Stalins „Sieben Schwestern“: Alles, was Sie über Moskaus legendäre Hochhäuser wissen müssen

Yuriy Shurchkov/500px/Getty Images
Eines der ehrgeizigsten architektonischen Projekte Josef Stalins sind die legendären „sieben Schwestern“. Um sie zu errichten, mussten die Architekten unglaubliche Anstrengungen unternehmen, Tausende von Häftlingen beschäftigen und Milliarden von sowjetischen Rubeln ausgeben.

Wessen Idee waren sie?

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschloss Josef Stalin, Moskau im großen Stil umzubauen. Um eine beispielhafte Hauptstadt zu schaffen, konzipierte er mit dem Bau der ersten Wolkenkratzer eines der größten Architekturprojekte seiner Zeit. Sie erhielten deshalb den Spitznamen Stalins Wolkenkratzer. Sie sollten den Triumph und die Größe des Landes verkörpern. Stalin werden sogar solche Worte zugeschrieben: „Wenn Leute von uns Amerika besuchen und dann wiederkommen, sagen sie mit Staunen: Ach, was für große Häuser dort sind! Sollen sie doch nach Moskau gehen und sehen, was für Häuser wir haben und staunen.“

Obwohl Stalins Hochhäuser in erster Linie mit amerikanischen Wolkenkratzern verglichen werden, sind sie in ihrem eigenen, einzigartigen architektonischen Stil gebaut, oder besser gesagt, in einer Mischung aus allen möglichen Stilen, die später Stalin-Klassizismus (auch Stalin-Empire oder auch Zuckerbäckerstil) genannt wurde. Monumentalität und reiche Dekoration sind seine Hauptmerkmale. Lesen Sie hier mehr darüber, was der Stalin-Klassizismus ist.

Wann sind sie entstanden und wo befinden sie sich? 

Der Bau aller Stalin-Hochhäuser begann an ein und demselben Tag – zur 800-Jahrfeier Moskaus im Jahre 1947. Fertiggestellt wurden sie in allerdings in verschiedenen Jahren. Laut Plan hätten es acht Wolkenkratzer sein sollen – einer für jedes Jahrhundert. Doch es wurden nur sieben fertiggestellt – der achte in Zarjadje musste abgerissen werden.

Die Hochhäuser befinden sich in verschiedenen Teilen Moskaus, aber alle nahezu im Zentrum, so dass sie von fast jedem Punkt der Stadt aus sichtbar sind.

Was steckt in ihnen und wie unterscheiden sie sich? 

Von Anfang an hatten jeder Wolkenkratzer seinen eigenen Zweck: Wohnhaus, Ministerium, Universität, Hotel und sogar... Metro-Station. Und obwohl das äußere Erscheinungsbild der Stalin-Häuser einander sehr ähnelt, können nur Einheimische sie voneinander unterscheiden.

Das Hauptgebäude der Staatlichen Moskauer Universität (MSU) – der erste sowjetische Campus, der einer Stadt gleicht

Das 235 Meter hohe Hochhaus an den Sperlingsbergen ist das höchste der sieben Schwestern. Das Gebäude war von vornherein für die wichtigste Universität des Landes, die Lomonossow-Universität, vorgesehen, wodurch eine kleinen Stadt für zehntausend Menschen entstehen sollte. Der Komplex wurde der erste sowjetische Uni-Campus. Auf seinem Gelände befand sich die gesamte notwendige Infrastruktur: Vorlesungssäle und Seminarräume, Wohnheime, Bibliotheken, ein Postamt, diverse Läden, Kantinen, eine Schwimmbad, ein Telegrafenamt und anderes mehr. Wer nicht wollte, musste den Campus bis zum Ende des akademischen Jahres überhaupt nicht verlassen.

Da alle Hochhäuser als Symbole der Größe der Sowjetunion konzipiert waren, wurde an der Dekoration nicht gespart. Das MSU-Gebäude mit seinen Säulen, Stuck und Mosaiken kostete dem Staatshaushalt 2,631 Milliarden sowjetische Rubel – das entsprach den Baukosten einer Kleinstadt mit fünfstöckigen Plattenbauten für 40.000 Einwohner.

Ob es stimmt, dass der Wolkenkratzer von Sträflingen gebaut wurde, warum nicht alle Fakultäten nach der Eröffnung dort einziehen wollten und wie man heute in das Gebäude kommt, lesen Sie hier.

