1. Alexander Puschkin. Die Geschichten des verstorbenen Iwan Petrowitsch Belkin
Puschkin, der vor allem als Dichter berühmt wurde, schrieb mehrere Prosawerke, die in den goldenen Fundus der russischen Klassik eingegangen sind. Die sowjetische Literaturkritik lobte die realistischen Erzählungen von Belkin, die angeblich im Auftrag eines bestimmten Erzählers entstanden, dessen Aufzeichnungen Puschkin einfach gefunden haben soll. Doch die Zeitgenossen des Dichters schätzten seine Prosa nicht.
Eine Szene aus dem Film „Pistolenschuss“, die auf einer der Belkin-Erzählungen von Puschkin basiert.
Naum Trakhtenberg/Mosfilm, 1966Die Kritiker bemerkten zwar die „flüssige“ Sprache, kritisierten aber den Mangel an Ideen. Die einzelnen Geschichten wurden als Anekdoten bezeichnet, und zwar als ziemlich langatmige. „Die Geschichten des verstorbenen Iwan Petrowitsch Belkin lesen sich leicht, weil sie nicht zum Nachdenken anregen“ schrieb die St. Petersburger Zeitung Séwernaja ptschelá (dt.: Biene des Nordens). „Farcen, drapiert in ein Korsett der Einfachheit, ohne jede Barmherzigkeit“, schrieb die Zeitschrift Moskowskij Telegraf.
Über die Tatsache, dass Erzählungen von Belkin von der Öffentlichkeit und der Presse recht kühl aufgenommen wurden, schrieb auch einer der wohl bedeutendsten Kritiker des 19. Jahrhunderts Wissarion Belinskij. In einer Reihe von Artikeln über Puschkin lobte und bewunderte vor allem dessen Talente, stellte aber fest: „Obwohl man nicht sagen kann, dass in ihnen überhaupt nichts Gutes mehr steckt, waren diese Geschichten weder des Talents noch des Namens Puschkins würdig. <...> Besonders pathetisch ist eine von ihnen, Fräulein Bäuerin – an den Haaren herbeigezogen, varietéhaft, das Leben von Gutsbesitzern aus einer idyllischen Sicht darstellend...“
Einigen Forschern zufolge wurden alle Geschichten von Puschkin als Parodie auf das Genre der Alltagsanekdoten mit einer unerwarteten Auflösung geschrieben. Aber wenn es sich um Humor gehandelt haben sollte, haben die Zeitgenossen ihn leider nicht verstanden.
Später, in den 1860er Jahren, revidierten die Kritiker ihre Meinung über die Geschichten und vor allem über die Erzählungen von Belkin und lobten sie als bescheidenen Träger des russischen Charakters, sanftmütig und demütig. Dostojewski schrieb, dass alle wirklich schönen Dinge in unserer Literatur „aus dem Volk stammen, angefangen bei dem bescheidenen, einfältigem Typus Belkins“.
2. Nikolai Gogol. Der Revisor
Zum ersten Mal las Gogol seine Komödie 1836 im Haus des Dichters Wassilij Schukowskij, wo die gesamte literarische Welt versammelt war. Viele kicherten und selbst Puschkin (der den Autor auf die Idee für die Handlung gebracht hatte) „kugelte sich vor Lachen“. Aber es gab auch Gäste, die das Stück sofort als „die Kunst beleidigende Farce“ verurteilten. Jemand nannte die Komödie plump und flach. Es gab auch diejenigen, die Gogol wegen der Unglaubwürdigkeit der Komödie verurteilten – angeblich konnte der Stadthauptmann den Revisor nicht mit einem einfachen Glücksritter verwechseln. „Es besteht keine Notwendigkeit, Russland einen Stempel aufzudrücken“, schrieb der konservative Kritiker Thaddeus Bulgarin, der Gogol auch wegen des Mangels an positiven Charakteren anprangerte.
Verfilmung von Gogols Komödie „Der Revisor“
Vladimir Petrov/Mosfilm, 1952Der Zufall wollte es, dass die Komödie über korrupte Provinzbeamte von Kaiser Nikolaus I. zur Veröffentlichung und Aufführung im Theater zugelassen wurde: Er sah in dem Stück keine Metapher für ganz Russland. Bei der Premiere lachte er und sagte: „Was für ein Stück! Alle haben es verstanden, ich mehr als alle anderen.“
Der Erfolg im Theater war kolossal, aber Gogol selbst hielt die Komödie für einen Misserfolg – es schien ihm, dass die Schauspieler das Konzept nicht verstanden hatten und schlecht spielten. Aus Verzweiflung ging er sogar eine Zeit lang ins Ausland.
3. Fjodor Dostojewski. Arme Leute
Dies war eines der ersten psychologischen Werke der russischen Literatur über einen unscheinbaren kleinen bescheidenen Beamten. Nach der Lektüre des Manuskripts bewunderte der Kritiker Belinskij den Autor und nannte ihn einen neuen Gogol. Noch bevor das Werk im Druck erschien, machte er ganz St. Petersburg auf den neuen talentierten Schriftsteller aufmerksam. Dies führte beim Publikum zu einer zwiespältigen Resonanz. Einerseits war sein hohes Lob für Dostojewski die Eintrittskarte in die literarische Welt. Andererseits standen viele Kritiker dem Werk misstrauisch und sogar skeptisch gegenüber. Einige warfen Dostojewski sogar vor, von Belinskij übermäßig beeinflusst worden zu sein.
