Mehr als eine Sängerin: Russlands Kandidatin für den ESC 2021

Walerij Scharifulin/TASS
Russlands ESC-Kandidatin hat viele Talente: Sie kämpft gegen häusliche Gewalt und für die Rechte von Homosexuellen und Flüchtlingen.

Das Publikum hat entschieden. Die 29-jährige Manischa wird Russland beim Eurovision Song Contest 2021 in Rotterdam vertreten. Die Sängerin mit tadschikischen Wurzeln wird mit dem Song „Russian Woman“ (Russische Frau) antreten. Das Lied ist eine Mischung aus verschiedenen Musikstilen, hauptsächlich aus Hip-Hop und russischer Volksmusik. Der Text ist teils in Englisch, teils in Russisch, die bedeutungsvollsten Textstellen und der Refrain sind in Russisch.  

„Es ist ein Lied darüber, wie sich das Selbstbewusstsein der Frauen in Russland in den letzten Jahrhunderten verändert hat. Die russischen Frauen haben einen langen Weg hinter sich. Von der Bauernhütte zum Wahlrecht, von der Fabrik in den Weltraum“, erzählt Manischa. Wie leider so oft bekam sie jedoch auch viele Hass-Kommentare in den sozialen Medien ab, sowohl aufgrund ihres Textes als auch aufgrund ihrer Herkunft.

Ein Flüchtlingskind aus Duschanbe

Geboren wurde Manischa Sangin in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Als sie drei Jahre alt war, brach in dem Land der Bürgerkrieg aus, das Haus ihrer Familie wurde in diesem Krieg zerstört. Die Familie floh daraufhin nach Moskau, wo ihre Mutter, eine gelernte Nuklearphysikerin zunächst putzen gehen musste, um ihre fünf Kinder ernähren zu können.

Heute sagt Manischa, dass sie glücklich ist, russischsprachige Lieder für ein russischsprachiges Publikum singen zu können. Dennoch wird sie nicht von allen als Russin akzeptiert. Nach ihrer Wahl gab es in den sozialen Medien zahlreiche Kommentare wie „Sie ist Tadschikin. Wie kann sie über russische Frauen singen? Ich bin kein Rassist, aber ich verstehe es nicht.“

Neu ist das für die Künstlerin nicht. Seit sie in der Öffentlichkeit steht, bekommt sie Vorurteile und Ressentiments ab. Als sie mit 15 Jahren entdeckt wurde, schrieben ihr die Produzenten vor, unter dem Künstlernamen Ru.Kola aufzutreten. Der Name Manischa war aus ihrer Sicht „zu muslimisch“.

„Sie wollten mich neu erfinden“, sagt sie heute. Unter anderem musste Manischa ihr Haar heller färben und „femininere“ Outfits anstatt traditioneller Kleidung tragen. Zu dieser Zeit verdiente sie 10.000 Euro pro Konzert (viel mehr als heute) und gab mindestens zehn Konzerte im Monat, darunter auch Auftritte als Warmup-Act für Weltstars wie Lana del Rey. 2008 nahm sie ihr erstes eigenes Soloalbum „Ich lehne ab“ auf. Doch der Preis des Erfolges war zu hoch. „Psychisch war ich damals ganz unten“, sagt sie heute. Nach drei Jahren machte sie Schluss und nahm ihre Karriere selbst in die Hand.

So hält sie es bis heute, Angebote aus dem Showbusiness lehnt sie ab. Selbst große westliche Plattenlabels haben schon vergeblich bei ihr angefragt.

„Wenn man etwas zu sagen hat“

Statt aufPlattenlabels verließ sich Manischa nun auf ihr Talent und die sozialen Medien. Sie begann eigene Lieder und Coverversionen bekannter Hits auf Instagram hochzuladen. Ein voller Erfolg, binnen eines Monats versiebenfachte sich die Zahl ihrer Follower. Instagram wurde zu ihrer Haupteinnahmequelle.

2016 veröffentlichte sie sogar ein komplettes Album („Manuscript“) auf Instagram. Jede Woche postete sie einen neuen Song. Das Album wurde ein voller Erfolg, war drei Wochen lang an der Spitze der russischen iTunes-Charts und brachte Manischa zurück auf die große Bühne. Heute ist ihre Mutter ihre Produzentin und Stylistin.

Ihr nächstes Album Я(Deutsch: ich) veröffentlichte sie 2018. Es handelt sich um eine Mischung aus Ethno-Pop, Soul und elektronischer Musik. In ihren Texten geht es meist um soziale Themen.

Allgemein ist Manischa sehr engagiert. Sie starte die Online-Kampagne „Trauma der Schönheit“ gegen rigide Schönheitsideale und beteiligte sich an der Entwicklung der App SILISA, die unter anderem Opfern häuslicher Gewalt einen unkomplizierten Hilferuf ermöglicht. 2019 wurde sie Botschafterin für die Stiftung „Geschenk des Lebens“. Im Dezember 2020 wurde sie schließlich Russlands erste UN-Sonderbotschafterin. Sie kümmert sich besonders um Menschen, die aufgrund von Krieg und Verfolgung flüchten müssen.

Ebenso spricht sie sich für die Rechte der LGBT-Community aus. „Ich bin für eine Welt, in der die sexuelle Orientierung, das Geschlecht, die Herkunft oder die Religion keine Merkmale mehr sind, die einen Menschen definieren. Wir sind mehr als das“, sagt sie.

Bezüglich des ESC war Manischa anfangs skeptisch, änderte ihre Meinung aber nach dem Sieg des Portugiesen Salvador Sobral im Jahr 2017. Sie erzählt: „Ich war sehr berührt, als ich sah, wie er auf die Bühne ging und einfach ohne viel Show sein Lied sang. Da dachte ich mir, wenn man was zu sagen hat, kann man gewinnen.“

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