Öl gemischt mit Crème fraîche fließt über mein Kinn und tropft auf mein Sweatshirt und meine Jeans. Mein Magen scheint gleich zu platzen, aber mich erwarten noch ein paar georgische Chinkali. Dieser Geruch wird mich noch ein paar Tage verfolgen.
Mir gegenüber sitzt ein großer, korpulenter junger Mann in einem weiten Sweatshirt. Er sieht mich an wie einen Bären, vor dem ein Fass Honig umgekippt wurde. Auf seinem Teller liegen fünf Chinkali, aber er rührt sie nicht einmal an.
Ich ersticke buchstäblich am Essen und denke mir, dass ich im nächsten Jahr wohl einen großen Bogen um die georgische Küche machen werde.
„Magst du es, einer Frau beim Essen zuzusehen?“, frage ich mit vollem Mund.
„Ja! Es ist sehr ästhetisch, und nicht nur das“, antwortet der Mann mit aufgeregter Stimme. Zu aufgeregt für ein normales Mittagessen in einem georgischen Café im Zentrum von Moskau. Und er fügt hinzu, dass es für meine Größe (162 cm) gut wäre, 160 kg zu wiegen.
„Ich mag es mehr, wenn eine Frau mich dominiert. Ich wünschte, eine 200 kg schwere Dame würde sich auf mich setzen und ihren Bauch zusammendrücken“, fährt er fort. Ich lächle und ich denke, es ist Zeit, meine Mitgliedschaft im Fitnessclub zu verlängern.
So läuft mein Date mit Anatoli ab. Er ist 33 Jahre alt, liefert Medikamente an Apotheken aus und er ist ein Feeder – ein Mann, der gerne Frauen füttert.
Feeding als Phänomen kam aus den USA nach Russland, es beinhaltet mehrere Arten der Interaktion zwischen Menschen und hat seine eigene Terminologie. Es gibt die Feedees (Gefütterte) – diejenigen, die die Gewichtszunahme und das Füttern durch den Partner genießen – und die Feeder (Fütterer) – diejenigen, die dem Feedee helfen, das gewünschte Gewicht zu erreichen. Und es gibt die Gainer – die nehmen selbst zu und brauchen dafür keinen Partner. Und schließlich sind da noch die Stuffer (Stopfer) – diese genießen einfach das Essen. Einige Leute vereinigen in sich gleich mehrere dieser Rollen.
Es gibt auch das Konzept des mutual gaining, des gegenseitigen Mästens, wenn beide Partner zunehmen und sich dabei gegenseitig unterstützen.
Dabei hat jeder sein eigenes „Idealgewicht“ – der eine will 100 kg wiegen, der andere 200 kg, aber im Durchschnitt haben sich Feedees und Gainer ein Ziel von etwa 130 kg gesetzt, sagt der Administrator des russischen sozialen Netzwerks für Feeder und Feedees Alexander Malaschewitsch. „Es gibt unter den Feedees und Feedern mehr Männer. Die meisten Männer suchen nach Frauen, aber die Wahl treffen die Frauen und nicht umgekehrt“, erklärt er.
Während ich an den Chinkali fast ersticke, beginnt Anatoli, mir von sich zu erzählen. „Meine erste sexuelle Erfahrung war im Alter von 19 Jahren mit einem sehr dünnen Mädchen. Sie hat mich überhaupt nicht erregt, aber ich wollte Sex haben. Ich hatte mich zuvor mit afrikanischer Kultur beschäftigt und liebte Hip-Hop. Und als ich üppige Latinas kennenlernte, drehte ich fast durch“, erinnert sich Anatoli.
Anatoli wuchs bei seiner Mutter auf, die ihn fütterte und schimpfte, wenn er nicht aufaß. Anatolis erster Kontakt mit einem Feedee war damals, als er 19 Jahre alt war – er lernte die Frau auf einer amerikanischen Website kennen. Das Mädchen war nett zu dem jungen russischen Mann, der nichts vom Feeding wusste und schickte ihm kostenlos ein Video, für das sie normalerweise Geld verlangte.
