Letzte Woche, vom 30. März bis 5. April, waren die Russen erstmals offiziell aufgefordert, zuhause zu bleiben. Präsident Putin hatte die Tage zu einer bezahlten Arbeitszeit erklärt. Am 2. April wurde die Maßnahme bis Ende April verlängert. Ziel ist es, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Allerdings, ungeachtet dieser großangelegten Selbstisolation, arbeiten viele Russen, laut Meinungsumfragen 64 Prozent (rus), normal weiter. Während einige von ihnen die Möglichkeit haben, von zuhause aus ihren Dienst zu tun, wie etwa Journalisten oder IT-Spezialisten, müssen andere nach draußen und ihr Leben riskieren.
Gemäß des Präsidentenerlasses (rus), betrifft die Selbstisolation nicht das medizinische Personal, Staatsangestellte und jene Menschen, die in Betrieben mit laufender Produktion, in Apotheken, im Einzelhandel und wichtigen Dienstleistungsbereichen tätig sind.
In der Realität jedoch, ist die Zahl derer, die normal weiter arbeiten, sicher wesentlich größer. Kuriere, zum Beispiel, gehören momentan gewiss zu den am meisten beschäftigten Berufsgruppen. Die Krise hat die Nachfrage nach Bewerbern allein im März um 40 Prozent (rus) in die Höhe schnellen lassen. Das Durchschnittsgehalt stieg um 20 Prozent. In der Tat, wieviele Kuriere werden notwendig sein, um Millionen von Moskowitern zu versorgen, die in ihren Wohnungen ausharren?
Einige Russen haben sogar den Beruf geändert und sind in den Dienstleistungsbereich gewechselt. “Für mich ist es wichtig aktiv zu bleiben und mich ein bisschen von der Nachrichtenflut im Internet abzulenken”, sagt der russische Unternehmer Sergey Nochovnyy. Er hat vor kurzem beschlossen, Kurier zu werden, da die Nachfrage nach seinem eigentlichen Broterwerb fast auf Null gesunken war. “Die Arbeit als Kurier ist ein guter erster Schritt und ein Versuch, dem allen, was gerade passiert, einen Sinn abzugewinnen und eine neue Sichtweise zu entwickeln”, schrieb (rus) er in den sozialen Medien.
Taxi- und Lastwagenfahrer gehen ihrer üblichen Tätigkeit weiter nach. “Wir arbeiten so, wie auch zuvor, fünf Tage in der Woche. Die einzige Sache, die sich geändert hat, besteht darin, dass wir die Aufträge schneller erledigen können, da die Straßen jetzt leerer sind. Natürlich denke auch ich von Zeit zu Zeit mit Sorge an den Virus, aber was soll man machen? Ich muss Geld verdienen, um meine Familie ernähren zu können. Also, arbeite ich weiter”, erklärt Ruslan, Fahrer eines Lieferwagens.
Nicht zufrieden ist er damit, dass einige Unternehmer sich nicht um angemessene Bedingungen gekümmert haben, obwohl sie wollen, dass ihre Leute weiterarbeiten. “Niemand gibt uns Schutzmasken, Handschuhe und Desinfektionsmittel”, beklagt er.
Obwohl Läden, die keine Lebensmittel verkaufen, geschlossen sind, heißt das nicht, dass deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht arbeiten. Dmitri, Verkaufsberater in einem Moskauer Geschäft für Sportartikel, teilt mit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trotz Schließung weiter ins Geschäft kommen, um die Ware für die Sommersaison vorzubereiten und Online-Bestellungen abzuarbeiten.
“Wir arbeiten nicht die volle Zeit, unsere Schichten wurden um die Hälfte verkürzt. Deshalb erhalten wir auch nicht das ganze Gehalt, da dieses auf Stundenbasis berechnet wird”, erläutert Dmitry. “Ich habe kein Auto, deshalb fahre ich ans andere Ende der Stadt mit öffentlichen Verkehrsmtteln. Das ist einerseits irgendwie unheimlich, aber andererseits ist die Metro fast leer, da die Mehrheit der Leute zuhause ist. Es ist also nicht gefährlich und Geld muss man ja schließlich verdienen. Sogar wenn ich die Möglichkeit hätte, Urlaub zu nehmen, würde ich es wahrscheinlich nicht tun.”
Obwohl Banken ihre Kunden zum online banking aufrufen, gibt es Fälle, bei denen persönliche Besuche erforderlich sind. Dies berücksichtigend, hat die Alfa Bank zum Beispiel ganz besonders sichere und hochwertige Schutzmasken für ihre Mitarbeiter angeschafft:
Anton, Personalmanager in einer anderen russischen Bank, der Rosbank, bestätigt, dass auch dort alle notwendigen Hilfsmittel wie Schutzmasken und Desinfektionsmittel bereitgestellt wurden. “Auch wir arbeiten nicht die volle Stundenzahl, nur bis 16:00 Uhr. Außerdem hat die Bank einige ihrer Zweigstellen geschlossen. Das heißt, nur einige Kolleginnen und Kollegen arbeiten noch”, berichtet er. “Dazu kommt, dass wir gegenwärtig und solange bis die Selbstisolation nicht beendet ist, keine Kundentermine vor Ort vereinbaren.”
Ungeachtet des Coronavirus wurden die Bauarbeiten an vielen Objekten in ganz Russland nicht eingestellt. Allein in Perm sind 8.700 Leute (rus) auf den Baustellen der Stadt verblieben.
Warum ist das so? Die Antwort lautet: Bauarbeiten fallen unter die Kategorie “fortlaufende Produktion”. “Eine aktive Baustelle ist ein nicht ungefährlicher Ort, aber eine stillgelegte birgt noch höhere Risiken”, erklärt (rus) Walerij Ananjew, Leiter von Atomstroikomplex. “Das Coronavirus kann den Bau solcher Projekte von nationaler Bedeutung nicht aufhalten”.
Die Bauunternehmen betonen (rus), dass sie alles Notwendige unternehmen, um die Sicherheit der Arbeiter auf solchen Baustellen zu gewährleisten. Das schließe zum Beispiel auch das regelmäßige Messen der Temperatur und das Bereitstellen von Seife und Reinigungsmitteln ein. Auch würde in kleineren Gruppen gearbeitet.
Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, ist keine Tätigkeit, die per Internet durchgeführt werden kann. Sicherheitskräfte patroullieren in Geschäftsmeilen oder in Fußgängertunneln zum Beispiel.
Nikolai, ein Angestellter der Rosgvardija, der russischen Nationalgarde, berichtet, dass sie voll weiterarbeiten. Allerdings würde täglich die Körpertemperatur gemessen, Desinfektionsmittel stünden zur Verfügung. “Mitarbeiter, die älter als 65 sind, wurden in den einstweiligen Urlaub geschickt. Ihre Stellen wurden vorübergehend mit jüngeren Kollegen besetzt,” berichtet Nikolai.
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