Kleine Kinder haben viele Fragen im Norden, zum Beispiel: „Warum werde ich nachts zum Kindergarten gebracht?“ Die Antwort lautet: Es ist Polarnacht. Die Sonne zeigt sich kaum länger als eine halbe Stunde am Tag und lässt sich auch mehr erahnen als sehen. Im Dezember und Januar ist es besonders dunkel. Wenn man aufwacht, ist es noch stockdunkel, tagsüber ist Dämmerlicht und am Abend schon wieder finster.
Die zwei Monate im Sommer, wenn die Nacht zum Tage wird, empfinden sie daher als eine schöne Zeit.
Flüge sind eine Herausforderung. Egal wohin sie wollen, sie sind zu weit von diesem Ort entfernt. Sie müssen zunächst in eine größere Stadt fliegen und von da aus ihre Weiterreise planen. Das ist sehr teuer. Jedes Jahr eine Urlaubsreise zu machen, ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können.
Daher sparen viele ihren Jahresurlaub an, bis sie mehrere Wochen oder sogar Monate zusammen haben, und machen dann alle drei Jahre eine längere Reise.
Mal eben zehn Tage Strandurlaub und dann wieder zurück an den Schreibtisch, das ist hier keine Option.
Ihre Stimmung wird von Zyklonen und Antizyklonen und den Luftdruckschwankungen beeinflusst. An einem Tag könnten Sie Bäume ausreißen, am nächsten sind sie völlig erschöpft. Hinzu kommt die endlose Dunkelheit im Winter und düstere Schneelandschaften. Das sind gute Voraussetzungen für eine Depression.
Es nennt sich Stroganina. Die Zutaten sind Fisch und Salz. Sie nehmen einen großen gefrorenen Fisch, schneiden ihn in dünne Scheiben, tauchen diese in Salz und essen sie. Das klingt gut und ist ganz einfach. Aber warten Sie, wenn der Fisch auftaut …
Im Norden sind die Gehälter im Durchschnitt höher als in anderen Teilen Russlands. Es gibt eine Zulage für diejenigen, die es unter den rauen klimatischen Bedingungen aushalten. Das relativiert sich jedoch schnell, wenn sie einkaufen gehen. Im Norden kostet alles drei Mal so viel. Da dort vor Ort nur wenig produziert wird, werden alle Lebensmittel in den Norden geliefert. Das kostet Zeit und Geld. Auch alles andere, von den Wohnnebenkosten bis zu Flugtickets, ist im Norden teurer.
Jeder zweite Bewohner des russischen hohen Nordens hat diese Lebensgeschichte: „Ich wollte hier zwei, drei Jahre ein bisschen Geld verdienen. Jetzt lebe ich seit 30 Jahren hier und ich will nirgendwo anders hin.“
Viele wollen nicht lange bleiben, sie kommen erst nur wegen der Arbeit und bleiben dann für immer. Der Norden macht süchtig. Es ist nicht wirklich nachvollziehbar, was die Menschen an der Kälte, der Einsamkeit und der Dunkelheit fasziniert. Einige sagen, es seien die Menschen, die im Norden offener und freundlicher seien.
Der Mangel an Sonnenlicht und ein ständiges Grippegefühl sorgen dafür, dass Sie sich unter der Bettdecke verkriechen wollen. Während des achtmonatigen Winters haben Sie ein überwältigendes Bedürfnis zu schlafen.
Der technologische Fortschritt hat den hohen Norden erreicht, jedoch mit gewissen Einschränkungen. Unbegrenztes Internet ist nur nachts verfügbar (wenn Sie viel Glück haben) und es ist unglaublich langsam. Intensive Aktivitäten in den sozialen Medien sind daher nicht möglich.
Manchmal ist die Internetverbindung unterbrochen, weil Kormorane ein Glasfaserkabel geklaut haben oder es von Polarfüchsen zerbissen wurde.
Im Sommer kann es ziemlich heiß werden, aber der Permafrost bleibt. Am Flussufer können riesige Eisschollen anschwemmen, die ein großartiges Fotomotiv abgeben.
Bei 40 °C unter dem Nullpunkt startet der Motor erst, wenn er zuvor angewärmt wird. Früher ließen die Autofahrer ihn einfach den ganzen Winter über laufen, von Oktober bis Mai. Heutzutage können sie zum Warmhalten ihres Motors von speziellen Heizdecken bis zu Blockheizungen nahezu alles kaufen.
Wenn sie draußen einen natürlichen Kühlschrank haben, wofür benötigen sie einen anderen? Viele haben eine Nische unter ihrem Fenster, in der sie Fleisch aufbewahren.
„Festland“ ist der Rest des Landes, jenseits des Polarkreises. Wer dort Verwandte hat, idealerweise eine Großmutter, schickt seine Kinder im Sommer dorthin. Darauf freuen sich die Kinder meist sehr.
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