Der Kritiker Vissarion Belinsky liest „Arme Leute“ vor. Reproduktion einer sowjetischen Zeichnung, 1948
TASSIn gewisser Weise stimmte das auch: Unter Belinskijs Einfluss schloss sich der dankbare junge Autor den revolutionär gesinnten Petraschewzen, einem Zirkel fortschrittlicher russischer Intellektueller, an. Ihnen las er später den verbotenen Brief Belinskijs an Gogol vor, in dem dieser Russland kritisierte – dafür wäre Dostojewski beinahe hingerichtet worden, wobei im letzten Moment den Galgen durch Zwangsarbeit ersetzt wurde.
Arme Leute wurde wegen seiner mangelnden Form und seines unklaren Inhalts gescholten: „Aus dem Nichts hat er versucht, ein Poem, ein Drama zu konstruieren, aber herausgekommen ist nichts, trotz aller Behauptungen, etwas Tiefgründiges zu schaffen“, schrieb die Zeitung Séwernaja ptschelá. Viele kritisierten die Länge des Werks und die übermäßig langweiligen Details. Belinskij selbst gab später zu, dass der Roman zu langatmig sei.
Der Kritiker Apollon Grigorjjew nannte die Sentimentalität des Autors geheuchelt und glaubte nicht, dass Dostojewski aufrichtig so viele unbedeutende Persönlichkeiten wie seinen Helden „anbetet“. Jemand warf Dostojewski vor, Gogol und dessen Petersburger Erzählungen zu imitieren. Gogol las den Roman übrigens und lobte das Talent des Schriftstellers, merkte aber an, dass der Autor noch jung sei, und stimmte zu, dass der Roman sehr wortreich sei: „Alles wäre viel lebendiger und stärker ausgefallen, wenn er prägnanter gewesen wäre.“
4. Boris Pasternak. Doktor Schiwago
Der Roman über den Bürgerkrieg gilt heute als eines der besten Werke der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Pasternak wurde dafür mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. In der UdSSR wurde er jedoch bis zur Perestroika nicht nur nicht gedruckt, sondern der Autor war auch regelrechten Schikanen ausgesetzt.
Omar Sharif in der Hauptrolle als Jurij Schiwago
David Lean/Metro-Goldwyn-Mayer (MGM), Carlo Ponti Production, Sostar S.A., 1965Die Redaktion der Zeitschrift Nowyj Mir, die neue Bücher veröffentlichte, erklärte in einem offenen Brief, das Buch stelle die Oktoberrevolution und die Menschen, die „diese Revolution und den Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion vollbracht haben“, verleumderisch dar. Der Nobelpreis wurde als eine politische Aktion bezeichnet. Nach Meinung der „wahrhaft sowjetischen“ Redakteure steht der Preis „im Zusammenhang mit dem antisowjetischen Medienrummel um den Roman“ und spiegelt in keiner Weise „die literarischen Qualitäten von Pasternaks Werk“ wider.
5. Wladimir Nabokow. Lolita
In den puritanischen Vereinigten Staaten weigerten sich nicht weniger als vier Verlage, einen solchen „erotischen Roman“ zu drucken.
Viele fürchteten unangenehme Folgen für ihren Ruf und sogar mögliche Rechtsstreitigkeiten. Die höflichen Ablehnungen gegenüber dem Schriftsteller wurden jedoch von sehr positiven Rezensionen begleitet. Nur in Frankreich wagte man es, den Roman zu drucken, und der Verlagschef bewunderte, wie es dem Autor gelungen war, „die russische Literaturtradition in moderne englische Prosa zu übertragen“.
„Lolita“ von Stanley Kubrick
A.A. Productions Ltd., Anya, Harris-Kubrick Productions, Transworld Pictures, 1961Das Buch wäre fast unbemerkt geblieben, aber in der britischen Presse kam es zu einem polemischen Skandal. Auf den Seiten der Times empfahl Graham Greene Lolita als eines der besten Bücher des Jahres 1955, aber der Herausgeber des Sunday Express John Gordon parierte seinen Kollegen und nannte es das „schmutzigste Buch“ und „unverhohlene Pornographie“.
In vielen Ländern ist der Roman über die Liaison eines erwachsenen Mannes mit einer Minderjährigen längst verboten. Die Verbreitung eines Buches, in dem Pädophilie so ästhetisch (und fast gerechtfertigt) dargestellt wird, wurde als schädlich und sogar gefährlich angesehen. Auch in Frankreich wurde das Buch nach seiner Erstveröffentlichung verboten, aber der Verleger erstritt später vor Gericht das Recht, es zu herauszugeben.
In der UdSSR stand das Buch natürlich auch unter Verbot. Nabokow selbst ironisierte, dass es ihm schwer falle, sich vorzustellen, welches Regime und welche Zensur in „meinem Urvaterland“ die Veröffentlichung des Romans erlaubt hätten.
Er wurde jedoch im Samisdat aktiv verbreitet. Und Anspielungen auf Lolita erschienen bei den berühmten Dichtern Andrej Wosnessenskij und Jewgenij Jewtuschenko. Der Roman wurde nicht nur wegen seiner „Perversion“, sondern auch wegen der Persönlichkeit des Autors selbst nicht herausgegeben. Die sowjetische Presse schimpfte über Nabokow, weil er „einen Text voller Snobismus für die neugierige Bourgeois“ geschrieben habe. 1970 veröffentlichte die Literaturnaja Gaseta einen Artikel, in dem sie Lolita als das Produkt eines Emigranten bezeichnete, der seine Heimat verraten und verkauft habe. Die Zeitung erhielt daraufhin viele wütende Briefe von Menschen, die diesen „Roman des weißen Emigranten Nabokow“ gelesen hatten und dazu aufriefen, ihn auf die internationale Fahndungsliste zu setzen.
Doch 1989 wurde Lolita auch in der UdSSR veröffentlicht und löste einen wahren Boom aus.
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