Sonnenschein statt Schnee: Drei Auswanderer erzählen über ihr Leben außerhalb der ehemaligen UdSSR

Legion Media
Von Südostasien bis Südafrika: Russia Beyond nimmt das Leben moderner ehemaliger Sowjetbürger außerhalb ihrer Herkunftsländer unter die Lupe.

Kann es für einen Russen – oder irgendjemanden aus einem ehemaligen sowjetischen Land – ein Leben außerhalb der ehemaligen Sowjetunion geben? Schließlich sind unsere „kulturellen Verwandten“ dafür bekannt, immer „russisch“ zu bleiben, egal in welchem Land sie leben. Doch stimmt das wirklich? Wir haben drei Russisch sprechende Migranten über ihr Leben im Ausland mit seinen Vor- und Nachteilen gesprochen.

Pfarrer Daniil Lugowoj – Kirche Sankt Sergius, Hegumen der Gemeinde Radonesch, Johannesburg, Südafrika

Johannesburg

Pater Daniil ist stolz darauf, der Leiter einer der größten russisch-orthodoxen Gemeinden in der Welt zu sein – der Pfarrei Sankt Sergius, als Hegumen der Gemeinde Radonesch in Südafrika, die im Jahr 1998 auf Bitte des Heiligen Synods der russisch-orthodoxen Kirche gegründet wurde.

Die einzige russisch-orthodoxe Pfarrei unterhalb der Sahara dient als wichtiges kulturelles Zentrum für die in Südafrika lebenden Russen. Russischsprachige Menschen aus Angola und dem Kongo können hier zu besonderen Anlässen wie dem orthodoxen Weihnachten am 7. Januar zusammenkommen.

Die russische Gemeinde im Land zählt etwa 5 000 Mitglieder und begann etwa Ende der 1990er Jahre sich hier anzusiedeln. Laut Pater Daniil „versammeln sich die Menschen im Kloster nicht nur, um ihren religiösen Glauben zu stärken, sondern auch die Freude zu teilen, ihre Muttersprache so weit weg von zu Hause sprechen zu können und ihren Kindern zu vermitteln, wie wichtig es ist, mit ihren russischen Wurzeln in Verbindung zu bleiben.“ Dabei behilflich ist auch die größte russischsprachige Literaturbibliothek im Süden des Kontinents.

Russische Einwanderer sind in Südafrika mit vielen Eigenheiten konfrontiert, wie dem Fehlen eines entwickelten öffentlichen Verkehrssystems oder Problemen mit der Sicherheit des Hauses. Die Sankt Sergius Gemeinde hilft, mit diesen Problemen umzugehen, sagt Pater Daniil. Da es kein russisches Kulturzentrum gibt, ist die Pfarrei das einzige Bindeglied, das die Russen zu ihrer eigenen Kultur und zueinander haben.

Wenn er sich an seinen Umzug nach Johannesburg im Jahr 2010 zurückerinnert, denkt Pater Daniil sofort an die Umkehr von Sommer und Winter, besonders in der Weihnachts- und Neujahrszeit, die im verschneiten Russland so eng mit religiösen Bräuchen verbunden ist, in Südafrika aber von sengenden Sonnenstrahlen begleitet wird.

„Abgesehen davon war unsere russische Gruppe mit der ständigen Notwendigkeit konfrontiert, eine ganze Reihe strenger Regeln, was die persönliche Sicherheit angeht, zu beachten... der eigene Blick wandert ständig in Richtung Elektrozäune, die einen daran erinnern, die Hausalarmanlage Tag und Nacht eingeschaltet zu lassen.“

Auf der anderen Seite, sagt der Rektor, verlaufe das Leben in diesem Land viel leiser und langsamer als in Russland. „Vielleicht macht einen das südafrikanische Umfeld etwas freundlicher und optimistischer. Manche werden sagen, dass das nur oberflächliche Beobachtungen sind, doch zuweilen ist es wirklich kostbar, auf dem Gesicht eines Fremden ein Lächeln zu sehen, ein echter persönlicher Segen.“

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Wadim Tschutschkow - Direktor der „Bali Style Luxusvermietungen“, Bali, Indonesien

Bali

Wadims Weg zum Leben außerhalb von Russland begann ähnlich wie das vieler anderer in Asien lebenden Russen: Man vermietet die eigene Wohnung in Russland und sucht nach Wegen, die eigene Erfahrung in einem lokalen Kontext auf Bali anzuwenden.

Wadim bezeichnet sich selbst als „Klimamigranten“. Egal wie viel seine Arbeit bei Russlands größtem Telekommunikationsunternehmen MTS einbrachte, blieb Moskau für ihn in Bezug auf das Klima doch eine der rauesten Städte der Welt. Nach einer gründlichen Erforschung der Meergegenden, in denen er nach Herzenslust surfen konnte, fiel seine Entscheidung auf Bali.

