Farbfilm vergessen? Warum in Russland alles grau aussieht

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NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Die sowjetische Geschichte und das raue Klima vermischt, ergeben oft die Farbe Grau.

Jeder, der jemals das Glück hatte, Russland außerhalb der Tourismuszentren kennen zu lernen, mag sich fragen, warum manche Orte im größten Land der Welt so grau aussehen. 

Diejenigen, die schon einmal ein typisch sowjetisches Wohnviertel gesehen haben, werden wissen, was wir meinen.  

Einige der Fotos hier sehen aus, als hätte man mit Hilfe von Photoshop die Farbsättigung entfernt, aber das ist nicht der Fall. 

Anscheinend verwirrt dies viele ausländische Touristen, die es gewohnt sind, auf Reisen eine vergleichsweise farbenfrohe Welt um sich herum zu sehen. Warum, fragen sie sich, ist Russland so grau? Dann suchen sie im Internet nach Antworten. Wir machen es Ihnen einfach und liefern Ihnen hier überzeugende Erklärungen. 

Utilitaristische Architektur 

„Sie [Russen] haben eine lange Geschichte der utilitaristischen Architektur. Sie setzen einfach ein paar praktische quadratische Betonblöcke hin. Selbst wenn die Straßen sauber und die Gebäude gut gepflegt wären, würde es noch immer beschissen aussehen“, findet (eng) ein Nutzer von Reddit drastische Worte zur Erklärung des russischen Grau-Phänomens.

In gewisser Weise hat er Recht. Die meisten farblosen Gebiete Russlands sind geprägt durch diese utilitaristische sowjetische Architektur. 

Nach dem Krieg stand die Sowjetunion vor dem Problem überfüllter Städte und schwerer Wohnungsnot, da immer mehr Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte zogen, um dort Arbeit in Industrie und anderen Sektoren zu finden. 

In den frühen 1950er Jahren beschlossen die sowjetischen Behörden, gegen die Wohnungsnot Wohnblöcke zu errichten, die schnell und billig gebaut werden konnten. Sie bestanden aus vorgefertigten Betonbauteilen. Diese Häuser gingen als Chruschtschowkas in die Geschichte ein, benannt nach dem früheren Sowjetführer Nikita Chruschtschow. 

Die schnell hochgezogenen Chruschtschowkas lösten das Problem effektiv, brachten jedoch auch neue Herausforderungen mit sich. 

„Mehrstöckige Wohngebäude für eine große Menge Bewohner eignen sich auch ausschließlich zu Wohnzwecken. Wer aus dem Haus geht, will so schnell wie möglich weg von dort, zur Arbeit, ins Einkaufs- oder Freizeitzentrum. Daher wird gependelt und es entstehen Verkehrsstaus“, erklärt (rus) Witali Stadnikow, Associate Professor für Stadtforschung an der Moskauer Hochschule HSE, in einem 2016 veröffentlichten Artikel. 

Die Chruschtschowkas erfüllten ihren Zweck, haben aber eine Vielzahl anderer Wohnungsprobleme geschaffen. Und vor allem haben sie Russland grau aussehen lassen. „Wohngebiete aus mehrstöckigen Gebäuden richten in der Stadt enormen Schaden an. Sie erschaffen eine Umgebung, die trostlos und deprimierend ist“, führt Stadnikow weiter aus. 

Industrialisierung 

Viele Leute bemerken, dass einige Orte in Russland grauer aussehen als andere. Vielleicht liegt der Grund dafür darin, dass in diesen Orten Fabriken stehen, was sie noch trostloser aussehen lässt. 

Es gibt Städte in Russland, die nur existieren, weil in ihrer Nähe Fabriken stehen. Die berühmte geschlossene Stadt Norilsk ist bekannt für ihr raues Klima und ihre abgelegene Lage. Hier gibt es über einen Monat im Jahr Polarnächte, der Sommer ist kurz und der Boden bleibt bis zum Ende des Frühlings schneebedeckt. Sie wurde in den 1930er Jahren künstlich geschaffen, als die Sowjetregierung beschloss, die reichen Bodenschätze der Region abzubauen. Norilsk ist noch heute ein Zentrum des russischen Bergbaus. 

Hauptsächlich die Umweltverschmutzung beeinträchtigt das allgemeine Erscheinungsbild der Stadt. Der Himmel sieht oft auch grau aus. Die langen Polarnächte machen die Situation nicht besser.

Die Fotoserie „Tage der Nacht - Nächte des Tages“ in Norilsk zeigt den Alltag der Bewohner  von Norilsk (2.880 Kilometer nordöstlich von Moskau), einer Bergbaustadt nördlich des Polarkreises mit mehr als 170.000 Einwohnern. 

Die Umweltverschmutzung beeinträchtigt das Erscheinungsbild der Stadt massiv. Aber auch der Himmel zeigt sich häufig grau und die Polarnächte machen es nicht besser. 

Nehmen Sie dazu die hässliche pragmatische Sowjetarchitektur und es ist offensichtlich, warum manche Orte in Russland so grau aussehen. 

Raues Klima 

Sogar Städte, die sehr schön sind, können von Zeit zu Zeit grau wirken. Nehmen Sie Moskau oder St. Petersburg - die beiden beliebtesten Reiseziele in Russland. Diese Orte sind im Winter notorisch dunkel, da die Sonne es die meiste Zeit nicht durch die Wolken schafft. 

Im Dezember 2018 gab es in Moskau angeblich nur sechs Sonnenminuten (eng) im ganzen Monat! Die übrige Zeit lag eine dichte Wolkendecke über der Stadt. Im Durchschnitt scheint die Sonne in Moskau im Dezember enttäuschende 18 Stunden nur. 

Zwei ungeschriebene Gesetze für Besucher von St. Petersburg sind ebenfalls bezeichnend: Kleiden Sie sich in Grau und vergessen Sie Ihren Regenschirm nicht. 

Es gibt auch Städte in Russland, in denen sich die Sonne über einen Monat lang gar nicht zeigt. 

Denken Sie an all das, wenn Sie sich das nächste Mal fragen, warum manche Orte in Russland so trostlos grau wirken.

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