Samstage und Sonntage der Rettung alter Architektur.

Die Bewegung wurde Anfang 2020 von einem Bewohner des Kaliningrader Gebiets, Wassili Plitin, gegründet. Als Kind verbrachte er, wie viele hier, seine Freizeit spielend auf den Ruinen teutonischer Schlösser und verlassener preußischer Kirchen. Als Erwachsener begann er, Gleichgesinnte zu versammeln, um das Gebiet von Unrat zu befreien. Nach und nach wurden aus einmaligen Aktionen wöchentliche, die in den sozialen Medien große Beachtung fanden. 

Zu verschiedenen Zeiten wurden diese Gebäude als Verteidigungsanlagen, als Kasernen und für Verwaltungszwecke genutzt, doch sie verfielen. Viele wurden während des Krieges beschädigt. Heute ist vom einstigen Glanz nichts mehr übrig. Es sind Ruinen, die für die Anwohner zu einem vertrauten Anblick geworden sind. Die einen haben Wolkenkratzer vor ihren Fenstern, die anderen eine 600 Jahre alte Kirchenruine.

„Manchmal kommen auch die Anwohner zu uns, aber nicht so oft", sagt Swetlana. „In der Regel interessieren sie sich überhaupt nicht für diese Ruinen. Außerdem befinden sie sich  oft in heruntergekommenen Gegenden und werden von den Einheimischen mutwillig zerstört.“

Da es sich bei all diesen Ruinen um Kulturerbe handelt (und sie seit 2010 auch unter die Zuständigkeit der russisch-orthodoxen Kirche fallen), können sie nicht einfach restauriert oder gar konserviert werden - alle Arbeiten erfordern spezielle Genehmigungen, die Einbindung ausgebildeter Architekturspezialisten und erhebliche finanzielle Mittel. Das Einzige, was Freiwillige tun können, ist, die Gegend um die alten Mauern ein wenig sauber zu halten. Und selbst diese Aktivitäten müssen mit den örtlichen Behörden koordiniert werden, die den Freiwilligen sehr wohlwollend gegenüberstehen und ihnen manchmal sogar spezielle Geräte für die Reinigung zur Verfügung stellen.

Nach den ungefähren Schätzungen der Wächter haben sie bereits fast 30 Standorte gereinigt, von denen einige mehr als einen Besuch erforderten. 

„Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Vegetation zurückzuschneiden und den Müll zu entfernen und die herausgefallenen Ziegel und Fliesen ordentlich aufzustapeln“, beschreibt Swetlana ihre Aktivitäten. Die Baustelle im Dorf Uschakowo in der Nähe von Kaliningrad beispielsweise erforderte fünf Besuche. „Wir fällten die Bäume, die in die Mauern hineingewachsen waren, mähten das angrenzende Gelände, einschließlich eines ehemaligen Friedhofs, reinigten den Turm vom Erdreich und entfernten die Baumstümpfe. Aber es hat sich gelohnt, denn das Ergebnis kann sich sehen lassen!“

Interessanterweise werden Ruinen, nachdem sie aufgeräumt wurden, nicht mehr so oft als Müllhalde benutzt. Das Bewusstsein der Einheimischen für die Ruinen wächst. Sie behandeln sie sorgfältiger. Wenn die Freiwilligen sehen, dass das Dach oder die Wände einzustürzen drohen, benachrichtigen sie die örtliche Verwaltung, in der Hoffnung, dass diese zumindest etwas unternimmt, um die Kulturstätte vor der Zerstörung zu bewahren.

„Manchmal wählen wir Stätten aus, die ziemlich weit von Kaliningrad entfernt liegen. Deshalb würden wir in Zukunft gerne lokale Aktivisten finden, die diese selbst überwachen", sagt Swetlana.

Ruinen-Tourismus 

Die Ruinenwächter sagen, dass es wahrscheinlich unmöglich und auch unnötig ist, alle Stätten in der Region zu restaurieren, aber es wäre großartig, sie in die Touristenrouten aufzunehmen, selbst in ihrem jetzigen Zustand. Doch sie müssen auch vor weiterem Verfall bewahrt werden. „Wir müssen sie vor der völligen Zerstörung bewahren und sie für Touristen zugänglich, sicher und attraktiv machen“, sagt Wassili. Die Wächter möchten, dass diese alten Schlösser und Kirchen Teil einer Art historischer Parks werden, in denen Besucher Informationen über die Stätte lesen und sie erkunden können.

In der Region gibt es bereits Beispiele für einen erfolgreichen Mittelaltertourismus, sagt Swetlana. So hat das Geschäftsehepaar Nadeschda und Sergei Sorokin das 1264 erbaute Schloss Waldau (15 km von Kaliningrad entfernt) gemietet und restauriert es in Eigenregie. Früher war dieses Schloss der Sitz der Großmeister des Deutschen Ordens. Zu Sowjetzeiten beherbergte es eine landwirtschaftliche Hochschule, heute befindet sich in einem der Nebengebäude nur noch ein Heimatmuseum. Die Sorokins haben das Gelände gesäubert, einen Teil der Räumlichkeiten renoviert, die nun für Touristen zugänglich sind, und bauen im Park sogar eine lokale Spargelsorte zum Verkauf an.

Auch die Ruinen der Wehlau-Kirche in Snamensk (50 km von Kaliningrad entfernt) wurden zu neuem Leben erweckt, und es finden hier Konzerte und Hochzeiten statt.

Ein weiteres Beispiel ist das Schloss Ragnit, das sich im Zentrum der Stadt Neman (120 km von Kaliningrad entfernt) befindet. In ihrer mehr als siebenhundertjährigen Geschichte hat die Festung zahlreiche Angriffe und Brände überstanden und wurde jedes Mal wieder aufgebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurde Ragnit schwer beschädigt, und bis vor kurzem stand es verlassen da.

Im Jahr 2019 wurde die Burg jedoch von dem lokalen Unternehmer und Geschichtsliebhaber Iwan Artjuch gemietet. Gemeinsam mit den Ruinenwächtern und anderen Freiwilligen wurden die Ruinen von ihm von Schutt und Müll befreit. Es werden bereits Führungen durch die Burg angeboten.

Iwan sagt, dass er und sein Team die Burg gerne restaurieren würden. „Wir bereiten gerade die Unterlagen vor, die es uns ermöglichen, Fördermittel aus einem Restaurierungsprogramm für Denkmäler zu beantragen. Wenn wir Glück haben, werden die Mittel bewilligt und wir können mit den Bauarbeiten beginnen“, hofft Iwan. 

Er wünscht sich, dass sein Projekt auch im Ausland Beachtung findet und Ragnit zu einem internationalen Kulturerbe wird.

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