„Gegen dich kommt man nicht an – du frisst zu viele Steroide!“, sagt der stämmige Mann in der schwarzen Jacke hinter dem Metallzaun.
„Ich habe nur einen gesunden Appetit“, antwortet sein Kollege. Beide lachen lautstark. Dies sind die Türsteher des bekanntesten Moskauer Clubs, des ICON.
Zwei Blondinen treten am Eingang auf der Stelle herum. Sie wagen es beide nicht, sich den Türstehern zu nähern und warten offensichtlich auf etwas. Meine Freundin und ich kommen auch nicht rein, aber das liegt daran, dass wir Material für den Artikel sammeln müssen.
„Mädels, wollt ihr rein?“ Ein 25-Jähriger mit angenehmem Lächeln tritt an uns heran. Er trägt Anzug und Mantel.
„Ja. Warum?“
„Der Eintritt kostet 3.500 Rubel (50 Euro), ein Tisch 30.000 (430 Euro). Sonst kommt ihr gar nicht erst durch die Gesichtskontrolle“, sagt er und wirft dabei einen Blick auf unsere abgelaufenen Stiefel. Er drückt uns seine Visitenkarte mit der Aufschrift Promoter in die Hand. „Versucht es und kommt dann wieder her“, sagt er und geht zu den Blondinen.
Nach und nach kommen immer mehr Leute. Irgendwann taucht eine große Gruppe kaukasischer Männer und Frauen mit unnatürlich großen Lippen auf. Kurz darauf geht einer der Türsteher auf sie zu und bietet ihnen an, in den VIP-Bereich zu gehen.
Nach welchem Prinzip die Gesichtskontrolle im Club erfolgt, lässt sich nicht verstehen. Ein junger Mann in einem schicken Wollmantel und einem Haarschnitt, als käme er direkt aus dem Friseursalon, wird ohne Erklärung nach Hause geschickt. Kurz darauf wird ein Mann von kleiner Statur in den Club eingelassen, gefolgt von zwei jungen Frauen in Turnschuhen. Am Eingang zum VIP-Bereich stehen Ausländer, offensichtlich Italiener.
Letztendlich kommen wir nicht rein. Der Mann am Eingang rät, das nächste Mal im Voraus einen Tisch zu bestellen oder sich eine VIP-Karte zu besorgen.
„Na, was habe ich gesagt? Soll ich euch helfen, reinzukommen?“ Der Promoter wartet bereits und hofft, uns Eintrittskarten zu verkaufen. Nachdem wir abgelehnt haben, macht er sich wieder an die Blondinen ran.
„Nein, wir angeln uns hier jemanden und kommen rein“, sagt eine der jungen Frauen. Die andere fischt mit zitternder Hand eine Zigarette aus der Schachtel und raucht nervös.
Sie stehen schon 40 Minuten hier. Aber wir gehen jetzt weiter.
Pascha FaceControl und der Club, in den man nicht eingelassen wird
Heutzutage ist der Begriff Glamour für die Besucher der Moskauer Clubs kaum noch anwendbar. Aber noch vor zehn Jahren war der Einlass in eine angesagte Location mit besonders strenger Gesichtskontrolle Kult für die Schickeria der Hauptstadt. Es war notwendig, sich entsprechend zu kleiden und zu schminken.
Einer der bekanntesten Clubs war das Shambala, das 2001 in Moskau eröffnet wurde (aber mittlerweile nicht mehr existiert). Es war ein Projekt des damals größten Club-Betreibers Alexej Gorobij. Mit ihm begann das glamouröse Moskauer Leben – in langen Schlangen standen schöne junger Frauen und ihre wohlhabenden Gönner nach ausländischen DJs und den teuren Tischen auf der riesigen Sommerterrasse an.
Noch beliebter war Gorobijs Club Diaghilev. Dessen Besonderheit waren die Séparée in den oberen Stockwerken des Clubs, die an ein Amphitheater erinnerten und für Zehntausende Dollar gemietet werden konnten. Am Eingang zum Club drängelten sich Massen junger Frauen und Prominenter. Für die Nutzung der Toiletten musste man zahlen.
Das Aushängeschild des Clubs war Pascha-FaceControl (der mit bürgerlichen Namen Pawel Pitschugin hieß und zuvor mit Gorobij zusammengearbeitet hatte). Pawel selbst berichtete, dass er nur Geschäftsleute mit teuren Autos, Transvestiten und junge Frauen, die ihre Kleider selbst nähten, einließ. Eines Tages am Silvesterabend verkaufte er einen Tisch im Club für 40.000 Euro. Gleichzeitig konnte Pitschugin einem berühmten Sänger oder hochgestellten Beamten den Eintritt ohne Begründung verweigern. Das Image des taffen Türstehers beeindruckte das russischen Showbusiness derart, dass DJ Smash ein Video über ihn veröffentlichte, das Pawel im ganzen Land berühmt machte.
