Geisterbahn? Fiktive U-Bahn-Netze in russischen Städten

Kirill Kallinikow/Sputnik, NASA, Pixabay
Die Einwohner dieser Städte haben ihr eigenes U-Bahnnetz entwickelt und es zu einem Symbol ihrer Stadt gemacht. Manche Fakes sind so realistisch, dass Touristen tatsächlich an ihre Existenz glauben.

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer unbekannten Stadt und gucken im Internet nach den öffentlichen Verkehrsverbindungen. Dabei stoßen Sie auf die offizielle Website einer U-Bahn. Sie gehen zum angeblich nächsten Bahnhof. Dort dann der Schock: Das von Ihnen gesuchte Verkehrsmittel existiert gar nicht!

In Russland haben gerade einmal sieben Städte ein unterirdisches Verkehrssystem. Diese U-Bahn-Metropolen sind gleichzeitig wichtige Zentren des Landes mit mehr als einer Millionen Einwohner. Doch auch in kleineren Städten wünschen sich viele Menschen ein leistungsfähiges und schnelles öffentliches Verkehrssystem. Um ihrem Wunsch Ausdruck zu verleihen, beginnen die Bewohner manchmal sogar damit, ihre nicht vorhandene Metro bekannt zu machen. Sie glauben, das kann nicht wahr sein? Dann lesen sie weiter.

Barnaul: Ein Witz, den Touristen nicht verstehen

Vor einigen Jahren besuchte eine New Yorkerin mit russischen Wurzeln Freunde in Barnaul (Region Altai). Im Internet fand sie eine Netzkarte der dortigen Metro. Erst nachdem sie die ganze Stadt nach einem U-Bahnhof abgesucht hatte, verstand (rus) sie, dass es sich um pure Fiktion handelte. Sie schrieb sogar einen Brief an Präsident Wladimir Putin, in der sie die Barnauler Metro als „Verlade russlandweiten Ausmaßes“ bezeichnete (rus).

Zwar konnte die Frau nicht mehr ausfindig gemacht werden, aber ein Screenshot der Korrespondenz geistert seitdem durchs Internet. Die Metro in Barnaul hat eine authentisch wirkende „offizielle“ Website und ist in sozialen Medien wie VKontakte und Twitter aktiv. Der Mann hinter der angeblichen Metro heißt Daniil Tschurow und kam auf die Idee, als er mal wieder genervt im Stau stand.

Er designte einen Netzplan und stellte ihn, mehr als Aprilscherz, in seinen Blog. Die Geschichte gelangte bis in die landesweiten Medien, woraufhin Tschurow sich entschied, das Projekt weiterzuentwickeln. Wenig später hatte seine Seite schon mehrere Tausend Abonnenten und veröffentlichte regelmäßig neue Informationen zum Bau neuer Metrostationen, zu Fahrpreissenkungen (acht Rubel pro Fahrt) und zum Silvesterfahrplan der fiktiven U-Bahn.

Seit 2017 gab es keine neuen Einträge mehr auf der VKontakte-Seite und Daniil Tschurow antwortet nicht mehr auf private Nachrichten.

Waldai: Ein ungewöhnlicher Reiseführer

Mit dem historischen Iwerski-Kloster und dem Waldaisee zieht das Städtchen in der Region Nowgorod zahlreiche Touristen an. 2003 beschlossen die Entwickler einer Website, einen kleinen Reiseführer über die Stadt zu veröffentlichen. Dieser ist wie ein U-Bahn-Plan gestaltet. Die Sehenswürdigkeiten bilden sozusagen die U-Bahn-Stationen. Über die Jahre entstand eine umfangreiche Homepage (rus) mit einer detaillierten Beschreibung des „Netzplans“ und der „Bahnhöfe“.

Einige Besucher verstanden jedoch nicht, dass es sich bei der Metro um einen Fake handelte. „Am Wochenende waren wir in Waldai. Es gibt dort überhaupt keine U-Bahn!“ schrieben wütende Touristen.

Einheimische Unternehmer fanden die Idee dagegen gut und verkauften „Fahrkarten“ für die Metro. Auch der Stadtregierung gefiel das Projekt. Sie ließ über Gullydeckeln (rus) das Zeichen für die Metro sowie Schilder (rus) mit den Stationsnamen „Weißes Haus“, „Simogorje“ oder „Innenstadt“ anbringen.  

Nabereschnyje Tschelny: Die Arbeit eines unbekannten Meisters

Die angebliche U-Bahn dieser Stadt in Tatarstan ist klein, aber sehr realistisch. Ihr Urheber ist unbekannt. Auf der „offiziellen“ Website (rus) der Metro wird ausgesagt, dass sie 1975 gebaut wurde, um Arbeiter für die LKW-Fabrik KAMAZ (eine der größten LKW-Fabriken in Russland) zur Arbeit zu bringen. Inzwischen ist das Streckennetz fast 20 Kilometer lang und zählt 13 Stationen, davon drei „in Bau“. Die auf der Websites abgebildeten Fotografien der Metrostationen sind so realistisch (rus), dass man denken könnte, dass Nabereschnyje Tschelny wirklich eine U-Bahn hat.

Lipezk: Eine Mini-Version der Moskauer U-Bahn

Das „Metronetz” (rus) der 500.000-Einwohner-Stadt Lipezk entstand 2002. 

Der U-Bahn-Plan sieht aus, wie eine Miniatur des berühmten Moskauer Metronetzes: Eine Ringlinie und viele Durchmesserlinien. Zudem gibt es eine Fantasiegeschichte, die davon berichtet, wie die sowjetischen Behörden Lipezk angeblich zum Industriezentrum Russlands machen wollten und dafür eine Metro bauten. Einige Stationen seien sogar schon fertig gewesen, als der Zweite Weltkrieg die Planungen beendete.

Korenowsk: Ein Geschenk aus Sankt Petersburg

Website der U-Bahn von Korenow

Diese „Metro” in der südrussischen Kleinstadt Korenowsk ist ein Geschenk von Wladimir Kalinin. Kalinin verbrachte seine Kindheit in Korenowsk, lebt aber heute in Sankt Petersburg. Er sagt (rus): „Ich wollte mit dem Projekt das Leben der Einwohner verbessern und eine Metro bauen, auch wenn es nur eine Virtuelle ist.“

Der Internetseite (rus) der Metro zufolge wurde das Netz 2012 als erste U-Bahn der Region eröffnet. Ein Netzplan kann an jedem Ticketverkauf kostenlos mitgenommen werden. Es gibt ihn angeblich in zwölf Sprachen, darunter Hindi.

Auch in den Sozialen Medien ist die Korenowsker Metro vertreten (rus). Die Abonnenten sind sehr zufrieden. Insbesondere die niedrigen Ticketpreise und der ständige Ausbau des Netzes gefallen ihnen.

Weitere fiktive Metros

2012 tauchte auch in Kaluga eine fiktive Metro (rus) mit zwei Linien und einer Kreuzungsstation auf. Einen ähnlichen Netzplan (rus) gibt es für die Kleinstadt Pokrow bei Moskau. In Magadan im Fernen Osten wurden sogar drei Metrolinien (rus) vorgeschlagen.

>>> Von Moskau bis Kasan: Russlands U-Bahn-Stationen mit den Augen der Einwohner

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