„Mit einer Hand verwöhnte sie sich, mit der anderen und aß sie ein Eclair. Sie bat ganz unverhohlen darum, als fett bezeichnet zu werden – das machte sie an. Und sie trug enge Sachen, als ob sie sagte: Genieße den Anblick – ich schäme mich für nichts“, erzählt Anatoli.
Die Geliebte war zu weit weg und Anatoli versuchte, eine ernsthafte Beziehung in Russland aufzubauen. Eines seiner Mädchen wog 85 kg. Ohne ihr von seinem Hobby zu erzählen, fütterte er sie, so dass sie in zwei Monaten um weitere acht Kilogramm zunahm.
„Ich wusste, dass sie nicht bereit gewesen wäre, freiwillig dicker zu werden – sie hatte zu viele Komplexe. Ich schob ihr mein Essen zu und sie aß und beschwerte sich nur, dass sie zunahm. Sie wusste nicht, dass sie in meinen Fantasien noch viel üppiger war“, erzählt mir der Feeder.
Bald erkannte sie, dass sie gefüttert wurde und verließ den jungen Mann. Auch die zweite Freundin verließ Anatoli, um abzunehmen. Seine letzte ernsthafte Beziehung endete vor fünf Jahren.
„Aber ich verhalte mich angemessen. Wenn ich sehe, dass meine Freundin Probleme hat sich zu bewegen, würde ich sie auf Diät setzen. Und ich werde strikt auf die Ernährung meiner Kinder achten, bis sie 18 Jahre alt sein werden. Möchtest du noch etwas? Ich werde dich sonst fesseln und füttern“, sagt er und schiebt mit lautem Lachen seine Portion Chinkali zu mir hin.
Feeding sei nicht nur ein sexueller Fetisch, sondern auch eine echte Leidenschaft, versichert der Leiter der russischen Feeding-Gemeinschaft, Alexander Malaschewitsch.
„Man muss verstehen, dass für einen Feedee oder Gainer ein Lebenstraum in Erfüllung geht, wenn er fett wird, vergleichbar mit dem Wunsch, Präsident, Millionär oder Pilot zu werden. Für den Feeder dahingegen ist der Traum, dem Feedee zu helfen, sich selbst zu finden. Es ist mehr als nur ein ästhetischer oder erotischer Genuss“, erklärt er.
Das Feeding als Phänomen habe seinen Ursprung in der Fast-Food-Kultur, multipliziert mit Komplexen, sagt die praktizierende Psychologin Inessa Schwazkaja. „Ein Mann, der Frauen mästet – das ist im Grunde genommen ein manipulatives Verhalten: Ein Partner versucht, aufgrund seines geringen Selbstwertgefühls den anderen Partner unter dem Deckmantel der Fürsorge zu kontrollieren und der hält dieses Verhalten für ein starkes Gefühl der Liebe und übermäßige Fürsorge“, erklärt Schwazkaja.
Oder aber der Partner verweist auf die nicht vorhandenen Mängel des anderen und senkt so dessen Selbstwertgefühl. Dadurch bekommt er einen verunsicherten Partner und kontrolliert diesen vollständig“, fasst Schwazkaja zusammen.
Laut Anatoli sollten beide Partner Freude am Feeding haben.
„Tatsächlich wollte ich nie, dass eine Frau von mir abhängig ist. Sie sollte den Prozess genießen und sich selbst auch. Das ist keine Gewalt, das ist Fürsorge“, sagt er. Mir ist klar, dass ich nicht mehr essen kann und frage nach der Rechnung. Anatoli sieht enttäuscht aus.
Auf dem Weg zur U-Bahn räumt er ein, dass er eines Tages eine gewöhnliche Frau lieben können werde, und Gewicht sei nicht das Wichtigste. Insgeheim jedoch werde er immer fette Frauen bewundern.
„Aber gegenwärtig komme ich nicht ohne Bäuche und Speckfalten aus. Ich sehe sie und will sie gleich kneten. Es ist, als ob du unter Mamas Fittichen stehst“, sagt er. Das Lachen wirkt teuflisch, aber aus irgendeinem Grund tut er mir leid. Er gibt mir zum Abschied zwanzig Eclairs. Die gleichen, die seine erste große Internetliebe aus Amerika mochte.
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