Die Hauptstädter - Ur-Einwohner und Zugezogene der Hauptstadt - genießen nie einen guten Ruf. „Arrogante Schnösel“, „geldgeil“, „abgehoben“ - diese Klischees halten sich vehement, egal ob es um Pariser, Londoner, Moskauer oder Berliner geht.
Moskau und Berlin gelten zwar beide als „cool“ und „lässig“, ihre Einwohner jedoch als „streng“ und „grob“. Russia Beyond nimmt dies zum Anlass, einmal das zwischenmenschliche Klima der russischen und der deutschen Hauptstadt zu vergleichen. Wer lächelt, hilft, nervt mehr - der Moskauer oder der Berliner? Was meinen Sie - schrieben Sie uns Ihre Meinung in der Kommentarleiste am Ende des Artikels!
Freundlich, korrekt, aber distanziert
Die Fitnesstrainerin und junge Mutter Viktoria Koptelowa kam vor vier Jahren nach Berlin. Ihre Sicht auf das menschliche Klima in ihrer neuen Heimat hat sich mit der Zeit verändert, wie sie Russia Beyond erzählte.
„Als ich neu in Berlin ankam, war ich positiv überrascht von der Kultur und dem Umgang der Deutschen miteinander in der Öffentlichkeit und allen möglichen Einrichtungen. Aber! Nach vier Jahren hier verstehe ich langsam, dass die Deutschen zwar ihre Arbeit gut machen, viele sehr freundlich sind, aber auch sehr verschlossen. Der ‚menschliche Faktor‘ spielt in Deutschland keine Rolle, hier wird alles ‚richtig‘ und nach dem Gesetz gemacht. Ein ‚Sich-in-den-Menschen-hineinversetzen‘ und Entgegenkommen gibt es hier nicht! Ich sehe, dass Deutsche nie ihre Seele öffnen und nie Mitleid oder andere Gefühle zeigen.
Russen dagegen sind vielleicht auf den ersten Blick eine wenig freundlich wirkende Nation und bei vielen lässt die Kultur zu wünschen übrig. Aber mit ihnen kann man sich, meiner Meinung nach, viel besser einigen. Russen lassen niemanden im Stich, wenn es hart auf hart kommt. Oft handeln sie auch gegen irgendwelche Regeln, wenn es der Gerechtigkeit dient. Das ist wenigstens mein Eindruck.
Übrigens habe ich auch bis heute noch keine deutschen Freunde finden können. Meine Freundinnen in Berlin sind alle Russinnen.“
Im Russischen gibt es die Redewendung „Besser 100 Freunde als 100 Rubel haben!“. Freundschaften haben für Russen einen sehr hohen Stellenwert - und das gilt auch für Moskau, auch wenn in der Finanzhochburg Russlands natürlich vor allem Bekanntschaften im professionellen Bereich zählen. Hier echte Freunde zu finden ist trotz allem leichter als in Berlin. Freundschaft war, insbesondere in der Sowjetzeit, zum Teil ein Ersatz für nicht funktionierende Institutionen. Soziale Netwerke waren entscheidend, um in der Sowjetzeit überleben zu können.
Gleichzeitig war das jedoch nie nur reines Nutzdenken: Sobald ein Mensch einen anderen als Freund anerkannt hat, wird er für eine Ewigkeit zuverlässig und aufrichtig sein. Sie können sich dann über ihre tiefsten Gefühle austauschen und über alle Aspekte ihres Lebens diskutieren. Russen verlassen sich für gewöhnlich aufeinander und sehen kein Problem darin, wenn jemand Schwäche zeigt.
Lächeln, weil es sich so gehört
Olga Vaulina lebt und arbeitet schon seit 12 Jahren in Deutschland, davon bereits acht Jahre in Berlin, und hat mittlerweile dort ihre eigene Familie. Sie erzählt Russia Beyond von ihren Erfahrungen:
„Ich kann nicht hundertprozentig sagen, dass die Menschen in Berlin viel besser sind als die Einwohner Moskaus. Es gibt ja den berühmten Begriff 'Berliner Schnauze' - und das sagt schon viel. Allerdings betrifft das eher die echten Ur-Berliner. (...) Was die Deutschen selbst angeht, kommt natürlich keiner ohne Lächeln aus. Bei der Begrüßung lächelt man sehr oft. Bleibt aber die Frage, wie aufrichtig oder vielleicht doch nur ‚pro forma‘ das ist?“
In Russland erfüllt Lächeln allerdings eine völlig andere Funktion als in Deutschland, wo es als höfliche Geste in den Alltag gehört wie das Müsli auf den Frühstückstisch. Im Gegenteil! Ein ständiges höfliches Lächeln wird bei Russen als „Dienstlächeln" bezeichnet und gilt als schlechte Charaktereigenschaft, als Zeichen von Unehrlichkeit, ominösen Absichten und des Unwillens, seine echten Gefühle zu zeigen. Außerdem ist das Lächeln in Russland vor allem für Bekannte und Familienangehörige gedacht, nicht für Fremde.
Die Moskauer haben zwar tendenziell mehr Umgang mit Ausländern und sind darum auch geübter in diesem „westlichen Höflichkeitslächeln“, dennoch tun sie es viel seltener. Aber das heißt hier noch nicht, dass sie schlechte Laune haben oder böse sind.
Russische Erste Hilfe und deutsche "Kummernummer"
Die junge Journalistin Anna Chaerdinowa aus Moskau besucht Berlin regelmäßig für Weiterbildungen und zum Studium. Sie hat gute Erfahrungen mit beiden "Hauptstädtern" gemacht.
„Wenn es um die Einhaltung der Etikette geht, sind Berliner natürlich viel freundlicher und höflicher als Moskauer. Lächeln und Nett-sein ist ja fast schon europäische Norm! In Moskau dagegen sind die Leute schon manchmal grob miteinander, auf der Straße, im öffentlichen Verkehr, im Laden - das ist auch schon eine Art ‚Norm‘...
Trotzdem habe ich nicht selten erlebt, dass vor allem ganz einfache Menschen in Moskau mir schnell geholfen haben. Einmal beispielsweise hatte ich einen Fahrradunfall in einem Park in Moskau, ein junger Mann hatte mich gerammt, ich fiel hin und schlug mir das Knie auf. Sofort stand ein ganzer Kreis von Leuten mit Tüchern, Watte, Wasser, Antiseptikum, Pflastern und Binden um mich herum. Sie säuberten und verbanden meine Wunde noch, bevor ich überhaupt realisieren konnte, was passiert war.
Und als ich dann später für ein halbes Jahr nach Berlin flog, saß eine junge Berlinerin neben mir im Flugzeug. Als ich ihr erzählte, dass ich ganz allein (!) zum Studium nach Deutschland flog, gab sie mir sofort ihre Telefonnummer: ‚Ruf mich an, wenn irgendetwas ist - wenn Du Angst bekommst, Dich einsam fühlst oder wenn irgendetwas Unvorhergesehenes passiert.‘
Ja, wahrscheinlich sind die Berliner schon netter als Moskauer. Aber das heißt noch lange nicht, dass es hier nicht auch Leute gibt, die ihre Zeit und Kraft opfern, um zu helfen.“
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