Das Hochhaus an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße – ein Elitehaus für Tschekisten in der Nähe des Kremls

Dieses Hochhaus ist mit keinem anderen zu verwechseln, denn aus seinen Fenstern blickt man auf den Kreml. Umso bemerkenswerter ist die Entstehungsgeschichte: Das Hochhaus wurde von Gulag-Häftlingen gebaut, und bis 1953 befand sich das Gefangenenlager direkt auf der Baustelle, 900 Meter vom Kreml entfernt. Um eine Flucht zu verhindern, war das gesamte Gelände mit einem drei Meter hohen Zaun mit fünf Reihen Stacheldraht und einer Sicherheitszone von einem halben Meter umgeben.

Bei dem Hochhaus handelte es sich um ein elitäres Wohnhaus für die eigenen Leute – so soll es bei der Schlüsselübergabe gewesen sein. Es wurde von höher gestellten Beamten, Atomphysikern, Militäroffizieren und, um das Prestige des Hauses zu steigern, von der Künstler-Intelligenzija bewohnt. Letzterer ist es zu verdanken, dass dieser Wolkenkratzer zu einer Filmkulisse wurde und in Kultfilmen und Fernsehserien auftauchte.

Lesen Sie hier, welche Filme dort gedreht wurden, welche Berühmtheiten in dem Haus lebten und warum nicht jeder gerne dort wohnt.

Das Gebäude des Außenministeriums ist ein technisches Wunderwerk mit einer „gefährlichen“ Dekoration

Das Gebäude des Außenministeriums war einst ein technisches Wunderwerk. Der Wolkenkratzer wurde nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten gebaut: Die Auskleidung des Tragwerks mit Beton begann in den oberen Stockwerken in 172 Metern Höhe, und während der Beton aushärtete, ging es Stockwerk für Stockwerk nach unten. Auf diese Weise konnte der Bau in dem historischen Viertel unter äußerst beengten Verhältnissen durchgeführt werden.

Dieses Hochhaus ist das einzige, das nicht mit mit dem typischen Sowjetstern versehen wurde. Dafür gab es einen objektiven Grund, der dazu führte, dass das Gebäude unter dem nächsten Führer des Landes als Denkmal für Stalins Dummheit bezeichnet wurde. Diesen Grund und warum es den Beinamen „einer der schönsten Wolkenkratzer“ trägt, erfahren Sie hier.

Das Hotel Leningradskaja, der am meisten kritisierte Wolkenkratzer der Stalins Zeit

Dies ist das niedrigste Hochhaus von allen – es ist nur 139 Meter zusammen mit der Turmspitze hoch. Es wurde nicht riskiert, weitere Stockwerke zu errichten. Das Hotelgebäude wurde nämlich auf zehn Meter hohen Metallpfählen errichtet: Zwei unterirdische Flüsse fließen buchstäblich unter ihm hindurch. Weil man befürchtete, dass das Hotel absacken würde, wurde es nicht so schwer gebaut.

Das Leningradskaja unterscheidet sich stilistisch etwas von den anderen Hochhäusern. Seine Innenräume sind stark von der mittelalterlichen russischen Architektur beeinflusst. So hat die Lobby mit den Fahrstühlen die Form einer Altarnische, der Haupteingang des Wolkenkratzers ist im Stil eines Terem-Vorbaus gehalten, und auch die weiß-rot-goldene Färbung der Wände ist ein Verweis auf die altrussische Architektur.

Doch das Hochhaus wurde nicht wegen seiner stilistischen Originalität gerügt. Wir haben hier erzählt, wie und warum es nach Stalins Tod kritisiert wurde.

Das Hochhaus am Roten Tor – ein Haus mit eigener Metro-Station, das „eingefroren“ werden musste

Das Projekt des Gebäudes sah vor, dass sich in seinem Inneren ein Eingang zu einer Metro-Station befinden sollte. Keine der anderen sieben Schwestern nahm eine solche „Herausforderung“ an.

Das Hochhaus am Roten Tor war für Wohnungen und ein Behördenbüros vorgesehen, und sein eigener Eingang zur Metro sollte sein „Sahnehäubchen“ sein. Allerdings stießen die Bauherren auf ein Problem. Normalerweise werden zuerst alle unterirdischen Bauarbeiten durchgeführt und dann erst die oberirdischen. Doch die sowjetische Führung wollte die erforderlichen 1,5 Jahre Verzögerung nicht akzeptieren und wagte ein unglaubliches Experiment: Sie wollte den Wolkenkratzer und die U-Bahn-Station gleichzeitig bauen.

