„Früher oder später erkrankt man sowieso, es gibt weniger Nebenwirkungen und Risiken durch den Impfstoff als durch das Coronavirus selbst“, begründete Dmitrij Luschnikow, PR-Direktor des russischen sozialen Netzwerks VKontakte, seine Entscheidung, sich impfen zu lassen. Als er Mitte Dezember zur ersten Impfung ins Kreiskrankenhaus kam (Sputnik V wird in zwei Stufen geimpft), waren nur noch zwei andere Impfwillige vor Ort. Vor der zweiten Impfung drei Wochen später habe es bereits eine Warteschlange im Krankenhaus, sagte er. „Im Krankenhaus haben sie mich buchstäblich an die Hand genommen und von Zimmer zu Zimmer geführt und sorgfältig meinen aktuellen Gesundheitszustand geprüft. Jeder mit Symptomen einer akuten Atemwegsinfektion wurde durch einen anderen Eingang in eine andere Etage gebracht, um den Impflingen nicht zu begegnen", erinnert sich Luschnikow.
Eine Frau wird in Moskau gegen COVID-19 geimpft.
Sergey Savostyanov/TASSSo wurde mit dem Impfen in Moskau im Dezember 2020 begonnen. Der russische Präsident Wladimir Putin wies an, ab dem 18. Januar 2021 „zur Massenimpfung“ überzugehen. „Ich bitte, die entsprechende Infrastruktur vorzubereiten. Gott sei Dank erfordert unser Impfstoff keine ungewöhnlichen Bedingungen für den Transport, wie minus fünfzig, minus siebzig Grad – bei uns funktioniert alles viel einfacher und effektiver“, sagte Putin.
Vorläufig sind nach den Informationen der Website des Moskauer Bürgermeisters vorerst die Hauptstadtbewohner über 60 Jahre, Menschen mit chronischen Krankheiten, Studenten von Fach- und Hochschulen über 18 Jahre und Mitarbeiter aller Bereiche, in denen mit vielen Menschen kommuniziert wird – von den Mitarbeitern von Krankenhäusern, Schulen und städtischen Sozialdiensten bis hin zu denen von Hotels, Restaurants, Friseursalons, wie auch Banken, Kirchen und Kinos – berechtigt, sich impfen zu lassen. Auch Journalisten fallen in diese Kategorien.
In St. Petersburg sind die Impfbedingungen ähnlich, allerdings haben Mediziner, Sozialarbeiter und Bürger mit chronischen Krankheiten Vorrang. In der Region Moskau kann jeder über 18 Jahre ohne medizinische Kontraindikationen geimpft werden; in anderen Regionen werden auch medizinische Fachkräfte und Sozialarbeiter bevorzugt. In allen staatlichen Kliniken wird der Impfstoff kostenlos verabreicht.
Patienten warten im Impfzentrum der Poliklinik Nr. 121 in Moskau darauf, den Impfstoff gegen COVID-19 zu erhalten.
Anton Novoderezhkin/TASSImpfen lassen kann man sich auch in Moskauer Privatkliniken – zum Beispiel wird in den Kliniken der Krankenhauskette Medsi der Impfstoff an Personen mit Wohnsitz in Moskau verabreicht. Der obligatorische Arzttermin vor der Impfung kostet 1.850 Rubel (umgerechnet ca. 21 €), aber der Impfstoff selbst ist kostenlos. Er wird in 15 Privatkliniken verabreicht. Mit 34 weiteren Kliniken wurden Vereinbarungen über eine künftige Zusammenarbeit getroffen, sagte die stellvertretende Moskauer Bürgermeisterin für soziale Entwicklung Anastasia Rakowa am 14. Januar 2020.
Im Moment wird der Impfstoff nicht an Bürger unter 18 Jahren, Personen mit akuten Atemwegsinfektionen, schwangere und stillende Frauen, Bürger mit einer akuten chronischen Erkrankung oder Personen, die an einer klinischen COVID-19-Impfstoffstudie teilgenommen haben, verabreicht, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen.
„Die erste Injektion war im Dezember. Am ersten Tag fühlte ich mich schläfrig, am Abend ging es mir schlecht. <...> Am zweiten Tag schmerzte mir abends die Schulter (wo ich geimpft wurde) und ich hatte Kopfschmerzen, aber kein Fieber. <...> In der Nacht war es schmerzhaft, auf dem geimpften Arm zu schlafen. Ab dem dritten Tag gab es keine Symptome mehr“, beschreibt Dmitrij Luschnikow die Nebenwirkungen auf seiner Facebook-Seite.
Dmitrij Pesterew, Mitarbeiter einer Non-Profit-Organisation in Moskau, verspürte bereits nach der ersten Impfung ernstere Nebenwirkungen. „Zwei Tage lang hatte ich 39 Grad Fieber, alte Sportverletzungen begannen zu schmerzen, ich spürte so etwas wie eine starke Entzugserscheinung im Körper. Ich hatte Schüttelfrost und schreckliche Kopfschmerzen. Dann hat es abrupt nachgelassen, hoffentlich wird die zweite Impfung nicht solche Auswirkungen haben“, äußerte sich Pesterew gegenüber Russia Beyond.
