Simon aus Österreich: Wie Russen mein Leben veränderten

Sebastian Bolesch/Aus dem persönlichen Archiv
Menschen aus aller Welt erzählen, wie sie ihre Erfahrungen in Russland und mit den Russen verändert haben. Simon aus Österreich ist beeindruckt von der Ernsthaftigkeit russischer Freundschaften.

Die erste Begegnung mit Russland 

Ich erinnere mich an eine Geschichte aus meiner Kindheit. Ich stand meiner Urgroßmutter sehr nahe. Noch zu Schulzeiten schenkte sie mir ein kleines Kreuz aus Metall, das schon lange im Familienbesitz war. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wien in unterschiedliche Sektoren aufgeteilt worden. Einer stand unter der Kontrolle der Roten Armee. Meine Urgroßmutter hatte einen kleinen Gartenbetrieb. Sie verkaufte Gemüse.

Sie sprach fließend Tschechisch und konnte sich daher ein wenig mit den sowjetischen Soldaten unterhalten. Meine Mutter war noch ein kleines Mädchen und bekam immer Süßigkeiten von den Rotarmisten. Einer half der Urgroßmutter sogar dabei, den Garten wieder auf Vordermann zu bringen, der im Krieg in Mitleidenschaft gezogen worden war. Bevor er zurück in die Heimat ging, schenkte der Soldat der Urgroßmutter dieses einfache kleine Metallkreuz. 

Es ist berührend, nicht nur die Erinnerungen im Kopf zu haben, sondern etwas aus der Vergangenheit auch berühren zu können. 

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Die erste Begegnung mit Russen 

Während meines Studiums der Kunstgeschichte arbeitete ich im Auktionshaus Dorotheum in Wien. Von 2006 bis 2008 war ich dort in der Abteilung Alte Meister beschäftigt, für die viele russische Kunden ein besonderes Interesse zeigten. Das waren die ersten Russen, die ich persönlich kennenlernte. 

Simon Mraz von Ira Korina, 2019

Durch die Arbeit lernte ich auch Oleg Ksenofontow kennen, den Direktor des russischen Wissenschafts- und Kulturzentrums in Wien. Er erzählte mir von Russland und seiner Arbeit. Er riet mir, Russischunterricht zu nehmen. Meine ersten Stunden absolvierte ich am Russischen Kulturinstitut in Wien. 

Das Dorotheum schickte mich später nach Moskau, um dort einen Kunden zu treffen. Ich habe durch meine Arbeit viele Menschen getroffen, die in der österreichischen Botschaft in Moskau beschäftigt waren. So kam ich zu diesem Job. Eines Tages sagte jemand, es gäbe ein Stellenangebot, befristet für acht Monate. Ich blieb schließlich zehn Jahre! 

Russland-Klischees  

Ich bin in einem Ort rund 30 Kilometer von der Grenze zur ehemaligen UdSSR aufgewachsen. Meine Welt endete in der Kindheit an dieser Grenze. Dahinter schien sich etwas Seltsames zu verbergen. Es war nichts furchterregendes, sondern das Unbekannte, Merkwürdige. Damals habe ich mir die österreichischen Nachbarländer ganz anders vorgestellt. Heute sind Informationen viel leichter zugänglich als damals. Während des Studiums habe ich in Italien und Frankreich gelebt. Vorurteile gegenüber Italienern oder Franzosen hatte ich nicht.  

Ich hatte auch keine, bevor ich nach Russland gekommen bin. Glücklicherweise wurde ich so erzogen, nicht auf Klischees und Pauschalurteile hereinzufallen. Die üblichen Stereotype halte ich heutzutage ohnehin für veraltet. Man muss sich offen und intensiv auf die Geschichte und kulturelle Identität einlassen. 

Ein denkwürdiger erster Besuch in Russland 

Das erste Mal reiste ich 2005 nach Russland. Martin Wukowitsch, der Vater meines guten Freundes Klaus, war damals der österreichische Botschafter in Russland. Als Klaus in Moskau heiratete, sollte ich Trauzeuge sein. 

Ich erinnere mich noch gut an diese riesigen Stapel von Koffern am Flughafen Scheremetjewo und hatte keine Ahnung, wie ich darunter meinen finden sollte. 

Ich erinnere mich auch an diese verrückte Meute von Taxifahrern, die am Ausgang wartete. Es schien keine andere Möglichkeit zu geben, in die Stadt zu gelangen. Ein Typ wie ich war deren perfektes Opfer. Ein Taxifahrer wollte 200 US-Dollar von mir. Als Student ohne Job hatte ich damals nicht so viel Geld. 

Also schaute ich, wohin die Russen gingen, und entdeckte, dass sie alle in ein Marschrutka, ein Kleinbus-Sammeltaxi, stiegen. Gefühlte zwei Stunden habe ich an dieser Haltestelle gewartet. und schließlich half mir eine Dame beim Einsteigen und ich schenkte ihr eine Freifahrt. Es war wirklich eine Herausforderung und ich war unglaublich stolz auf mich. 

Russische Freundschaft fürs Leben 

Die Denkweise der Russen unterscheidet sich stark von der Denkweise der Menschen in Westeuropa. Ich glaube, dass Russland das letzte große multikulturelle „Reich“ ist, das noch existiert (denken Sie an die Briten oder Österreicher, sie sind alle irgendwie verschwunden).

Ich meine das nicht imperialistisch. Es ist einfach ein riesiges und interessantes Land. Das nationale Bewusstsein ist anders – es ist eine Mischung aus Stolz, Nostalgie, Traurigkeit und vielem mehr. Ich bin überzeugt, dass es einige Zeit braucht, die ganze Vielfalt der Kulturen zu entdecken. 

Ich denke auch, dass russische Freundschaften ein Vorbild sein können. In Österreich pflegt man  viele oberflächliche Freundschaften. Man arbeitet zusammen, lädt Bekannte auch schnell zu sich nach Hause ein, doch man bleibt sich fremd. In Russland dauert es eine Weile, bis Sie jemand, den Sie gerade erst kennengelernt haben, zu sich nach Hause einlädt. Aber, wenn Sie jemals als Freund betrachtet werden, dann sind Sie sich einander auch wirklich nahe. Ich bin manchmal geradezu fassungslos, wie eng Freundschaften in Russland sein können. 

Das Material wurde zusammengestellt von Jelena Kurbazkaja. Übersetzung aus dem Englischen.

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