Dazu musste der Boden eingefroren werden und das Haus wie der Schiefe Turm von Pisa in einer Schräglage errichtet werden. Lesen Sie hier mehr über dieses Abenteuer.

Das Wohngebäude am Kudrinskaja-Platz – ein Haus mit einem Elitebunker

Das Wohnhaus am Kudrinskaja-Platz galt eine Zeit lang als das luxuriöseste in Moskau. Das Gebäude wurde 1954, nach Stalins Tod, fertiggestellt und trug im Volksmund den Spitznamen Haus der Flieger: Der Großteil der Mieter waren Flugzeugkonstrukteure, Piloten und Direktoren der Luftfahrtindustrie.

Marmorsäulen in der Lobby, Buntglasfenster, Eichenparkettböden in den Wohnungen – alles unterstrich den besonderen Status seiner Bewohner. Es gab auch den luxuriösen Feinkostladen Gastronom Nr. 15 – das größte Lebensmittelgeschäft des Landes, in dem jederzeit Mangelware verkauft wurde.

Aber besonders wurde das Haus geschätzt, weil es einen eigenen... Bunker hatte! Mehr darüber erfahren Sie hier.

Das Hotel Ukraine – Stalins letztes Hochhaus 

1953 gab es an seiner Stelle noch nicht den Kutusow-Prospekt, sondern nur Kasernen und Sümpfe – das Gebiet galt als Außenbezirk von Moskau. Stalin plante jedoch, hier ein Musterviertel zu errichten, und beschloss, dessen Entwicklung mit dem pompösesten Gebäude zu beginnen – einem Wolkenkratzer.

Das Hotel wurde 1957 eröffnet und war zu dieser Zeit das größte in Europa. Es verfügte über 1026 Zimmer und fast alle Dienstleistungen, die ein ausländischer Tourist benötigt. Ja, dieses Hotel war in erster Linie für Ausländer gedacht. Nur ausgewählte Sowjetbürger hatten die Möglichkeit, dort ein Zimmer zu mieten.

Hier übernachteten unter anderem die Rockmusiker Bon Jovi, Cinderella, Mötley Crüe und Ozzy Osbourne, als sie 1989 anlässlich des Internationalen Friedensfestivals in Moskau in die UdSSR kamen.

Die Erfahrung, in dem berühmten sowjetischen Hotel zu übernachten, war jedoch eine besondere. Lesen Sie hier über die Erfahrungen ausländischer Berühmtheiten dort und wie alles organisiert wurde.

Warum wurde das achte Hochhaus nie gebaut? 

Das achte Hochhaus wurde in Zarjadje in der Nähe der Kremlmauern gebaut und dafür wurde sogar ein mittelalterliches Moskauer Viertel abgerissen. Es sollten diverse Behörden dort untergebracht werden.

Außerdem nahm die Höhe des Wolkenkratzers im Rahmen des Projekts immer weiter zu und wuchs von 26 auf 37 Stockwerke. Doch mit der Zahl der Stockwerke wuchs auch der Kostenvoranschlag immer weiter an. Das war das „Todesurteil“ für das Unterfangen – die Architekten hatten einfach keine Zeit mehr, die Endsumme vom Schirmherrn des ganzen Projekts absegnen zu lassen, den im März 1953 starb Stalin. Die Bauarbeiten hatten zwar bereits begonnen, aber ohne genehmigten Kostenvoranschlag konnten sie nicht über den Rahmen von 14 Stockwerken hinausgehen.

Als es an der Zeit war, die endgültige Kalkulation mit der neuen Leitung abzustimmen, wurde sie „eingestampft“ – wegen erheblicher Kostenüberschreitungen.

Danach wurde der Rohbau des Gebäudes abgerissen und auf den Fundamenten wurde der Kino- und Konzertkomplex Rossija errichtet. Nun existiert auch dieser nicht mehr und an seiner Stelle befindet sich der Zarjadje Park.

>>> Architekturerbe: Stalins „sieben Schwestern“ und deren ausländische „Verwandten“

Hier können Sie unserem Telegram-Kanal beitreten: t.me/rbth_deu

Aktivieren Sie die Push-Benachrichtigungen auf unserer Website!

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!