Auch Alexander Kostjukow, Kommunikationsdirektor, ließ sich impfen und verspürte keine Nebenwirkungen. „Ja, es stimmt – vor dem Jahreswechsel wurde der Impftermin ein paar Mal abgesagt. Die Impfstoffpackung ist tiefgefroren und für fünf Personen ausgelegt. Sie wird erst aufgetaut, wenn die erforderliche Anzahl von Freiwilligen erreicht ist. Jetzt haben die Leute angefangen, sich impfen zu lassen, vor allem Rentner“, erzählte Kostjukow.
Im Herbst, während der zweiten Covid-Welle, wurden bei Moskauern über 65 Jahren, Studenten über 18 Jahren und Menschen mit chronischen Krankheiten die Sozialausweise mit dem Recht auf vergünstigte oder kostenlose Fahrten mit dem ÖPNV gesperrt. Sie konnten auch weiterhin mit der U-Bahn und den Bussen fahren, allerdings zum vollen Preis. Am 29. Dezember 2020 verkündete der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin, dass alle Bürger die Vergünstigungen wieder in Anspruch nehmen können, wenn sie gegen COVID-19 geimpft sein werden.
Diejenigen, die im Gebiet Sachalin geimpft werden, erhalten eine Ansteckkarte, die es ihnen ermöglicht, sich ohne Maske in der Region zu bewegen, berichteteRIA Novosti unter Berufung auf den Pressedienst von Walerij Limarenko, dem Gouverneur der Region.
Dennoch wollen sich nur 38 % der Russen impfen lassen. 93 % derjenigen, die zugestimmt haben, sind – laut einer VCIOM-Studie vom 23. Dezember 2020 – älter als 45 Jahre. „52 % wollen sich nicht impfen lassen. Unter den jungen Russen im Alter von 25 bis 34 Jahren ist dieser Anteil höher (70 %)", heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Die meisten Impfverweigerer berufen sich auf Angst und Misstrauen gegenüber der Impfung – sie befürchten, dass der Impfstoff zu schnell entwickelt und zu schlecht erforscht worden sei.
Darüber hinaus berichteteReuters Ende 2020, dass russische Beamte, Angestellte des öffentlichen Dienstes und städtische Angestellte unter Androhung der Entlassung gezwungen wurden, sich impfen zu lassen. Russia Beyond sprach mit mehreren Mitarbeitern verschiedener städtischer Dienste in Moskau. Einer der Mitarbeiter von Moswodokanal, dem Wasserversorger des Moskauer Gebiets, bestätigte, dass Druck ausgeübt wurde. „All dies geschah bereits von September bis Dezember. Zuerst boten sie uns Geld an, dann eine Freistellung, dann fingen sie an, sich an unsere Versäumnisse zu erinnern und sagten: ,Können wir nicht etwas finden, wofür wir euch feuern können?‘“, so der Mitarbeiter, der lieber anonym bleiben wollte.
Mitarbeiterinnen von Moswodokanal
Ilya Pitalev/SputnikEnde Dezember 2020 veröffentlichte die Journalistin Anna Schafran einen Audiomitschnitt eines Gesprächs mit dem Leiter von Moswodokanal, in dem diese Information bestätigt wird. Nach Angaben des Mitarbeiters hörten die Drohungen danach auf, aber es wurde weiter versucht, [die Mitarbeiter] zur Impfung zu überreden.
Nicht nur Sputnik V wird für die Massenimpfung vorbereitet – am 11. Januar 2021 erteilte das russische Gesundheitsministerium dem Gamaleja-Zentrum die Erlaubnis, das Medikament „Sputnik Lite“ gegen das Coronavirus zu untersuchen. Dies ist die erste Komponente des Sputnik-V-Impfstoffs – mit ihm halte die Immunität drei bis vier Monate an, bei einer Wirksamkeit von etwa 85 %, erklärte Alexander Ginsburg, Direktor des Gamaleja-Zentrums. Die Wirksamkeit des Zweikomponenten-Impfstoffs liege bei 93 % und die Wirkungsdauer betrage drei Jahre.
Theoretisch kann es natürlich sein, dass wir hier Import-Impfstoffe gegen das Coronavirus haben werden. Aber es wird sie erst dann geben, nachdem sie registriert sein werden“, erklärte Alla Samoilowa, Leiterin der russischen Gesundheitsaufsichtsbehörde Rossdrawnadsor, am 14. Januar 2021 am Rande des Gaidar-Forums gegenüber TASS.
Bis zum 14. Januar 2021 sind in Moskau 140.000 Menschen geimpft worden und 22.000 bis 24.000 weitere Menschen warten auf die erste Impfung, berichtete Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin in einer Sendung des TV-Kanals Rossija 24.
Lieferung des Coronavirus-Impfstoffs an die Poliklinik Nr. 2 in Moskau
Sergey Kiselev/Moscow AgencyWie viele Russen genau in Russland bisher geimpft wurden, ist nicht bekannt.
In St. Petersburg sind lediglich 17.000 Menschen geimpft worden, in der Region Moskau fast 21.000, in der Region Krasnodar 9.800, im Gebiet Samara und in Baschkortostan jeweils 6.000,
in 33 anderen Regionen jeweils zwischen 1.000 und 5.000 und in den übrigen Regionen weniger als eintausend Personen.
Die stellvertretende Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa stellte fest, dass die Behörden bereit sind, eine größere Impfkampagne zu starten. „Bis Ende Januar werden (in den Regionen – Anm. d. Red.) 2,1 Millionen Dosen Impfstoff eintreffen und wir werden die Impfkampagne ganz erheblich verstärken müssen“, sagte sie.
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