Warum werfen russische Frauen ihre Männer aus den Kreißsälen?

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NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Russische Frauen legen ein sehr beschützendes Verhalten an den Tag, wenn es um ihre Männer geht, und halten sie bei der Geburt ihres gemeinsamen Kindes vom Kreißsaal fern – manchmal zu ihrem eigenen Nachteil.

„Ich werde meinen Mann nicht in die Nähe des Kreißsaals lassen, wenn ich unser Kind zur Welt bringe. Eine Entbindungsstation ist nicht für Männer“, sagt die junge Sophia Starkowa aus Sankt Petersburg.

Ihre Aussage mag werdende Mütter aus anderen Ländern überraschen, in denen Männer im Kreißsaal nicht nur willkommen sind, sondern auch erwartet werden. Nichtsdestotrotz haben die Russen eine recht klare Haltung gegenüber der Anwesenheit des Partners bei der Geburt: Die Männer müssen draußen bleiben.

Lange Zeit war es für Männer in Russland undenkbar, bei der Geburt ihrer Kinder dabei zu sein, und bis heute wagt es nur ein kleiner Teil der Paare, mit dieser Tradition zu brechen. Eine landesweite Statistik (rus) zeigt, dass sich im Jahr 2018 nur bei 22 Prozent aller Paare der Mann mit im Kreißsaal befand. Die übrigen Frauen zogen es vor, alleine zu gebären.

„Ein blutiger Thriller“

Für diese Statistik sind mitunter Ängste und eine äußerst „entspannte“ Haltung der russischen Väter verantwortlich. Schließlich erwartet man von einem russischen Mann, dessen Frau auf der Entbindungsstation ist, dass er zu Hause sitzt und die eigenen Nerven mit ein- oder zwei Gläsern Alkohol beruhigt. 

„Ich hatte nicht erwartet, dass ich bei meiner Frau im Kreißsaal dabei sein würde. Ich dachte, ich würde nebenan auf einer Bank warten müssen, bis meine Frau schnell ihre Aufgabe erledigt hat und ich glücklich meine Tochter in die Arme nehmen kann. Dann hätte ich meiner Frau einen Kuss geben und wir wären nach Hause gegangen, um das Ganze ein wenig zu feiern“, schrieb (rus) ein russischer Mann, der im letzten Moment in den Kreißsaal „gezerrt“ wurde und entsetzt mit ansah, was seine Frau bei der Geburt durchmachen musste.

Bei manchen Männern, die mit der Tradition brechen, hinterlässt die Geburt jedoch einen eher negativen Eindruck. „Es lief ganz anders ab, als ich erwartet hatte. Danach habe ich die Männer, die sagten, wie großartig es wäre, dabei gewesen zu sein, überhaupt nicht mehr verstanden. Ich habe mit einer leichten und schnellen Geburt gerechnet, aber stattdessen entwickelte sie sich zu einem blutigen Thriller“, berichtet der 31-jährige Boris Titarenko aus Syktywkar, einer Stadt im russischen Norden.

Es war seine Frau Ksenia Titarenko, die darauf bestand, dass er im Kreißsaal mit anwesend war. „Der Übergang vom Leben ohne Kind zum Leben mit einem Kind ist für Männer schwieriger nachvollziehbar, wenn sie keine Möglichkeit haben, es körperlich wahrzunehmen“, findet sie.

Sie glaubt, dass die Erfahrung ihren Ehemann zu einem besseren Vater gemacht hat: „Ein Mann, der dabei war, weiß die Mühen einer Frau bei der Geburt ihres gemeinsamen Kindes definitiv mehr zu schätzen und versteht, was sie durchmachen muss, um neues Leben auf die Welt zu bringen.“

Die Expertin Maria Samozwetowa, die bei einem Zentrum für Psychotherapie (rus) als Familienpsychologin tätig ist, gibt Ksenia Titarenko recht: „Die Teilnahme des Vaters an einer Geburt stärkt die Beziehung zwischen den Ehepartnern und wirkt sich positiv auf die zukünftige Beziehung von Vater und Kind aus.“ Sie sagt, dass Väter, die die Erfahrung der Geburt mit ihrer Partnerin teilen konnten, zudem eine solidere Grundlage für die zukünftige Entwicklung einer verantwortungsvollen Elternschaft haben.

Das beschützende Verhalten der Frauen

Trotz der Vorteile, die die Anwesenheit des Mannes bei der Geburt haben kann, stehen viele Paare in Russland dieser Idee immer noch skeptisch gegenüber.

Die 36-jährige Ludmila Nesterowa, eine vierfache Mutter, erklärt, sie fühle sich wohler, wenn ihr Mann nicht mit im Kreißsaal sei, auch wenn sie die Idee an sich gut finde.

„Ich habe meinen Mann nicht mit hineingebeten und er hat auch nicht gefragt. Somit war ich bei der Geburt allein und fand es besser so. Ich fürchtete, dass mich seine Empathie schwach machen würde, doch ich wollte bei der Geburt so stark und konzentriert wie möglich sein“, erzählt Nesterowa.

Das beschützende Verhalten russischer Frauen ihren Partnern gegenüber könnte also ein weiterer Grund für die schlechte Statistik sein. In den Jahren 2012 bis 2018 wurde nichtsdestotrotz ein leichtes, aber stetiges Wachstum (rus) von zwölf auf 22 Prozent bei den gemeinsam erlebten Geburten verzeichnet.

Die russische Gesetzgebung, die den werdenden Müttern das Recht einräumt, kostenlos einen Partner dabeizuhaben, könnte bisweilen die treibende Kraft für diesen allmählichen Wandel sein. Auch Experten wie Maria Samozwetowa sagen voraus, dass die Zahl der Männer, die bei der Geburt anwesend sind, in naher Zukunft weiter steigen wird.

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