Das Zero Waste Konzept, zu Deutsch „Null Müll“, erreicht endlich auch das größte Land der Welt. Ein Land, das buchstäblich im Abfall erstickt. Laut Eurostat werden nur sieben Prozent des Mülls in Russland recycelt. In Frankreich sind es 43 Prozent, in Deutschland 68 Prozent (Zahlen von 2017). „Russia Beyond“ hat drei Anhänger der Zero Waste Bewegung zu ihren Erfahrungen mit Müllvermeidung und Recycling befragt.
Irina Koslowskich stammt ursprünglich aus Kirow, studierte in Nischni Nowgorod und zog vor einigen Jahren nach Moskau. Als Mitglied des Zero Waste Projekts von Greenpeace Russland lernte sie das Konzept erstmals während ihres Masterstudiums in Ökologie kennen, als sie Bea Johnsons wegweisendes Buch „Zero Waste Home“ las (Deutscher Titel: „Zero Waste Home -Glücklich leben ohne Müll! Reduziere deinen Müll und vereinfache dein Leben“).
Die Abfälle der letzten zwei Jahre passen bei Irina in ein Glas. Aus nicht recyclebaren Kassenbons kann sie Körbe flechten.
Irina Koslowskich: „Wenn ich groß werde, will ich wie Greta sein”
Aus dem persönlichen ArchivDina Chitrowa (Jekaterinburg) ist ausgebildete Architektin, hängte den Beruf jedoch an den Nagel und wurde Umweltaktivistin. Sie verbrachte den Sommer in Karelien, um Waldbrände zu löschen. Ein abfallfreies Leben hat sie vor kurzem erfolgreich realisiert. Es war ein langer Weg bis dahin.
Im September 2018 fing sie an und hat in den letzten 14 Monaten nichts außer Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Gebrauchs gekauft, natürlich die überwiegende Mehrheit davon ohne Verpackung. Während einer ihrer Freiwilligeneinsätze in Karelien lernte Dina, dass „selbst etwas Schlechtes zu etwas Gutem führen kann“. Feuerlöschschläuche werden, wenn sie nicht mehr zum Löschen zu gebrauchen sind, normalerweise entsorgt. Doch Dina hatte die Idee, daraus Portemonnaies und Taschen zu machen.
Dina Chitrowa
Aus dem persönlichen ArchivAndrej Polownikow aus Kirow ist Chemiker. Heute hat er eine eigene Naturkosmetikfirma, „Golodniy Leshy“, deren Produkte gut für die Menschen und die Umwelt sind. Das Unternehmen hat gerade die Produktion nach St. Petersburg verlagert. Zu Polownikows Prinzipien gehört, dass Verpackungen nach Möglichkeit vermieden werden (z. B. durch den Verkauf in Unverpackt-Läden) und wenn sie unvermeidbar sind, so wenig wie möglich verpackt sind und sie aus recyceltem und recyclebarem Material bestehen.
Andrej Polownikow
Aus dem persönlichen ArchivIm Westen wird es immer einfacher, einen Lebensstil ohne Abfall zu leben, da es verpackungsfreie Geschäfte gibt, viele Informationen und die Gesellschaft insgesamt bereit ist, sich für Umweltschutz einzusetzen.
Andrej bedauert, dass es in Russland noch immer zu wenig Alternativen zu Einwegprodukten gebe und die Infrastruktur noch nicht vorhanden sei, um Recycling zu einem effektiven Prozess zu machen.
Dina sieht als Hauptprobleme einen Mangel an Unverpackt-Läden, besonders außerhalb von Moskau und St. Petersburg und ein kaum vorhandenes und schlecht durchdachtes Recyclingsystem, das den Bürgern die umweltgerechte Entsorgung ihrer Abfälle schwer mache.
Abgesehen von diesen Hindernissen sind sich beide Anhänger von Zero Waste einig, dass ein umweltgerechtes Leben möglich ist. Wo ein Wille, da auch ein Weg.
Es sei eine gewisse Vorbereitung notwendig und Selbstdisziplin. Zudem müsse man neue, umweltfreundliche, Gewohnheiten schaffen. „Ich sehe wenig Probleme für die Zero Waste Bewegung in Russland. Aber es fehlen Gesetze. Rund 127 Länder haben bereits ein Verbot von Einwegkunststoffen eingeführt, während unsere Gesetzgeber immer wieder ‚eines Tages‘ sagen. Ohne ein Gesetz gibt es für Unternehmen und Verbraucher keine Motivation, sich zu ändern“, erklärt Irina.
„Die Leute wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Es gibt immer noch zu viele Fragen und nicht genügend Informationen oder offensichtliche Antworten. Derzeit gibt es kein System, das komfortabel, logisch und einfach ist. Nur wenige Menschen sind bereit, längere Wege zum Entsorgen ihrer Abfälle in Kauf zu nehmen“, klagt Dina.
Unsere drei Zero Waste Anhänger haben die Unterstützung von Familie und Freunden. Aber wie steht es um die russische Gesellschaft insgesamt? Es scheint, als wäre es noch ein langer Weg. „Früher hielten mich die Leute für verrückt. Sie haben nicht verstanden, warum ich das tat, was ich tat, welchen Nutzen es bringen würde, wenn alle anderen weiterhin alles in den normalen Mülleimer werfen würden. Die klassische Mentalität, dass einer allein ohnehin nichts erreichen könne“, erinnert sich Dina.
Inzwischen ist die Aktivistin regelmäßig zu Gast im Fernsehen und im Radio und spricht über Abfallvermeidung und die Gefahren von Plastikmüll. In Schulen bietet sie Kurse zur Umweltbildung an. „Es gefällt mir, dass dieses Thema immer mehr diskutiert wird und dass gewissenhafter Konsum in Russland mittlerweile fast ein Trend ist“, so Dina.
Irina stimmt zu, dass die russische Gesellschaft endlich verstehe, dass „Müll schlecht und Plastik böse ist“, aber es gibt Dinge, die nicht von den Menschen selbst abhängen. „Niemand wird bewusst eine Batterie ins Gebüsch werfen, um der Natur zu schaden. Aber aufgrund fehlender Informationen wird sie im Hausmüll landen. Das Problem ist, dass die Russen immer noch nicht daran glauben, dass sie etwas ändern können. Wir müssen also die Unternehmen und die Regierung für Umweltanliegen gewinnen.”
Selbst kleinere Städte wie Kirow erleben positive Veränderungen. Immer mehr Menschen engagieren sich dort in Recycling-Initiativen. Andrej freut sich: „Wir haben wirklich das Gefühl, dass sich die Gesellschaft in die richtige Richtung bewegt, und freuen uns außerordentlich, ein Teil davon zu sein. Schließlich ist alles miteinander verbunden und für jede Entscheidung, die wir jetzt treffen, zahlen wir in der Zukunft den Preis.“
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