Klischee oder Realität: Warum lieben Russen Wodka?

Lifestyle
NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Zwar ist die sprichwörtliche Liebe der Russen zum Wodka nicht in Stein gemeißelt. Trotzdem lieben sie ihr inoffizielles Nationalgetränk.

Auf den ersten Blick scheint das Klischee, dass Russen unbelehrbare Wodkafans seien, überholt. Junge Frauen bestellen Cocktails, Hipsters trinken Craft Beer und verheiratete Paare bevorzugen Wein. Passt Wodka überhaupt noch zu diesen neuen Vorlieben?

Statistiken bilden die Wahrheit nicht immer komplett ab. Noch 2012 dominierte Russland den weltweiten Wodkaverbrauch. 2018 stellten die Behörden einen achtzigprozentigen Rückgang des Konsums fest. Doch eigentlich kann keine Statistik die Liebe der Russen zum Wodka beschreiben. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Wodka passt zur russischen Küche

Wodka ist weder ein Aperitif noch ein Digestif. Es passt einfach gut zum Essen. Besonders zu russischem Essen.

„Das Geheimnis des Wodkas liegt in den richtigen Beilagen. Wodka passt perfekt zu russischen Gerichten wie sauren Gurken, eingelegten Pilzen und Hering mit Kartoffeln. Der Charakter eines Landes wird stark durch die Küche und die Getränke beeinflusst. Ich merke, wie ich unterbewusst an der russischen Küche hänge. Und Speck zu Cognac oder Pelmeni zu Gin passen einfach nicht“, meint Wsewolod aus Moskau.

Das ergibt Sinn. Wie vermutlich alle anderen Völker auch suchen die Russen nach einem Getränk, das zu ihren beliebtesten Gerichten passt.

Qualität und Gesundheit

Viele Menschen in Russland glauben, dass Wodka weniger schädlich sei als andere Spirituosen wie Whiskey oder Cognac. Selbst manche Mediziner bestätigen sie darin.

„Nach einer Herzoperation verbot der Arzt meinem Großvater Alkohol zu trinken. Doch er sagte ihm auch, dass er, wenn es denn unbedingt sein müsse, nur Wodka trinken sollte. Ich habe keine Ahnung, ob es einen wissenschaftlich haltbaren Grund für diese Empfehlung gibt, aber mein Großvater hält sich strikt daran“, erzählt Ksenia aus Sankt Petersburg.

Viele beurteilen die Schädlichkeit eines alkoholischen Getränkes auch nach der Intensität des Katers. Medizinisch ist das natürlich nicht haltbar, doch viele Russen glauben es bis heute. Dmitri aus Moskau, der Wodka als seine absolute Lieblingsspirituose bezeichnet, sagt: „Wodka wird mehrfach destilliert und enthält keine Fuselöle, die für die Vergiftungserscheinungen verantwortlich sind. Teurer Wodka ist zudem auch zuckerfrei. Daher hat man nach Wodka nur einen leichten, angenehmen Kater.“

Finanzielle Aspekte

Selbst Menschen, die inzwischen andere (teurere) Spirituosen vorziehen, haben, als sie jünger waren, oft Wodka bevorzugt. Der Hauptgrund hierfür ist, dass das Getränk als bezahlbar und „effektiv“ gilt.
„Heute trinke ich lieber Wein oder Apfelwein, aber in meiner Jugend trank ich gerne Wodka. Meine Freunde und ich haben es damals immer mit Saft gemischt, damit der Effekt schneller eintritt“, sagt Alexandra aus Sankt Petersburg.

Tatsächlich ist Wodka im Vergleich zu anderen (meist importierten) Spirituosen deutlich günstiger. Die Produktion einer normalen 0,5-Liter Flasche Wodka kostet in Russland gerade einmal 35 Rubel (50 Cent). Das ermöglicht Herstellern, ihre Preise flexibel zu gestalten und macht Wodka für alle Einkommensklassen bezahlbar.

Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestpreis für eine Flasche Wodka liegt momentan bei 215 Rubel (2,90 Euro). Premiummarken können mit bis zu 115 Dollar (102 Euro) deutlich teurer sein, sind jedoch oft zum reduzierten Preis erhältlich.

Abseits von der Verwendung als Getränk gibt es auch weniger offensichtliche Verwendungszwecke, die Wodka in Russland populär machen. Es eignet sich zum Beispiel hervorragend, um offene Wunden zu desinfizieren und kann, wenn man den Patienten damit einreibt, fiebersenkend wirken.

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