Samogon: Wie Russen ihren Selbstgebrannten brennen

Vladimir Smirnov/TASS
Welche Art von Alkohol wird in Russland zu Hause hergestellt und wie legal ist er?

In Russland gibt es gegenwärtig keine genauen Daten über den Konsum von hausgemachtem hochprozentigen Alkohol, dem Samogon: Er wird nicht im Laden verkauft und nur ab und zu taucht er auf Getränkekarten von Bars auf. „In einer Craft-Bar wurden wir einmal mit einem solchen Getränk verwöhnt”, berichtet Maxim aus Moskau. „Und ein Kolleg brachte mal Selbstgebrannten aus Äpfeln und Birnen mit zur Arbeit.” Dabei besteht jedoch immer die Gefahr, vergiftet zu werden.

„Vor zehn Jahren war ich einmal zu Besuch und da war auch ein Gast vom Dorf, der selbst Schnaps brannte”, erinnert sich Daria aus Moskau. „Er schmeckte schrecklich und ich hatte einen Filmriss und danach einen Mordskater – erst am dritten Tag ging es mir wieder besser.”

Nach diesem Vorfall gab Daria das Trinken auf, obwohl sie nicht ausschließen kann, dass es sich einfach nur um schlechte Qualität gehandelt hatte. Aber Julia aus Nischni Nowgorod glaubt, dass Samogon nur eine Frage des Geschmacks sei. Sie mag diese Art von Alkohol auch nicht, aber ihre Familie brennt ihn selbst. Auf die Frage nach dem “Warum?“ antwortet sie: „Ein Hobby“. „Außerdem kann man so etwas in fast jedem Land der Welt finden.“

In England nennt man ihn moonshine, Poitín in Irland, Palinka in Ungarn und Selbstgebrannter oder Obstler in Deutschland. Unter Katharina II. zum Beispiel war das private Brennen in Russland noch legal, aber die Destilliervorrichtung war ziemlich teuer und Alkohol für sich selbst zu brennen, war nur der Adelsschicht gestattet. Die anderen mussten sich eine Verkaufslizenz besorgen. Auf dem Dorf tranken sie dagegen alkoholarme selbstgebraute Getränke wie Bier. Nach und nach lernten die Bauern jedoch, wie man sich eine Vorrichtung zum Destillieren baut und begannen zu Hause hochprozentigen Alkohol herzustellen.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte der Staat, den Verkauf von Selbstgebranntem zu regeln, indem er eine Akzise einführte und sich das Handelsmonopol vorbehielt. Wer nur für sich selbst brannte, wurde praktisch ignoriert. Erst als die Trinkerei zu einem echten Problem wurde, begann man den Selbstgebrannten zu verbieten.

Wie die Schwarzbrenner bekämpft wurden

Die erste Prohibition gab es unter dem Zaren Nikolai II. während des Ersten Weltkriegs: Damals durfte Alkohol nur in Restaurants gekauft werden. Dagegen boomte das Schwarzbrennen in den Dörfern. Illegal gebrannter Er war ein lukratives Geschäft für Schmuggler.

Nachdem die Bolschewiki 1917 an die Macht gekommen waren, verlängerten sie das zaristische Verbot. Die Strafe für Selbstgebrannten war drakonisch: mehrere Jahre Lagerhaft und Beschlagnahme des Eigentums. Es wurden spezielle Trupps herumgeschickt, um die illegalen Destillen zu zerstören. In der Sowjetzeit gab es mehrere Anti-Alkohol-Kampagnen unterschiedlichen Ausmaßes, aber der Kampf gegen das Schwarzbrennen war nicht zu gewinnen – es war eine Art Protest gegenüber dem Regime.

In den Sechziger- und Siebzigerjahren geriet der Samogon fast in Vergessenheit, da es eine große Auswahl preiswerter alkoholischer Getränke wie Wermut und Portwein im Handel gab. Aber bereits Anfang der Achtziger stieg der Alkoholkonsum wieder sprunghaft an: Jeder Dritte in dem riesigen Land trank und so verkündete Gorbatschow 1985 die letzte sowjetische Prohibition. Alkohol wurde zur Mangelware, was sofort zu einer neuen Welle des Schwarzbrennens führte. „Ich war noch ein kleines Mädchen, aber ich erinnere mich, dass meine Großmutter zu Hause selbst brannte. Sie verheimlichte es jedoch vor den Nachbarn, aus Angst, die würden sie denunzieren“, erinnert sich Julia. „Und um den Geruch zu verbergen, verbrannte sie Brotrinde.“

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als der Markt von billigem gefälschten Alkohol geflutet wurde, begannen viele Bürger, Selbstgebrannten von Freunden aus dem Dorf zu kaufen, nur um Vergiftungen zu vermeiden. Heutzutage darf Selbstgebrannter in Russland legal hergestellt werden, aber nur für den persönlichen Gebrauch und nicht zum Verkauf. Im Handel gibt es viele verschiedene Destilliergeräte für jeden Bedarf.

Woraus besteht der Selbstgebrannter heute?

Zuerst wird eine Maische angesetzt (meist aus Zucker, Wasser und Hefe), die ein bis zwei Wochen lang steht und dann in einem Destillierapparat gebrannt wird, um den Alkoholgehalt zu erhöhen. Der Samogon  hat zwei Bestandteile, die nicht für den Konsum geeignet sind: den „Kopf“ und den „Schwanz“, dem ersten und dem letzten Produkts des Destillationsvorganges. Sie enthalten Methylalkohol und Fuselöle, d.h. jene Bestandteile, die zu Vergiftungen und Kopfschmerzen führen Man kann nur den „Körper“ trinken, der einen Alkoholanteil von 40 – 50 Volumenprozent hat. Profis raten, nicht nur „Kopf“ und Schwanz“ abzuschneiden, sondern auch zweimal zu destillieren. 

„Hochwertiger Samogon riecht gut, man muss nicht gleich nachspülen“, sagt Maxim. „Ich habe schon oft Samogon getrunken, sowohl guten als auch schlechten.“

Im Prinzip kann man Selbstgebrannten aus jedem Produkt herstellen, das Zucker oder Stärke enthält. Im Wesentlichen sind das Gerste, Hirse, Weizen, Kartoffeln, Obst und Rote Beete.“ 

Laut unseren Gesprächspartnern hat reiner Samogon tatsächlich einen sehr spezifischen Geruch und Geschmack, so dass ihn viele Menschen nach dem Destillationsprozess mit verschiedenen Kräutern und Früchten ansetzen. Am Beliebtesten nimmt man in Russland eine Mischung aus Safran und Rosmarin (sie verleihen einen Duft, ohne den Geschmack zu verändern), Kardamom mit Muskatnuss (für einen würzigen Geschmack) oder Zitronenschale mit Lorbeerblatt (für Zitrusaroma). Eine interessante Farbe kann man dem Selbstgebrannten verleihen, wenn man ihn mit Waldmeister (grün) oder Berberitze (bordeauxrot) ansetzt. 

Die Schwarzbrenner geben an, dass es für sie nur ein unterhaltsames Hobby ist, kein Geschäft. Sie mögen den Prozess an sich, der etwas Alchemistisches hat.

>>> Leim-Schnaps und Kölnisch Wasser: Was sowjetische Alkoholiker in Not tranken

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!