Was hält ein einfacher Russe von Putin?

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JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Die Umfragewerte Wladimir Putins sind seit vielen Jahren nicht unter 80 % gefallen und erst im vergangenen Jahr leicht gesunken. Ist es wahr, dass die Russen ihren Präsidenten lieben?

Dutzende bizarrer Ausstellungsstücke und Gemälde, fast alles in Lebensgröße und größer. Was haben sie gemeinsam? Alle stellen Putin dar: Putin in mittelalterlichen Ritterharnisch auf einem Bären reitend, Putin als Superheld und auf einem Gemälde, Putin, der von seiner Großmutter umarmt wird. Ganz zu schweigen von Putin als Gipsbüste.

Dezember 2017. Es ist nicht die erste Ausstellung über den russischen Präsidenten, die in Moskau eröffnet wird, und SUPERPUTIN hieß. Einige Jahre zuvor gab es so etwas bereits in Moskau und London zu sehen. Damals war Putin als Buddha, Jeanne d'Arc, Che Guevara, Sherlock Holmes und in vielen anderen Gestalten zu sehen.

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Das sieht nach einem politischen Auftragswerk aus oder wie ein Teil der Wahlkampfkampagne (obwohl die Organisatoren versichern, dass sie einfach nur ein positives Verhältnis zum Präsidenten haben). Die SUPERPUTIN-Ausstellung wurde kurz vor den Wahlen eröffnet. Der russische Durchschnittsbürger hätte bis vor Kurzem daran nicht das Geringste auszusetzen gehabt: Laut den Ergebnissen sowohl staatlicher als auch unabhängiger Umfragen wird Putin in Russland geliebt. Seine Popularität war jahrelang unerschütterlich. Erst im April 2018 begann sie zu sinken.

„Putin ist Russland“

„Gibt es Putin, gibt es Russland. Ohne Putin gibt es kein Russland“ – dieser Satz wurde schnell zu einem Aphorismus.

Geprägt hat ihn Wjatscheslaw Wolodin, der ehemalige stellvertretende Leiter der Kremlverwaltung (und heutige Vorsitzende der Staatsduma). Aber das Image „Putin ist eine lebendige Verkörperung des Landes“ war nicht nur in seinem Umfeld beliebt. Den Umfragen zufolge glaubt das auch der Durchschnittsrusse. Für ihn ist Putin ein „Garant der Stabilität“, ein Mann, der die Trümmer des Sowjetstaates wieder in ein „großes Land“ zusammengefügt hat.

„Wir sollten anerkennen, was er (Putin) im Vergleich zu den Zeiten Jelzins erreicht hat. Aus der Post-Perestroika-Grube fliegt man nicht gleich ins All. Dafür ist noch zu wenig Zeit vergangen. Nichtsdestotrotz ist der Kühlschrank bei mir und meinen Bekannten voll, wir fahren in den Urlaub, viele von uns haben ihre alte Wohnung verkauft und sich eine neue zugelegt, nahezu alle haben ein Auto, wovon wir vor der Putin-Ära nie geträumt haben“, sagt Juri Bachajew auf der beliebten Online-Plattform The Question. Wir sollten schon einmal Lebensmittel einlagern, denn Putin ist nicht ewig. Der nächste Präsident wird wahrscheinlich einer eurer ,tolerantenʻ Präsidenten sein, und die ,Neunzigerʻ werden zurückkehren oder es wird noch schlimmer kommen“, sekundiert Alexander Rybakow, 57, und mit „tolerant“ meint er höchstwahrscheinlich keine Konservativen.

