Als im Oktober letzten Jahres der russische Rapper Miron Fjodorow alias Oxxxymiron gegen seinen US-Kollegen Bashir Yagami alias Dizaster in den Rap-Battle-Ring stieg, war einer seiner ersten Verse folgender: „Wir (Russen – Anm. d. Red.) verstehen keine politische Korrektheit, ja? Den Sch***, den ihr im Rep-Battle sagt, sprechen wir im alltäglichen Leben aus!“
Obwohl das durchaus etwas überzogen dahergerappt sein dürfte, hat Oxxxy doch einen wichtigen Punkt in der russischen Gesellschaft und ihren Kommunikationsregeln aufgegriffen: Russen sind grundsätzlich keine großen Freunde der Politischen Korrektheit (PK). Schauen wir uns einmal an, warum und wie genau das aussieht.
Wann ist PK ist OK?
In Russland wird Politische Korrektheit allgemein als das Vermeiden bestimmter Worte und Ausdrücke verstanden, die bestimmte Gruppen als beleidigend empfinden könnten. Und nur wenige Russen würden dem grundsätzlich widersprechen, dass beleidigende Phrasen vermieden werden sollten. Wenigstens in der öffentlichen und Hochsprache ist das ein Punkt, an dem sich noch alle einig sind.
Der russische Publizist Iwan Dawydow schreibt in seinem Beitrag für das russische Internetportal „Neue Ethik“: „Politische Korrektheit wurde eingeführt, um den Frieden zu schützen. Ich vertrete die Mehrheit, also habe ich die Pflicht, die Schwächeren zu schützen, die Minderheiten nicht zu verletzen, und das alles im eigenen Interesse, denn auch ich kann einmal in eine Minderheit geraten.“ Bis zu diesem absolut vernünftigen Punkt sind wohl auch die meisten Russen einverstanden mit der Notwendigkeit einer gewissen Korrektheit in der öffentlichen Sprache.
N-Wörter und falsches Zitieren
Manchmal jedoch, gehen das Verständnis der Russen und der Vertreter westlicher Staaten von ausreichender und nötiger politischer Korrektheit auch weit auseinander: besonders, wenn es um die Frage geht, was nun beleidigend sein kann und was noch nicht. Und das kann dann zu ernsthaften Missverständnissen und Konflikten führen.
Dies geschah beispielsweise, als die russische Designerin Uljana Sergejenko ihrer Freundin Miroslawa Duma eine Einladung zu einer Präsentation mit den Worten „An meine N***** in Paris“ verschickte. Sergejenko meinte damit eigentlich nur ein Zitat von Jay-Z und Kanye West. Aber das schützte sie nicht vor öffentlicher Kritik, nachdem Duma die Einladung dann in ihrem Instagram-Account postete. Nach einem regelrechten Sturm der Entrüstung entschuldigten sich letztlich beide, Sergejenko und Duma, für die Verwendung des unangemessenen Worts.
Wo ist die Grenze? Eine humoristische Suche!
Russen sind nicht von Natur aus Rassisten. Oft kennen sie sich einfach nicht so gut mit PK aus und haben auch kein großes Interesse daran. Elnara Guljewa von Argus-Media erklärt es sich so: „Ich denke, dass wir in Russland heftige Wörter einfach weniger ernst nehmen als man es im Westen tut. Und ich glaube auch nicht, dass Politische Korrektheit irgendjemanden wirklich toleranter macht.“
Der Politik-Analyst Georgij Bowt aus Moskau schrieb in einem Artikel über Barack
Obama’s Präsidentschaft ironisch: „Es gibt Bedingungen, in denen allein das Analysieren der Präsidentschaft Barack Obama nur kaltblütig sein kann: Er ist der erste afro-amerikanische Präsident der USA… der Triumph der Politischen Korrektheit führt nun aber zu einer schwierigen Frage. Es scheint, als würden viele Liberale jede Kritik an einem afro-amerikanischen Präsidenten sofort als Rassismus auslegen.“
In der Kunst und vor allem in Filmen wird die PK in Russland auch immer wieder durch den Kakao gezogen. Der Filmkritiker Michail Trofimenkow beschrieb (rus) beispielsweise das Musical „The Greatest Showman“ mit Hugh Hackmann folgendermaßen: „Ein Geschäftsmann, der arme Menschen (mit physischen Defekten) ausbeutet, wird (in dem Film) zu einem Propheten der Politischen Korrektheit. Moses. Martin Luther King.“ Der Artikel dazu ist mit “Abenteuer der Politischen Korrektheit” überschrieben und zeigt, dass die PK die heimliche Protagonistin dieses und anderer Filme ist.
Das große Aber
Auf der anderen Seit jedoch argumentieren auch einige Russen, dass der Westen zwar manchmal zu weit gehe in seiner Politischen Korrektheit, den Russen etwas mehr PK aber dennoch gut zu Gesicht stehen würde. Jüngst kochten solche Diskussionen rund um den Harvey-Weinstein-Skandal wieder hoch. in einem Kommentar des Online-Portals Gazeta.ru (rus) über den russischen Sluzkij-Skandal, der dem um Weinstein in vielem ähnelt, heißt es dazu: „Im (russischen) öffentlichen Raum ist es üblich, sich über solche Skandale lustig zu machen… Die Macho-Kultur oder, um es klar zu sagen, der männliche Chauvinismus dominiert unter unseren Politikern.“
Der russische Filmproduzent Samuil Klebanow lebt schon seit einigen Jahren im Ausland und schrieb zu den aktuellen Debatten in seinem Facebook-Profil (rus): „Mir wird übel, wenn ich Support-Posts für Harvey Weinstein sehe – und ich sehe sie nur im russischsprachigen Internet. Mancher mag vielleicht sagen, der Westen sei verrückt mit seiner Politischen Korrektheit, aber wenn sie bedeutet, dass ich machohaftes Verhalten nicht unterstütze, dann bin ich offenbar für Politische Korrektheit.“
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