Übung macht den Meister: Woher kommt das russische Eislauftalent?

Adelina Sotnikowa feiert ihre Goldmedaille bei der Winterolympiade 2014 in Sotschi

Adelina Sotnikowa feiert ihre Goldmedaille bei der Winterolympiade 2014 in Sotschi

ZUMA PRESS/Global Look Press
Russland ist ein Land voll Eis und Schnee. Da verwundert es nicht, dass Eislaufen und Eishockey zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen gehören.

Wladimir Putin hat in den letzten Jahren häufiger Schlagzeilen gemacht, weil er Eishockey spielt. Und Russlands Regierungsbeamte und Oligarchen schnallten sich ebenfalls die Schlittschuhe an und folgten dem Präsidenten aufs Eis. Schlittschuhlaufen konnten Sie alle und nahmen nun die liebste Freizeitbeschäftigung der Kindheit wieder auf. 

Der russische Präsident Wladimir Putin wärmt sich vor dem Spiel auf. Sotschi, 2019

Bescheidene Anfänge 

Eislaufen wurde in Russland von Peter dem Großen populär gemacht. Alexander Puschkin beschreibt es in einigen seiner Werke als einen beliebten Zeitvertreib der Massen. 

„Eislaufen auf der Newa“ von Jemeljan Michailowitsch Kornejew, 1812

In der Sowjetunion wurden alle ebenen, gefrorenen Flächen, einschließlich Fußballfelder, als Eislauffläche genutzt. Sechs Monate lang dauerte das Wintervergnügen. Diese Natur-Eisbahnen waren pflegeleicht und brachten viel Spaß. Während im Sommer in den Straßen Fußball gespielt wurde, ging es im Winter mit Hockeyschlägern auf die Eisbahn. Schlittschuhe waren Massenware und nicht teuer, so dass nahezu jedes Kind ein Paar besaß.  

Breitensport  

In der Sowjetunion gab es in fast jedem Ort, in dem es regelmäßig schneite, Eiskunstlauf- und Eishockeyschulen. Dort lernten die Kinder schon früh, sich auf Kufen sicher fortzubewegen. 

Schüler einer Schule für Eiskunstlauf in Moskau, 1973

Wir alle lernten, vorwärts und rückwärts zu fahren, uns zu drehen, uns auf einem Bein und ohne einen Fuß vom Eis zu heben über die glatte Fläche zu gleiten. Wir stellten Geschwindigkeitsrekorde auf und lernten, sicher zu bremsen. Für diejenigen, die keine Lust auf Hockey oder Pirouetten hatten, gab es Unterricht im Eisschnelllauf. Zuerst lernten wir aber immer, richtig, also ohne uns zu verletzen, zu fallen. 

Eislaufen auf dem Territorium des WDNCh-Ausstellungszentrums, 1974

Der ruhmreiche Aufstieg  

Eissport wurde zur Vorzeigesportart mit beachteten internationalen Erfolgen. Die Sowjetunion gewann zahlreiche olympische Medaillen im Eisschnelllauf, Eiskunstlauf und Eishockey. In den Jahren 1973, 1979 und 1986 wurde die Sowjetunion Eishockey-Weltmeister. Im Eiskunstlauf dominierte die UdSSR über Jahre hinweg die Wettbewerbe. Allein Irina Rodnina stand bei Weltmeisterschaften zehn Mal ganz oben auf dem Siegertreppchen und holte dreimal Olympia-Gold. Ab 1964 holten sowjetische bzw. russische Sportler bei jeden Olympischen Spielen in einer der Eiskunstlauf-Disziplinen Einzel-, Paarlauf oder Eistanz Gold. Nur 2010 in Vancouver reichte es bloß für eine Silbermedaille. 

Irina Rodnina, 1984

Die sowjetischen Eiskunstläufer und Eishockeyspieler, die es bis an die Spitze schafften, kamen oft aus den Reihen der örtlichen und regionalen Schulen. Aber selbst Amateure hatten schon ein hohes Niveau und blieben dem Sport oft ein Leben lang treu.  

Zehntausende wurden unterrichtet, um die fähigsten unter ihnen ausfindig zu machen. Diese wurden gezielt trainiert und gefördert und hatten so eine realistische Chance ganz nach oben zu kommen. Daher standen fast alle 5-jährigen auf dem Eis. Die Eiskunstlauf- oder Eishockeyschulen waren für jedermann frei zugänglich und allerorten präsent. Die Sowjetunion pflegte im Sport die Wettbewerbskultur.   

Sport für wenige, Unterhaltung für viele 

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde im Land weniger Eissport getrieben und es gab weniger Trainingsmöglichkeiten. Doch die Regierung unter Putin förderte den Wintersport als Breitensport wieder. Öffentliche Eisbahnen sind jetzt überall und viele davon können kostenlos genutzt werden. Auf dem Roten Platz gibt es jedes Jahr eine Eisbahn. Auf dem WDNCh-Ausstellungsgelände befindet sich sogar die größte Europas. Es gibt Eislaufevents wie das auch international bekannte Format „Skating with the Stars“ oder viele beliebte Bühnenwerke und Ballette wurden für die Eisbahn adaptiert.  

Eisbahn auf dem WDNCh-Ausstellungsgelände, 2019

Das Interesse der russischen Öffentlichkeit an Eiskunstlauf und Hockey hat sich jedoch gegenüber den Sowjetzeiten geändert. Der Sport wird nicht mehr als Sprungbrett für eine olympische Karriere genutzt, der Fokus liegt mehr auf dem Freizeit- und Erholungsaspekt. Die in den 1990er geborenen Kinder stehen längst nicht mehr alle sicher auf Schlittschuhen.

Die Popularität von Eiskunstlauf und Eishockey ist seit dem Ende der Sowjetunion gesunken. Auf dem Roten Platz sieht man zwar viele Menschen ihre Runden auf dem Eis drehen, doch laut einer Studie des russischen Meinungsforschungszentrums WCIOM aus dem Jahr 2018 üben nur fünf Prozent der Russen, die regelmäßig Amateursport betreiben, alle Wintersportarten zusammen aus - einschließlich Hockey, Eiskunstlauf und Langlauf. Wintersport steht relativ weit unten bei den beliebten Sportarten. Im ebenso schneereichen Kanada ist Eishockey dagegen nach dem Golf die zweitmeist ausgeübte Breitensportart unter Erwachsenen. 

Wladimir Putin während eines Spiels der Amateur-Nacht-Hockey-Liga auf der Eisbahn auf dem Roten Platz, 2018

Präsident Putins Engagement im Eishockey ist beachtlich und lobenswert, doch für Olympia ist selbst der russische Staatschef etwas zu spät dran. Aber kein Grund zur Sorge. Es gibt in Russland noch immer professionelle Athleten und sie sind auch weiter sehr gut. Russland gewann die Eishockey-Weltmeisterschaft 2008, 2009, 2012, 2014 und 2018. Die erfolgreiche Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi war ein großer Schub für die Popularisierung des Wintersports und für einen neuen Sportpatriotismus. So hielt das ganze Land den Atem an, als die Eiskunstläuferin Adelina Sotnikowa ihre mit der Goldmedaille belohnte Kür lief. 

>>> Eiskunstlauf: Russlands Stars lassen die Rekorde purzeln

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