Der Mann mit der Maske: Ein russischer Batman im Kampf gegen den Müll

Sergei Poterjajew
In Tscheljabinsk kämpft der „Sauber-Man” gegen die Vermüllung seiner Stadt und inspiriert tausende Russen zur „#TrashTag Challenge“. Wer ist der Superheld hinter der grünen Maske?

Die russische Industriestadt Tscheljabinsk hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Gotham City, der fiktiven Heimatstadt von Batman. Die Umweltbelastung durch die Industrie ist in der Hauptstadt des südlichen Urals und der gesamten Region hoch. Was der Stadt fehlte, war ein Superheld wie im Comic, der aufräumte. Und diesen Superhelden gibt es nun.

Tscheljabinsk

Ist es ein Vogel? Oder ein Flugzeug?

Am Eingang des zentralen Parks von Tscheljabinsk treffe ich einen großen Mann, der einen modischen Bart und Tarnhosen trägt. Er hat Sportschuhe an und einen schwarzen Rucksack dabei. Von der Masse hebt er sich nicht ab. Doch kaum sind wir abseits der belebteren Wege des Parks, holt er einen großen schwarzen Müllsack aus dem Rucksack, setzt eine grüne Strickmütze und eine weiße Sonnenbrille auf und wird zum Sauber-Man. Seine Mission: die Stadt vom Müll befreien.

Der Superheld heißt Artur Matis-Sirasejew und ist 30 Jahre alt. Er ist Lehrer für deutsche Sprache, arbeitet aber mittlerweile im Bereich Social Media, Moderation und Promotion. Er selbst nennt seine Müllsammelaktionen, die er bis zu zweimal pro Woche durchführt, Beutezüge. Heute wird er außer im Park noch im Erholungsgebiet Emerald Quarry und in einer der Schlafstädte außerhalb des Stadtgebietes nach den Rechten schauen. Dort fing vor vier Jahren auch alles an.  

Erst letztes Jahr sei hier alles mehr oder weniger in Ordnung gebracht worden, erklärt er. „Davor gab es überall nur Müllhalden“, klagt er und schaut sich um. An den Bänken stapeln sich allerdings noch immer Bierflaschen, leere Verpackungen und Überreste von Picknicken, die über den strengen Winter nicht besser geworden sind. „Früher habe ich in der Nähe gewohnt und bin oft hier lang gefahren”, erzählt Artur. Nach einer dieser Fahrten durch Dosen und Pappkartons, die quer über der Straße verstreut lagen, befand er, dass nur ein Superheld das Problem lösen könne.

Artur kaufte einen halben Meter grünen Stoff, nähte sich eine Maske und ließ nur einen Schlitz für die Augen. Danach kehrte er mit einem Müllsack in den Park zurück. „Ich dachte, dass niemanden Fotos vom Müllberg alleine interessieren würden. So erfand ich den Sauber-Man und postete eine Videobotschaft von ihm in den sozialen Netzwerken.”  

Er sieht sich nicht als Retter der Menschheit. Sein weitaus bescheideneres Ziel ist es, bei seinen Landsleuten das Bewusstsein zu wecken, die Umwelt nicht als Abfalleimer zu betrachten. Mehr als 20 000 Menschen folgen ihm mittlerweile im Internet. Artur hat sie inspiriert, in ihren Städten aufzuräumen.

Mittlerweile hat er so viele Follower, dass er die Community „Sauber-Man-Liga” eingerichtet hat. Hier finden sich gleichgesinnte Aufräumwillige und können Feedback geben. Artur führt seinen Erfolg auf die aktuelle „#TrashTag Challenge“ zurück. „Vielleicht sind die Leute aber nur aufmerksamer geworden”, vermutet er zudem.

Der Mann hinter der Maske

Emerald Quarry am Stadtrand von Tscheljabinsk ist ein beliebtes Erholungsgebiet. In nur wenigen Minuten ist Arturs Müllsack voll. „In vier Jahren war ich hier rund 150. Mal auf Beutezug und habe dabei im Schnitt jedes Mal fünf 90 Liter-Müllsäcke vollgemacht”, berichtet er. Vor nicht allzu langer Zeit hat er mit 90 Säcken einen neuen Rekord aufgestellt: „Ich habe sie alle in eine Reihe gestellt. Es sah aus wie eine riesige, 30 bis 40  Meter lange Müllwurst.”

Der erstaunlichste Vorfall ereignete sich im Dezember 2018, als er aus Versehen in der Fernsehsendung „Geheimer Millionaire” landete. Alexei Lokonzew, Inhaber der bekannten Friseurkette „Top Gun”, war von Arturs Engagement so beeindruckt, dass er 350 000 Rubel (umgerechnet rund 4 800 Euro) für das Projekt spendete und ihn bat, die Maske abzunehmen.

Artur hat das Geld noch nicht angerührt und versucht, alle Videos, die sein Gesicht zeigen, löschen zu lassen. Er will nur als Sauber-Man bekannt sein, sein wahres Ich möchte er aus den Medien heraushalten. Mit seinem Projekt verdient er kein Geld und obwohl es schon Angebote gab, so zum Beispiel von einem Müllsackhersteller, soll das auch so bleiben.

Der Sauber-Man als Präsident

Für den Sommer plant Artur eine große Aufräumaktion in Tscheljabinsk. Er will nicht, dass daraus ein Arbeitseinsatz wie in der Sowjetunion wird, die als Subbotniks bekannt waren, oder eine verpflichtende, aber nur einmalige Sache. Sein Ziel ist es, dass die Aufräumaktionen langfristig nachwirken. „Ich denke, es ist wichtig, ein aktiver Bürger zu sein, und ich bin froh, dass auf der Straße immer mehr Saubermänner zu sehen sind. Doch die Politik leugnet einige Probleme, so dass ich mir vorstellen kann, für das Stadtparlament zu kandidieren”, sagt Artur.

Er ist nicht der erste und einzige Umweltaktivist Russlands. Schon vor einigen Jahren gab es in Bijsk in der Region Altai einen Superhelden mit orangefarbener Maske. Der gab nach vier Beutezügen jedoch schon wieder auf.  Artur hat inzwischen Kontakte zu Aktivisten in Sankt Petersburg, Kostroma, Jakutsk und Perm - er betrachtet sie alle als Superhelden und hat sogar einen Chat eingerichtet, indem sich über „Superheldenangelegenheiten” ausgetauscht werden kann.

Manchmal wagt sich der Sauber-Man auch über die Grenzen seiner Heimatstadt Tscheljabinsk hinaus. Er war schon in Miass und Kopejsk zum Müllsammeln und folgte vor kurzem einer Einladung von Mitstreitern nach Petrosawodsk. „Dort gibt es ein sehr schönes Flussufer. Doch auch das war zugemüllt. Das Problem verursachen die Menschen und die sind überall gleich”, sagt Artur.

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