Eine Ikone, die auf eine getrocknete Flunder gemalt wurde, gilt als eine der seltensten Ikonen überhaupt - es gibt nicht mehr so viele davon. Zwei landeten 1906 im Russischen Museum in St. Petersburg. Sie wurden im 19. Jahrhundert mit Ölfarbe auf beide Seiten des Fisches gemalt und zeigen Jesus Christus sowie die Heilige Mutter Gottes.
Es war eine alte tschumakische Tradition, Heiligenbilder auf getrocknetem Fisch aufzubringen. Aber warum dieses Material? Und wer waren die Tschumaken?
Verbindung zum Christentum
Der Fisch ist eines der ältesten christlichen Symbole. Das griechische Wort dafür - ΙΧΘΥΣ („ikhtis“) - ist ein Akronym des griechischen Ausdrucks „ησοῦς Χριστός, Θεοῦ Υἱός, Σωτήρ", übersetzt: „Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter". Es ist kein Zufall, dass der Fisch eine so wichtige Rolle in der biblischen Symbolik einnimmt. Demnach soll es Jesus gelungen sein, 5.000 Menschen mit nur zwei Fischen und fünf Stück Brot zu ernähren, während seine Apostel Petrus, Andreas und Johannes Fischer waren. Jesus selbst bezeichnete sie als „Menschenfischer".
Der Fisch, mit und ohne ΙΧΘΥΣ-Monogramm, war zur Zeit der Christenverfolgung durch die Römer im 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. ein Code, mit dem sich Christen gegenseitig zu erkennen gaben. Das Dekret über die religiöse Toleranz wurde erst im Jahr 313 n. Chr. unterzeichnet - bis dahin waren alle bildlichen Darstellungen Jesu streng verboten. Niemand hatte jedoch ein Problem mit Bildern von Fischen. Wenn sich also zwei Menschen auf der Straße begegneten und der eine einen Bogen zeichnete und der andere ihn ergänzte, indem er einen weiteren darunter zeichnete, identifizierten sich die beiden als Anhänger desselben Glaubens. Das Fisch-Symbol wurde ebenfalls für christliche Gemeindeversammlungen und Beerdigungen verwendet.
Schließlich verwendeten die Tschumaken für ihre Ikonen nicht nur symbolisches Material, sondern auch eine der zugänglichsten „Leinwände" des 19. Jahrhunderts - getrockneten Fisch.
Wer waren diese Tschumaken?
Die Tschumaken lebten im 16. bis 19. Jahrhundert in der Ukraine und im Süden Russlands. Sie waren Händler und Spediteure. Sie transportierten vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, Fisch und Salz vom Meer ins ganze Land und darüber hinaus. Sie nutzen dazu überwiegend etablierte Schifffahrts- und Handelswege, die sich über Hunderte von Kilometern erstreckten.
Ein typischer Tschumak hatte mehrere Dutzend Karren und Ochsen zur Verfügung. Einige schlossen sich mit anderen zusammen, so dass die Karawane zwischen 100 und 500 solcher Wagen umfassen konnte. In den 1840er Jahren wurden jährlich durchschnittlich 130.000 Tonnen Waren von der Krim aus transportiert, tausende davon durch Tschumaken.
Der Verlust einer Ladung durch Diebstahl war real, denn häufig gab es Überfälle von Banditen, die es auf die wertvollen Güter abgesehen hatten. Deshalb heuerten die Tschumaken oft zusätzliche Verstärkung in Form von Konvois an, die sie eskortierten und Schutz geben sollten. Schutz sollten auch Amulette geben. Diese bestanden aus getrocknetem Fisch und wurden in den Wagen aufgehängt (ähnlich wie religiöse Symbole, die heute an den Rückspiegeln von Autos befestigt werden). Die Tschumaken spendeten den Klöstern zusätzlich auch Salz - ein wertvolles Gut in jenen Tagen.
Die Fischsymbole starben ebenso wie die Tschumaken-Handelsgilden allmählich aus, als das Zeitalter der Eisenbahn seinen Siegeszug antrat und diese Art von Transportgeschäft überflüssig machte. Die Tschumaken überlebten auf den Leinwänden berühmter russischer Künstler wie Archip Kuindschi, Iwan Aiwasowski, Aleksei Sawrasow und anderer.