Sowjetische Bars: Die lange Geschichte der russischen Trinkkultur

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ANASTASIA ORLOWA
Haben sowjetische Barmänner für den KGB gearbeitet? Russia Beyond gibt Antworten auf alle Fragen zum Trinken hinter dem Eisernen Vorhang.

Die ersten Bars wurden im Jahr 1957 in der Sowjetunion errichtet, nachdem Moskau die Gastgeberstadt der „6. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ gewesen war. Die Gäste fanden die sowjetischen Gaststätten derart unbefriedigend, dass die Staatsoberhäupter die Situation mithilfe von Reformen änderten und in ausgewählten Hotels sogenannte Devisen-Bars für ausländische Touristen, die aus kapitalistischen Ländern in die Sowjetunion kamen, eröffneten.

Die Eröffnung von Bars war darüber hinaus ein guter Schritt, das Ansehen der Sowjetunion international aufzuwerten und den Staatshaushalt aufzubessern, da sie dank großzügigen Ausgaben der Ausländer große Einkünfte in ausländischer Währung einbrachten. Sowjetische Bürger waren in diesen Bars übrigens nicht erlaubt.

Das Hauptproblem bei der Errichtung eines Cafés oder einer Bar im „westlichen Stil“ war der Mangel an entsprechenden Möbeln und Geräten. So wurde im Sankt Petersburger „Grand Hotel Europe“ beispielsweise sogar eine Anrichte aus edlem Eichenholz umfunktioniert, die einst Nikolaus dem Zweiten gehört hatte. Fortan wurden oben die Flaschen gelagert, der untere Teil des Tisches diente als Bartresen.

Zudem gab es für Barmänner keine Fachliteratur auf Russisch. Die erste Anweisung für sowjetische Barkeeper wurde erst im Jahre 1978 veröffentlicht und enthielt mehr als 7 000 Rezepte.

Barkeeper wurden in der Sowjetunion zunächst als „Buffetschiki“ (zu Deutsch „Zapfer“) bezeichnet, obwohl sich der Beruf schnell verbreitete. Im Jahre 1967 schrieb Alexander Kudrjawzew schließlich einen Beschwerdebrief an die sowjetischen Beamten. Die große Persönlichkeit der russischen Alkoholindustrie bat darum, den Beruf des Barkeepers in der Sowjetunion offiziell anzuerkennen. Überraschenderweise wurde seine Bitte erfüllt.

Im Jahr 1982 nahm Jurij Schadsilowskij als erster sowjetischer Barmann an einem Barkeeper-Wettbewerb in Prag teil. Er trat in allen Kategorien an und musste einen Longdrink, einen Shortdrink, ein Heißgetränk, ein alkoholfreies sowie ein selbst erfundenes Getränk in drei Portionen mischen – und das alles in 15 Minuten! Am Ende gewann er mit seinem Shortdrink die Goldmedaille, seine anderen Getränke wurden mit Silbermedaillen geehrt.

Die Bars der sowjetischen Regierung dienten auch als Propagandainstrumente. In der kleinen Stadt Borisoglebsk an der Grenze zu Norwegen wurde im Jahr 1965 beispielsweise eine Bar eröffnet, die die Skandinavier ohne Visum besuchen durften.

Die Prawda-Zeitung erklärte: „Ausländer durften dort so viel trinken, wie sie wollten und gaben dabei weniger Geld aus als in norwegischen Bars.“

Die Bar wurde ebenso für historische Ausstellungen und kommunistische Filmvorführungen genutzt. Nach 59 Tagen wurde sie jedoch bereits wieder geschlossen, da Norwegen in Zeiten des Kalten Krieges um seinen Ruf fürchtete und seinen Bürgern deshalb den Zutritt verbot.

Alle Barkeeper, die mit Ausländern in Kontakt traten, waren verpflichtet, mit dem Komitee für Staatssicherheit zu kooperieren. Sie mussten Mitglied der kommunistischen Partei sein und strenge Auswahltests bestehen, mehrere Sprachen sprechen und ein Sinnbild der sowjetischen Tugenden sein. Die Hauptaufgabe der Barkeeper war es jedoch, den Agenten des Komitees für Staatssicherheit über Gäste, ihre sowjetischen Bekannten sowie über einheimische Mädchen zu berichten, die sich anschickten, „internationale Beziehungen“ aufzubauen.

Die Entscheidung, in Moskau und Sankt Petersburg kleine Minibars in den Hotelzimmern für Ausländer anzubringen, traf die sowjetischen Regierung nach den Olympischen Spielen im Jahr 1980, nachdem das Personal einige Beschwerden über den Hoteldienst erhalten hatte. Im Jahr 1985 war es schließlich soweit: Die ersten alkoholischen Getränke konnten von nun an direkt im Hotelzimmer genossen werden.

Wie bereits erwähnt war es sowjetischen Leuten nicht erlaubt, die Bars für Ausländer zu betreten. Selbst Diplomaten wurde empfohlen, die Lokale zu meiden, um das sozialistische Bild des Landes nicht zu beschädigen und die Ablehnung des westlichen Lebensstils zu demonstrieren.

Bis in die 1970er Jahre tranken die Sowjetbürger deshalb nur in Restaurants und in den sogenannten „Rjumotschnaja“-Lokalen (zu Deutsch „Ort, an dem man Wodka trinkt“), in denen es keine Sitzgelegenheiten gab. Die Gäste genossen ihren Wodka im Stehen zusammen mit ein, zwei Butterbroten.

Die Eröffnung der ersten Bars für die sowjetischen Bürger begrüßten sie überschwänglich. Das teuerste Getränk in diesen Bars war der Lieblingscocktail von Ernest Hemingway, der Daiquiri, der stolze zwei Rubel und eine Kopeke (etwa 30 Cent) kostete – eine Summe, für die man zu der Zeit 17 Kilogramm Karotten kaufen konnte.

Die ersten Flughafenbars wurden im Scheremetjewo-Flughafen im Jahr 1980 während der Olympischen Spiele eröffnet. Wer dort bediente, musste zu den Gästen besonders freundlich und aufmerksam sein – zu Sowjetzeiten eine große Herausforderung für das Gewerbe.

In den 1970er Jahren wurden die sowjetischen Bars außerdem für Ausländer zum ersten Ort, an dem sie mit Bankkarten bezahlen konnten. Dazu lernten die dort arbeitenden Barmänner, wie sie bargeldlose Zahlungen korrekt mit den Beamten der „Inturist“, der Hauptorganisation für Tourismus, und der Wneschekonombank (Bank für Aussenwirtschaft der UdSSR) abwickeln konnten.

Die Sowjetunion ist die Wiege der ursprünglichen Methodik des Cocktail-Mischens. Für jedes der 55 Gruppen von Mischgetränken schufen Barkeeper mathematische Formeln, die noch heute dazu verwendet werden, bekannte Cocktails zu mischen oder neue zu erfinden. Zutaten werden mit Buchstaben bezeichnet und ihr Mengenverhältnis mit Zahlen beschrieben.

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