Das Diaghilev brannte 2008 ab. Gorobij realisierte mehrere weitere Clubprojekte und starb 2014 an einem Herzinfarkt in Bolivien. Am 10. November 2019, im Alter von 38 Jahren, starb auch Pascha FaceControl. Die Ursache seines Todes ist unbekannt.
Neue Regeln für die Gesichtskontrolle
„Heutzutage lässt das ICON normalerweise Frauen in kurzen Röcken mit High Heels und füllige Männer, oft Ausländer, die mit einer Frau für eine Nacht unterwegs sind, ein. Früher hatte man das Gefühl der Exklusivität beim Einlass, aber jetzt gibt es in diesen Sauställen keine ordentliche Gesichtskontrolle mehr“, beschwert sich Diana, ein Modell, das früher bei Club-Events mitwirkte.
Auch ihre Freundin Maria, ebenfalls Model, behauptet, dass die Ära der strengen Gesichtskontrolle in Russland längst vorbei sei.
„Um in einen Club zu kommen, muss man ordentlich angezogen, volljährig und nicht betrunken sein. Und selbst wenn man nicht reinlassen wird, findet man immer eine Alternative“, behauptet sie.
Ihr zufolge ist die Situation im Gipsy, einem weiteren berühmten Club, eine ganz andere und die Türsteher lassen vor allem „aktive Jugendliche in trendiger Kleidung“ ein.
Es gibt keine Warteschlange am Eingang zum Gipsy. Die Gesichtskontrolle erfolgt durch zwei Türsteher. Die versuchen gerade einer Gruppe Chinesen zu erklären, dass sie in den Club gelassen werden, wenn sie eine Eintrittskarte für das Konzert des Rappers LSP kaufen, der heute hier auftritt. Von den oberen Stockwerken dringen die wilden Schreie der Fans. Die Chinesen drücken dem Türsteher ein paar Scheine in die Hand und werden ohne Probleme durchgelassen. Uns wird auch angeboten, ein Ticket zu kaufen und reinzukommen.
Alternativen zu den Szene-Clubs
Für diejenigen, die aus irgendeinem Grund nicht ins Gipsy gelassen wurden, gibt es authentischere Locations. Die Einlasskontrolle der bei Jugendlichen angesagten Rock-n-Roll Bar erfolgt durch einen Mann und eine zarte junge Frau in schwarzem T-Shirt. Von der Straße aus hört man Personal Jesus von Depeche Mode in der Bar spielen.
Ein Frau in einem schlichten Mantel versucht, die Türsteher davon zu überzeugen, sie und ihre beiden Freundinnen einzulassen. Der Grund für die Ablehnung ist sehr prosaisch – bei einer der Frauen ist ein Strumpf nach unten gerutscht und sie kann kaum noch aufrecht stehen.
„Mädels, ich würde euch ja reinlassen, aber eure Freundin sollte lieber Schlafen gehen. Betrunken darf hier niemand rein“, sagt die Türsteherin freundlich.
„Wer betrinkt sich denn auch so schnell? Lass uns gehen, du Schnapsdrossel!“, sagt eine der jungen Frauen verstimmt. Gemeinsam nehmen sie ihre betrunkene Freundin unter die Arme und gehen in Richtung U-Bahn.
Eine halbe Stunde zu Fuß weiter befindet sich der Club Majak, einer der ältesten in Moskau. Es wurde 1993 in der Kantine des Majakowskij-Theaters als Ort für Musiker, Schauspieler, Künstler und Journalisten eröffnet.
Noch vom Eingang ist eine junge Frau zu sehen, die leicht taumelnd einen Jazz-Song singt. Einige Gäste sind bereits an den Tischen eingeschlafen. Alles erinnert an eine billige Hochzeitsfeier, die im vollen Gange ist.
Die Gesichtskontrolle erfolgt durch zwei Türsteher. „Das Wichtigste für uns ist, dass die Person nicht zu betrunken ist. Ansonsten lassen wir alle rein. Zeigt uns mal euren Ausweis“, sagt einer von ihnen.
In diesem Augenblick kommt eine ältere Kellnerin aus dem Club gerannt.
„Sascha, da hat sich schon wieder jemand übergeben, also hör auf, jeden Penner reinzulassen!”, schreit sie.
„Wow, das ist das Richtige für uns. Das ICON ist doch nur was für Aufschneider“, sagt meine Freundin. Wir gehen hinein.
Ein paar Tage später schreibt mir der Promoter vom ICON. „Du schreibst, wann du kommen willst, und ich reserviere dir einen Tisch und gebe dir Marken für kostenlose Getränke“, schreibt der Mitarbeiter des Clubs.
„Und was ist mit der Einlasskontrolle?”
„Das klären wir mit dem Türsteher – wir müssen schließlich Gewinn machen“, antwortet er.
Russia Beyond hatte an alle im Text genannten Clubs eine Anfrage geschickt. Keiner von ihnen hat bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung geantwortet.