Wie die meisten Leute, die dort leben, hat Wadim einen Marketing- und PR-Hintergrund. „Balis Wirtschaft basiert offensichtlich auf Tourismus und allen möglichen Dienstleistungen rund um Bali. Am Ende ist es eine Erholungsinsel, die von TripAdvisor zum besten Reiseziel der Welt ernannt wurde.“

Tschutschkow fing an, als neuer Angestellter für Marktentwicklung in einer der wichtigsten Immobilienagenturen in Indonesien zu arbeiten. „Nach einiger Zeit beschloss ich, mich selbstständig zu machen und gründete zusammen mit meinem Geschäftspartner die Firma „Bali Style“, die sich auf die Vermietung von Ferienwohnungen und andere Dienstleistungen wie beispielsweise die Vermietung von Jachten und Helikoptern, die Organisation von Geschäfts- und Firmenreisen spezialisiert hat“, fügt er hinzu.

Tschutschkow sagt, es gäbe deutliche Ähnlichkeiten zwischen den russischen und indonesischen Institutionen und Geschäftsmethoden. Mit einem Wort: Weder hier noch dort ist es einfach. Trotz des ständigen Kampfes, sich über Wasser zu halten, überrascht ein Rückblick auf die Stabilität, die er in Russland zurückgelassen hat: „Es gibt buchstäblich nichts, was ich aus Russland vermisse!“, lacht er, als er über die vielen Auswandererpartys und -veranstaltungen berichtet, die von der Gemeinschaft wohlhabender russischer 30-Jähriger in Bali organisiert werden. „Das Einzige, was mir, abgesehen von meiner Familie und Freunden, fehlt, sind die russischen Silvesterfeiern... die sind definitiv nicht das Gleiche, wenn man von Palmen und endlosem Sommer umgeben ist.“

Aljaksandra Smirnowa – Stadtarchitektin und freiberufliche Grafikdesignerin, Barcelona, Spanien

Barcelona

Wie bei den beiden vorhergehenden Gesprächspartnern war es für die 28-jährige Aljaksandra aus Minsk eine echte Herausforderung, im Ausland Fuß zu fassen und sich der Ungewissheit zu stellen. Wer jedoch glaubt, dass die Jobaussichten für Russen schwierig sind, sollte sich mal in Weißrussland umhören.

Seit ihrem 15. Lebensjahr wollte Aljaksandra, kurz Sascha, in die Fußstapfen ihrer Berliner Schwester treten und erleben, was die Welt zu bieten hatte und wie sie ihren beruflichen und kulturellen Horizont erweitern könnte. Nachdem sie ihren Master of Business Administration im Bereich der Stadtplanung erworben hatte, reiste die damals 22-jährige Sascha nach Barcelona, wo sie schnell herausfand, was es hieß, eine Person mit kreativen Neigungen auf der Suche nach einer stabilen Zukunft im Ausland zu sein.

Mittlerweile macht Sascha aufregende Videokunst- und Grafikprojekte. Das war jedoch nicht immer so. „Um ehrlich zu sein, waren die ersten eineinhalb bis zwei Jahre ziemlich hart“, erzählt sie Russia Beyond. „Ich erinnere mich sehr gut an den Moment, als ich plötzlich das Gefühl hatte, zu dieser Stadt zu gehören. Ich hörte auf, über mein Leben nachzudenken, das ich in Minsk zurückgelassen hatte, und reiste nach Weißrussland mehr aus der Notwendigkeit heraus, meine Familie zu sehen, statt es als Ausrede zu benutzen, um für ein paar Tage aus Barcelona zu flüchten. Ich begriff, dass ich alle meine Sprachbarrieren hinter mir gelassen hatte, mein Sozialleben aktiver geworden war und ich mich im Allgemeinen in der Stadt und mit ihren Menschen wohler fühlte.“

Im Jahr 2017 reiste Sascha nach Moskau, um am Strelka-Institut für Medien, Architektur und Design zu studieren, wo sie sechs Monate lang neue Erfahrungen sammeln konnte, bevor sie nach Spanien zurückkehrte. „Die Leute haben mir sogar gesagt, dass ich einen spanischen Akzent habe, wenn ich Englisch spreche“, lacht sie und fügt hinzu, dass sie sich inzwischen mehr als Spanierin und weniger als Weißrussin fühle.

Der größte Faktor für Sascha ist jedoch die Arbeitsplatzsicherheit. „Trotz meiner recht schnellen Integration in die katalanisch-spanische Gesellschaft bin ich mir nicht sicher, ob ich ohne sicheren Arbeitsplatz an einen anderen Ort ziehen würde. Meiner Erfahrung nach ist die Suche nach einem Job, besonders in einem fremden Land, eine der schwierigsten Aufgaben“, sagt sie. „Außerdem habe ich beschlossen, meine berufliche Laufbahn zu verändern, also denke ich, dass es jetzt besser ist, an einem Ort zu bleiben, der nicht neu für mich ist.“  

Doch laut ihr war es das alles wert. Umzuziehen macht einen „stärker und interessanter als Person. Ich betrachte es als ein Privileg, ein Teil verschiedener Kulturen zu sein, die mich mein ganzes Leben lang begleiten werden.“

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