Gleb Pawlowskij, Politikwissenschaftler und einer der „Architekten“ des Medienimages Putins, hat wiederholt geäußert, dass Putins Popularität hauptsächlich auf der Erinnerung an die Neunzigerjahre basiere, eine Zeit, in der monatelang keine Gehälter und Renten ausgezahlt werden konnten. „Aber so etwas gibt es jetzt nicht mehr. Das scheint ein großer Erfolg zu sein und mitnichten eine Selbstverständlichkeit.“

„Ein ganzer Kerl“

„Nastojaschtschij muschik, also ein ganzer Kerl – das ist das höchste Lob für einen Mann und so charakterisiert der Durchschnittsrusse Putin. Und so schreibt der typische Russe seinem Präsidenten auch solche Eigenschaften wie Mut, Entschlossenheit, Stärke, Selbstvertrauen und Courage zu.

Als Russland die Krim angliederte, fielen Putins Umfragewerte lange Zeit nicht unter 80 %. Sie erreichte im Jahr 2015 einen historischen Höchststand von 90 %, als das russische Militär nach Syrien ging, um die Terroristen zu bekämpfen.

Beide Ereignisse, so Soziologen, ließen Putin zu diesem „muschik“ werden. „Als wir die Krim zurückholten, forderten wir die internationale Gemeinschaft heraus und handelten gegen die Meinung des Westens“, erklärt Alexej Lewinson, Leiter der Abteilung für soziokulturelle Forschung am Lewada-Zentrum. „Die Menschen haben das Gefühl, dass das Land sich der ganzen Welt entgegenstellt. Das ist es, was Russland in den Augen der Mehrheit zu einer großen Macht werden lässt [ob das tatsächlich so ist, haben wir Ihnen hier erzählt] und Putin zu einem starken Führer, der keine Furcht kennt.  

Ein Mann ohne Misserfolge

Kann jemand wie Putin Fehler begehen? Ich glaube schon. Aber der statistisch durchschnittliche Russe glaubt dies nicht. Während der vielen Jahre an der Macht litt das Rating des Präsidenten selten unter innenpolitischen Krisen. Das Ministerkabinett, das „die Anordnungen des Präsidenten nicht umsetzt“, steckt traditionell den Großteil der Prügel ein.  

Die größte „Sünde“ Putins besteht, laut diesen Umfragen, darin, dass er „nicht weiß, wie die einfachen Menschen leben“. Es ist bekannt, dass Putin nicht im Internet surft (er hat nicht einmal ein Handy). In einer von seinen Mitarbeitern vorbereiteten Mappe erhält er täglich alle notwendigen Informationen. „Wenn Putin also etwas nicht weiß, dann nur, weil es ihm nicht gesagt wurde“, ist eine verbreitete Meinung.

Putins Vertrauenswerte knickten fünfmal ein. Viermal war es nicht so dramatisch wie das letzte, das fünfte Mal. Nach Ansicht der Mehrheit der Experten liegt dies daran, dass Putin das für die Bevölkerung äußerst sensible Thema der Rentenreform offiziell unterstützt hat. Aber dieser Stimmungseinbruch wird wahrscheinlich nicht von Dauer sein.

Im März 2019 brachen nach Angaben des staatlichen Markt- und Meinungsforschungsinstituts WZIOM die Umfragewerte des Präsidenten den Negativ-Rekord – nur noch 32,7 % der Russen vertrauen dem, was er tut. Laut dem unabhängigen Lewada-Zentrums sollen es immerhin noch 64 % sein. Nichtsdestotrotz sei das Rating nur auf sein übliches Niveau gesunken, erklärt Alexej Lewinson gegenüber Russia Beyond. So schlecht waren die Umfragewerte vor den Ereignissen auf der Krim oder dem Fünf-Tage-Krieg in Georgien.

„Dies ist das stabile Niveau, auf dem Putins Rating sich viele Jahre bewegte: Zwei Drittel der Russen erachten es für notwendig, den Präsidenten als Symbol für die Einheit des Landes und dergleichen gutzuheißen. Möglicherweise finden sich Gründe, warum seine Popularität eines Tages unter dieses Niveau fallen wird, aber in den vergangenen Jahren war dies nicht ein einziges Mal der Fall. Die Menschen benötigen gegenwärtig noch einen solchen Fixpunkt wie Putin“, sagt der Soziologe.

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